Derzeit herrscht Waffenstillstand im Krieg der Worte zwischen Indien und Pakistan. Doch während die beteiligten Regierungen im Kaschmir-Konflikt bemüht sind, die Wogen zu glätten, ist die Schlacht längst im Gange. An der Front rollen keine Panzer, schlagen keine Raketen ein. Gekämpft wird am Computer.
Ankit Fadia, 17, Computerexperte, Buchautor und gefeiertes Wunderkind der indischen Hackerszene, erhebt jetzt Vorwürfe gegen den pakistanischen Geheimdienst Inter Services Intelligence (ISI). Glaubt man Fadia, bezahle der Dienst ausländische "Cracker", die kriminelle Version des "Hackers", für "Anschläge" auf indische Websites. Bis zu 10.000 US-Dollar Honorar soll der ISI pro Angriff springen lassen. Die Anschuldigungen des Star-Hackers markieren den bisherigen Höhepunkt eines jahrelangen Info-Krieges zwischen verfeindeten Hacker-Clubs der beiden Staaten, bei dem es vor allem um eines geht: Aufmerksamkeit.
In geheimer Mission
Fadias Anschuldigungen basieren angeblich auf seinen eigenen Recherchen. Mit einer manipulierten IP-Adresse habe er sich als Pakistani ausgegeben und in die gegnerische Kommunikation eingeschaltet. Später sei er in das Computersystem in Islamabad eingedrungen und habe belastende E-Mails kopieren können. Auch als Reporter getarnt habe er Informationen von seinen Gegnern erhalten, die er jetzt gegen sie verwenden will. Die indische Presse umjubelte ihn jüngst als Sherlock Holmes des Cybercrime.
Virtuelle "Free Kashmir"-Graffiti
Die Fronten sind also geklärt. Auf pakistanischer Seite stehen Hackergruppen, die sich G-Force, Silver Lords oder Pakistan Hackerz Club (Phc) nennen. Der virtuell erzwungene Rückzug Indiens aus Kaschmir ist das erklärte Ziel. Dazu platzieren die Pakistanis Parolen wie "Free Kashmir" auf indischen Websites. In vielen Fällen jedoch sind die Cracker-Hinterlassenschaften purer Vandalismus, von politischen Aussagen keine Spur. Suresh Ramasubramanian, Gründer der Anti-Junkmail-Vereinigung CAUSE (Coalition Against Unsolicited Commercial E-Mail), sagt: "99,9 Prozent der Angriffe auf indische Websites erfolgen nur aus Spaß, zum Zeitvertreib. Die meisten Cracker sind gelangweilte Kids, die keine anderen Hobbys haben." Politische Motive seien weitgehend unbedeutend.
Björn Brückerhoff
ist Student und gibt seit 1998 das Online-Magazin "Die Gegenwart" heraus.
Auf der Gegenseite haben Cracker, die sich "Roxx of Calcutta" oder "Cobra of Thiruvananthapuram" nennen, bei den "Indian Snakes" oder dem "Indian Hackers Club" ebenfalls eindeutige Ziele. Abwehr der "pakistanischen Aggression" und Drohgebärden, um indische Websites vor Angriffen aus dem Nachbarland zu schützen, stehen auf der Prioritätenliste ganz oben. Aktuell droht man aus Neu-Delhi, "Yaha-Q" einzusetzen, eine aktuelle Ausführung des berüchtigten Computerwurms "Yaha", der in älteren Versionen bereits für Ärger auf pakistanischer Seite gesorgt hatte. Unter anderem sei er dafür verantwortlich, dass pakistanische Regierungswebsites für fünf Wochen lahm gelegt worden seien.
Gefecht um Popularität
Seit Ankit Fadia den 750-Seiten-Bestseller "The Unofficial Guide to Ethical Hacking" in angeblich nur 20 Tagen geschrieben hat, ist er das berühmteste Gesicht der indischen Computerszene. Inzwischen hat Fadia zwei weitere Bücher verfasst, die demnächst auch in Australien veröffentlicht werden, wo sich Fadia derzeit als Redner auf der Hack Expo 2003 aufhält. Die Hack Expo ist eine international besetzte Hacker-Konferenz in Melbourne. Nicht zuletzt deshalb kann der indische Hacker-Guru, dessen Homepage seit einiger Zeit unerreichbar ist, durch seine neuerlichen Beschuldigungen einen Aufmerksamkeitssieg verbuchen, der gut für den Verkauf seiner Werke sein dürfte. Seiner Popularität in der indischen Computerszene wird der Vorstoß auch nicht schaden.
Fadia setzt mit seiner Geheimdienstgeschichte übrigens nur einen Gegenpol zu pakistanischen Verschwörungstheorien. Dort geht man unter anderem davon aus, dass sich Inder im Netz gegenüber US-Amerikanern und anderen Ausländern als Pakistanis ausgäben und den Ruf Kaschmirs im Ausland schädigen wollten.