Streaming-Dienste waren einst die Hoffnung geplagter Fernseh-Zuschauer, endlich mal einen Film oder eine Serie ohne zahllose Werbeunterbrechungen schauen zu können. Das ändert sich wohl in Zukunft, denn Disney plant noch in diesem Jahr die Einführung eines günstigen Abos mit Werbepausen – und Netflix, lange ein Bollwerk gegen Werbespots, schließt nicht länger aus, das Geschäftsmodell zu überdenken.
Was Disney+ in diesem Jahr wohl auch in Deutschland testen möchte, könnte am Ende die gesamte Streaming-Landschaft beeinflussen. Der Konzern teilte mit, eine günstigere Abo-Option anbieten zu wollen, dann aber mit kleinen Werbespots vor den Inhalten, vielleicht auch mittendrin.
Für Disney ist das kein gänzlich neues Konzept, denn die Tochterfirma Hulu bietet eine werbefinanzierte Mitgliedschaft bereits seit geraumer Zeit an – und vergütet die Bereitschaft, sich Werbung anzuschauen, mit einem Rabatt von 6 US-Dollar auf den Abo-Preis in Höhe von 13 US-Dollar.
Wechselt Netflix auf die dunkle Seite der Macht?
Netflix nimmt das offenbar zum Anlass, sich nochmal zu überlegen, ob man an der damaligen Aussage des Gründers, Werbung komme für das Unternehmen nicht in Frage, wirklich weiterhin festhalten will. Auf einer Konferenz erklärte der Finanzchef Spencer Neumann: "Es ist ja nicht so, dass wir etwas gegen Werbung hätten, um das klarzustellen. Aber das ist nichts, was wir im Moment planen. Wir haben ein wirklich schönes, skalierbares Abonnementmodell, und noch einmal: Sag niemals nie, aber das ist nicht in unserem Plan."
Mit einer Umstellung von heute auf morgen ist daher nicht zu rechnen, aber sie bahnt sich an. Das hat mehrere Gründe: Das Geschäftsmodell der Streaming-Anbieter, insbesondere das von Netflix, basiert auf der Annahme, immer neue Zuschauer gewinnen zu können, gleichzeitig aber alle bisherigen Abonnenten zu behalten. Neueste Zahlen zeigen: Das Konzept geht nicht mehr ohne weiteres auf, das unendliche Wachstum ist endlich.
Mit 8,3 Millionen neuen Nutzern hat Netflix in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres nicht nur weniger Neuabonnenten gewonnen als erwartet. Es zeichnet sich auch ab, dass es der Beginn eines viel stärkeren Einbrechens ist: Für die ersten drei Monate 2022 erwartet Netflix nur noch ein Neukunden-Wachstum von 2,5 Millionen Nutzern. Gegenüber Investoren spricht das Unternehmen bereits von "marginalem Wachstum".

Zu viele Anbieter
Erschwerend kommt die große Menge neuer Dienste hinzu, der Markt wird für das ursprüngliche Konzept zu zerklüftet. War es vor wenigen Jahren keine Frage, wo sämtliche Filme und Serien landen, braucht es heute beinahe eine Programmzeitschrift, um zu wissen, bei welchem Anbieter was läuft. Alleine in Deutschland teilen sich unter anderem Netflix, Amazon Prime Video, RTL Plus, Apple TV Plus, Disney Plus, Joyn Plus, Magenta TV und Sky Blockbuster und Serienklassiker auf – und neue Anbieter stehen für 2022 schon in den Startlöchern.
Daraus resultiert, dass die Kataloge der einzelnen Portale schrumpfen und man keine zentrale Anlaufstelle für alle Serien und Filme mehr hat. Die Folge: Kunden nutzen die monatliche Kündigungsoption, sofern vorhanden, wesentlich häufiger und tauschen Vertragstreue gegen Auswahl. Eine Beibehaltung aller Abos kommt selten in Frage, hier würden sich die Kosten auf dreistellige Summen aufaddieren.
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Mögliche Auswege: Preiserhöhungen, Preissenkungen mit Werbefinanzierung oder weniger Wachstum. Und alle Optionen sind ein Problem. Das bekommt Netflix aktuell in Deutschland zu spüren – denn hier, wie auch in den Staaten, wollte der Anbieter mit höheren Preisen für bessere Umsätze sorgen. Aufgrund unklarer Gründe, warum Kunden erneut eine Erhöhung droht, läuft vor dem Landgericht Berlin aktuell eine Klage von Verbraucherschützern mit relativ guten Aussichten. So gut, dass die Stiftung Warentest bereits einen Musterbrief zur Rückforderung von Mehrkosten durch Preiserhöhungen vorbereitet hat (den Brief und alle Infos finden Sie hier).
Werbung als Ausweg
Weniger Wachstum kommt ebenfalls für börsennotierte Unternehmen nicht in Frage, da es sich in den Quartalsberichten schlecht macht, wenn man keine gestiegenen Umsätze vorweisen kann. Bleibt also Werbung, die je nach Penetranz sogar mehr einbringen könnte, als höhere monatliche Kosten für Abos.
Zum Leidwesen der Zuschauer mündet das in einer erstaunlich rasanten Annäherung an das klassische Fernsehen: Sehr viel Auswahl möglicher Kanäle und ständige Werbung. Seit Jahren heißt es daher scherzhaft, dass Streaming-Dienste zu Beginn kurz davor waren, Piraterie von Serien und Filmen überflüssig gemacht zu haben, jetzt aber alle fleißig bei der Renaissance aktiv mithelfen.
Quelle: Variety