Das Phänomen war da, nur der Name fehlte. Wie definiert man Texte von Menschen, die auf eigene Faust im Internet publizieren, und zwar nicht in egozentrischer Tagebuchform, sondern mit Inhalten, die von allgemeinem Interesse sind? »Me-Zine« (Ich- Magazin) lautete eine der Wortschöpfungen, die die Internetgemeinde kurzfristig benutzt und dann schnell verworfen hatte. Jetzt hat das Phänomen einen Namen: »Blog«, als Abkürzung des Begriffs »Web-Log«.
Blog-Pionier Drudge enthüllte Lewinsky-Affäre
Das World Wide Web entwickelte sich gerade zum Massenmedium, als Pioniere wie Matt Drudge begannen, online ein wachsendes internationales Publikum anzusprechen. Die 1996 eingerichtete Adresse www.drudgereport.com wurde berühmt, als der Betreiber eine vom Magazin »Newsweek« zunächst zurückgehaltene Sensation ausplauderte: die Affäre Präsident Clintons mit der Praktikantin Monica Lewinsky.
Auch die Veteranen sind noch aktiv
Drudgereport.com liefert persönliche Kommentare des Betreibers. Darüber hinaus führen Seitenverweise den Leser zu weiteren Informationen. Nach diesem Bauprinzip entwickelten sich hunderte von Internetauftritten, die zunächst vor allem technische Themen behandelten. Bis heute existieren die Blogs von Trendsettern wie dem New Yorker Web-Designer Cameron Barrett oder seinem Branchenkollegen Jason Kottke. In Deutschland hat sich der EDV-Spezialist Jörg Kantel mit Shockwellenreiter.de als so genannter Blogger einen Namen gemacht.
Auch Journalisten gehören zu den Bloggern
Auch Journalisten von prestigeträchtigen Publikationen nutzen ihren guten Namen. Zu den Web-Autoren in den USA gehören erfahrene Leute wie der ehemalige »Newsweek«-Reporter Mickey Kaus sowie die »New York Times«-Mitarbeiter Andrew Sullivan und Virginia Postrel.
In Deutschland schreiben Journalisten unter anderem an dem kollaborativen Blog »Paranews«. Zu den Herausgebern gehören Christoph Drösser von der »Zeit«, Jochen Wegner von »Focus« und der ehemalige Leiter des »Zeit«-Onlineauftritts, Lorenz Lorenz-Meyer. Der »Spiegel«-Journalist Henryk M. Broder machte aus seinen gesammelten Online-Anmerkungen gar ein Buch mit dem Titel »www.deutsche-leidkultur.de«.
Reich wird man nicht mit seinem Blog
Mit einem Blog allein lässt sich kaum reich werden; manche Autoren erhalten gerade genügend Leserspenden, um das Online-Angebot zu finanzieren. Mickey Kaus machte sich im vergangenen Jahr noch öffentlich über einen Gewinn von immerhin 318,60 Dollar (322 Euro) lustig. Die »Kausfiles« gehören inzwischen zum von Microsoft herausgegebenen Online-Magazin »Slate«.
Geschätzte Blog-Zahl: 100.000
Die Zahl der Blogs beläuft sich nach Schätzungen des Magazins »Wired« auf über 100.000 Internetauftritte. Die Themenvielfalt ist groß: Unter der Adresse g-blog.net sind Bücherliebhaber, Sportfans und Reiselustige zu finden. Die neueste Entwicklung in der Blog-Heimat USA sind Seiten von Autoren, die den Spitznamen »War Blogger« tragen. Nach dem 11. September vergangenen Jahres schrieben sie sich ihre Empörung von der Seele. Eine Übersicht bietet die Webseite www.blogbook.blogspot.com.
Tilman Streif & Miriam Tang, dpa