US-Wahl Politik per Twitter: So herrscht Donald Trump über die sozialen Medien

Die mächtigste Waffe des amtierenden US-Präsidenten ist Twitter
Donald Trump regiert am liebsten über Twitter
© Getty Images
Wie kein anderer Politiker vor ihm nutzt Donald Trump die sozialen Medien als politisches Werkzeug. Dabei half ihm nicht nur seine umstrittene Twitter-Strategie.

Donald Trumps Präsidentschaft ohne Twitter - das erscheint unvorstellbar. Mit Tausenden von Tweets sicherte sich der US-Präsident die Meinungshoheit in den sozialen Medien. Doch offenbar steckt deutlich mehr hinter seinem gigantischen Erfolg: Eine ganze Armada von Unterstützern macht jeden von Trumps Tweets zum viralen Hit. Und auch bei Facebook bekommt der US-Präsident eine gigantische Bühne. Dabei spielt ihm in die Karten, dass die Netzwerke sich kaum trauen, ihm gegen den Karren zu fahren.

Dass Donald Trump die politische Szene verändern würde, zeichnete sich schon vor seinem Wahlsieg 2016 ab. Jahrelang hatte sich der Immobilien-Mogul und Reality-TV-Star über den Kurznachrichten-Dienst mit Kritik an seinem Vorgänger Barack Obama profiliert, seine konstanten Attacken bei Twitter hatten ihn überhaupt erst als möglichen Kandidaten ins Rennen gebracht. Einmal in Fahrt gekommen, gelang es ihm, seine Kampagne über die sozialen Netzwerke immer weiter zu verstärken. Und schließlich Twitter zum Kern seiner Präsidentschaft auszubauen.

Die ganz große Bühne

Das zeigen gleich mehrere aktuelle Untersuchungen. Die "Washington Post" knöpfte sich etwa Trumps Twitter-Account vor, um herauszufinden, wie es dem Präsidenten immer wieder gelingt, seinen Ankündigungen, Beleidigungen und Kommentaren bei dem Dienst so eine große Reichweite zu bescheren. Es zeigte sich: Das liegt nicht nur an seiner enormen Follower-Zahl.

Die ist seit seinem Amtsantritt im Januar 2017 von rund 20 Millionen auf nun fast 90 Millionen angeschwollen. Das hat mehrere Gründe. Wie kein Politiker vor ihm schätzt Trump die Möglichkeit, seine Wähler direkt und ohne Filterung durch seine Mitarbeiter anzusprechen. Das lässt ihn nicht nur seine Ansichten verbreiten, sondern bietet auch die Gelegenheit, direkt Politik zu machen, ohne dass seine Berater ihn davon abhalten können.

Regieren via Tweet

Die "New York Times" berichtet etwa, dass Trump mehrfach sein Smartphone gezückt haben soll, um Diskussionen mit seinen Mitarbeitern zu beenden - und mit einem Tweet eine neue Agenda zu verkünden. Die dann natürlich von seinem Team umgesetzt werden muss. "Wenn ich etwas nicht getwittert habe, könnt ihr Aussagen meines Stabs dazu ignorieren", soll er zwei ehemaligen Beratern gesagt haben.

Dieser Ansatz, Politik via Twitter zu machen, sorgte natürlich für einen gehörigen Boost an Followern. Warum sollte man etwa auf einen Zeitungsartikel warten, wenn der Präsident seine Politik gleich ins Internet hinein verkündet? Trump ist diese Macht sehr bewusst. "Boom, ich drücke den Knopf", erklärte er etwa auf einer Pressekonferenz. "Und zwei Sekunden später gibt es Breaking News."

Die Macht des Retweets

Ein fast ebenso wichtiger Aspekt ist aber, dass jeder Tweet Trumps auch noch über Unmengen von Accounts durch Retweets weitergetragen wird. Nahezu im Sekundentakt gehen die Retweets nach oben, innerhalb weniger Stunden werden manche Tweets zehntausendfach weiterverbreitet. Und viele folgen dabei einem auffälligen Muster.

In einer ausführlichen Analyse stellte Forscherin Leysia Palen und ihr Team fest, dass mehrere Tausend Accounts Trumps Tweets nach ganz bestimmten Mustern teilten, berichtet die "Washington Post". Und das unabhängig vom Inhalt der Tweets. Einer retweetete etwa immer nach 42 Minuten, ein weiterer folgte dann wenige Sekunden später. Ein Zufall sei auszuschließen, ist sich Palen sicher.

Wer genau hinter dem System steckt, ist nicht ganz klar. Der Vorteil liegt allerdings auf der Hand: Zwar verbietet Twitter das automatische Massen-Retweeten, die Nutzung automatischer Programme, um Posts anderer zu teilen, ist aber grundsätzlich erlaubt. Mit der zeitlichen Taktung könnte also Twitters Algorithmus zum Erkennen von Retweet-Lawinen ausgetrickst werden. Viele solcher seit April entdeckten Accounts seien tatsächlich nach einer Meldung gelöscht worden, berichtet die Zeitung.

