Als aufgepeitschte Anhänger des Noch-Präsidenten Donald Trump letzte Woche das Kapitol stürmten, geschah das nicht aus dem Nichts. In Chat-Gruppen und auf sozialen Netzwerken hatten sich die Gruppen mit unzählige Drohungen und Gewaltfantasien immer weiter aufgestachelt. Doch ihr Vertrauen in die App Parler kostet nun einen hohen Preis: Sie ist eine Goldgrube für die Ermittler des FBI.
Das zeigen schon die ersten Anklagen. Zwar ist Parler seit Montag nicht mehr erreichbar, das hinderte den Betreiber aber nicht, dem FBI Daten zu den Nutzern zukommen zu lassen. In mindestens zwei Fällen hat die US-Bundespolizei von dem an Twitter erinnernden Social Network persönliche Daten wie Telefonnummern, E-Mail-Adressen und weitere Angaben erhalten. Das geht aus Anklagen hervor. Viele Nutzer des Netzwerkes dürfte das ins Schwitzen bringen.
Ungebändigter Hass
Im geschützten Raum von Parler hatten viele Nutzer ihrer Wut freien Lauf gelassen. Mussten sie sich in großen Netzwerken wie Twitter oder Facebook zurückhalten, um nicht von anderen Nutzern gemeldet und gesperrt zu werden, konnten sie beim kaum moderierten Parler ihren Hass nahezu ungefiltert herauslassen. Und taten das auch fleißig. Inklusive Äußerungen, die selbst im Land der scheinbar grenzenlosen Meinungsfreiheit strafbar sind.
Tatsächlich wirft das FBI den beiden Angeklagten aktuell auch noch keine Straftaten im Rahmen der Kapitolstürmung vor. Beide sollen bei Parler Todesdrohungen gepostet haben, die nun zu ihrer Verhaftung geführt haben. Obwohl in den USA Drohungen gegen gesellschaftliche Gruppen durchaus von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, ist das bei der Bedrohung einzelner Personen nicht der Fall.
Einer der Angeklagten, der den rechtsextremen Proud Boys angehörige Eduard F. soll den gerade als erster schwarzer Senator von Georgia gewählten Raphael Warnock mit dem Tode bedroht haben, bei einer Hausdurchsuchung fand das FBI zudem Waffen und über 1000 Schuss Munition. Michael R. wird dagegen vorgeworfen, bei Parler zum Mord an Präsident Trump und der von ihm eingesetzten Verfassungsrichterin Amy Coney Barrett aufgerufen zu haben. Er wurde bereits im Dezember verhaftet und sitzt immer noch in Untersuchungshaft.

Terabyteweise Beweismittel
Auch die Kapitol-Stürmer dürften durch die Mittwoch und Donnerstag veröffentlichten Anklagen noch einmal nervöser werden. Zwar sind die Straftaten im Kapitol ohnehin durch Videoaufnahmen und teils auch Interviews mit den Tätern selbst ausführlich dokumentiert. Durch Parler wird die Anzahl an Beweismitteln aber noch einmal erheblich steigen.
Nach einem Hack des Dienstes am Montag durch eine nur unter ihrem Twitternamen "donk_envy" bekannte Aktivistin war erst das komplette Ausmaß der Beweislage bei Parler bekannt geworden. Durch Schwächen in der App war es ihr und Helfern möglich, 99,9 Prozent der Inhalte von der Seite herunterzuladen, inklusive eigentlich gelöschter Posts. Weil Parler diese nicht ganz entfernte, sondern nur in ein anderes Verzeichnis verschob, waren sie weiter auffindbar. In den insgesamt 56 Terabyte Daten befanden sich alleine 1,1 Millionen Videodateien. Weil Parler anders als andere Dienste nicht die Metadaten löscht, sind viele der Videos und Fotos mit genauen GPS-Standorten verknüpft.
Ein Segen für die Ermittler
Für das FBI ist das ein regelrechtes Geschenk. Zwar machte das Justizministerium bereits klar, dass es jeden Besitzer eines Handys im Kapitolgebäude identifizieren konnte. Parler lieferte aber noch viel mehr. Viele der in das Kapitol eingedrungenen Personen hatten sich über Parler koordiniert, auch nach dem Eindringen hielten sie das Netzwerk mit unzähligen Videos und Fotos informiert. Zusammen mit den von dort ohnehin gesammelten persönlichen Daten - Parler erlaubte es sogar, sich mit Fotos des Führerscheins zu verifizieren -, Gesichtserkennungs-Software und anderen Werkzeugen der digitalen Forensik dürfte das die Arbeit leichter machen, die Täter zu identifizieren und ihre Anwesenheit vor Ort zu beweisen.
Für die Kapitol-Stürmer sind das schlechte Nachrichten. Nicht nur lassen sie sich schnell identifizieren, sie haben selbst jede Menge Beweismaterialien geliefert. Es könnte auch jeder ihrer Parler-Posts aus den Wochen zuvor zugeordnet und gegen sie verwendet werden. Eine denkbare Verteidigungsstrategie, dass man nur zufällig in den Angriff geraten sei, dürfte so fast unmöglich werden. Auch das Strafmaß dürfte sich nach oben schrauben. Michael R. drohen laut "Insider" bis zu fünf Jahre Gefängnis. Dabei hat er weder versucht, seine Drohung wahr zu machen, noch hatte er sich an der Parlaments-Stürmung mit fünf Toten beteiligt. Die Parler-Posts alleine waren genug.
Quellen: Anklageschrift, Insider, Vice, Twitter