Die "Verstärkungs-Maschine" des Präsidenten

Die durch die Automatisierung ansteigende Menge von Retweets ist für den Präsidenten enorm nützlich. Zum einen erreicht er durch die Retweets direkt ein größeres Publikum, weil auch Personen, die nicht ihm, aber den Weiterleitenden folgen, seine Tweets gezeigt bekommen. Zum anderen wächst die Reichweite auch noch indirekt: Weil Twitter virale Themen erkennt und sie mehr Nutzern zeigt, werden durch die vielen Retweets auch Trumps Tweets höher bewertet - und entsprechend bei mehr Nutzern im Feed ausgespielt. "Trumps Verstärkungs-Maschine  ist ohnegleichen", zeigte sich Wissenschaftlerin Palen durchaus beeindruckt. 

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Über die Betreiber dieser Verbreitungs-Accounts lässt sich wenig herausfinden. In der Vergangenheit war etwa ein Netzwerk von Twitter-Bots mit russischem Ursprung aufgedeckt worden, die Tweets des Präsidenten während des Wahlkampfes 2016 mehr als 500.000 Mal weiterverbreitet hatten. Hinweise auf eine solche Verknüpfung fanden die Forscher diesmal offenbar nicht.

Zumindest ein Teil scheint tatsächlich von Trump-Fans betrieben zu werden. "Ich teile Präsident Trumps gesamte Twitter-Inhalte jeden Tag", erklärte etwa ein Twitter-Nutzer, der auf die Anfrage der Zeitung reagiert hatte. Er wolle so die seiner Ansicht nach korrupten Medien umgehen, die wegen ihrer liberalen Agenda gegen den Präsidenten agierten. Statt die sich immer wieder widersprechenden Aussagen und oft klar belegbaren Lügen seines Präsidenten zu hinterfragen, sieht er wie viele von Trumps Anhängern die Medien in der Schuld - und erkennt in den Versuchen, die Falschmeldungen aufzuzeigen, einen parteiischen Angriff.

Wahrheit oder Politisierung?

Dieser Glaube an Trumps Wahrheit wird für die sozialen Netzwerke immer mehr zum Problem. Und zwang sie zum Handeln. Obwohl Twitter und Facebook sich eigentlich am liebsten gar nicht in die auf den Plattformen geteilten Inhalte einmischen wollten, zwang sie die schiere Masse an Desinformationen doch zum Handeln. Beide Plattformen stellten in den letzten Monaten Ansätze vor, mit denen sie der Verbreitung falscher Informationen Herr werden wollen. Im Frühjahr wurde etwa zum ersten Mal ein Tweet Trumps von Twitter ausgeblendet, weil er nach Ansicht des Dienstes gefährliche Fehlinformationen erhielt.

In der Umsetzung der Regeln spielen die Netzwerke dann aber doch wieder dem Trump-Lager in die Karten. Sie trauten sich schlicht nicht, verstärkt gegen Konservative vorzugehen, berichteten Insider bei Facebook gegenüber der "Washington Post". Der einfache Grund: Man wolle nicht parteiisch erscheinen. Intern gab es demnach den Vorschlag, etwa 50:50 gegen linke und rechte Falschmeldungen vorzugehen. Das Problem dabei: Dieses Verhältnis nutzt vor allem den Konservativen. Schon zum Höhepunkt des Wahlkampfes 2016 war aufgefallen, dass die Zahl der Fakenews aus dem konservativen Spektrum erheblich höher war. Bei progressiven Wählern würden sie schlicht nicht so gut geklickt, hatte der Betreiber einer Seite erklärt, die mit gezielter Verbreitung von Fakenews viel Geld verdient hatte.

Auch die sozialen Netzwerke wissen natürlich, dass Aufregung über ein Thema für Engagement und Verbreitung unter den Nutzern sorgt – und damit für steigende Einnahmen. In der Praxis führt das auf Facebook etwa oft dazu, dass Trump-freundliche Stimmen trotz mehrerer Verstöße keine echten Folgen für ihre Falschmeldungen zu spüren bekamen. Der Talkshow-Host Rush Limbaugh behauptete etwa, dass Trumps Top-Virologe Anthony Fauci die Hälfte eines Patents für einen Corona-Impfstoff besäße. Obwohl die Aussage klar falsch war, wurde sie von Facebook trotz Prüfung nie als Fakenews bewertet. Andere Trump-freundliche Seiten wurden zwar mehrfach verwarnt, aber nie gesperrt. Um das zu verhindern, sollen intern sogar Verwarnungen wieder gestrichen worden sein.

Donald Trump twittert weiter

Der größte Nutznießer dieser Scheu vor der Bestrafung ist und bleibt aber Donald Trump. Aus Angst vor Vorwürfen, den Präsidenten zu unterdrücken, sind die Dienste extrem vorsichtig, den Account des Präsidenten einzuschränken oder gar Tweets zu löschen. Das wäre ohnehin rechtlich schwierig: Nach Ansicht des Weißen Hauses handelt es sich bei den Tweets um offizielle Statements der US-Regierung. Obwohl die von Trump oder seinem Berater Dan Scavino verfassten Tweets fast ausschließlich über den privaten Account des Präsidenten verbreitet werden.

Ein Ende der Trump-Tweets ist nicht zu erwarten. Während seine Vorgänger nach der Abwahl einen Rückzug in die Privatsphäre vorzogen, dürfte Trump selbst dann nicht auf die Bühne Twitter verzichten, wenn er die Wahl gegen seinen Herausforderer Joe Biden verlieren sollte. Ob ihm dann noch genau so viele Menschen Aufmerksamkeit schenken werden, steht auf einem anderen Blatt.

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