Elon Musk hat eine hohe nachweisliche Bilanz gebrochener Versprechen. Besonders wenn man sich seinen Fahrzeug-Konzern Tesla anschaut, finden sich in den vergangenen Jahren zahllose Beispiele dafür, dass der Milliardär und Multi-CEO nicht selten mehr ankündigt, als er halten kann. Das ist im Falle verschobener Marktstarts für Autos zwar ärgerlich, schadet aber niemandem. Geht es aber um medizinische Produkte, die direkt am Hirn der Patienten andocken, steigt das Gefahrenpotenzial akuter Überschätzung.
Man sollte also genau hinschauen, wenn Musk sich auf X, vormals Twitter, darüber freut, dass die Forschung seines Unternehmens Neuralink bald den ersten menschlichen Patienten aufnimmt. Kürzlich verkündete er: "Der erste menschliche Patient wird bald ein Neuralink-Gerät erhalten. Dies hat letztlich das Potenzial, die vollständige Körperbewegung wiederherzustellen. [...] Stellen Sie sich vor, Stephen Hawking hätte das gehabt."
Ärztliche Berichte widersprechen Elon Musk
Der Weg bis zu diesem Beitrag von Musk war lang und steinig. Das junge Unternehmen Neuralink geriet aufgrund der Experimente an Tieren nicht nur einmal in die Kritik – und ist seitdem auffallend bemüht, das Image des glücklichen Laboraffen zu verbreiten. Das geht sogar so weit, dass Musk schreibt, man habe für die ersten Versuche nur "Affen im Endstadium" genutzt, um das Risiko für gesunde Tiere zu minimieren. Musk verkündete außerdem: "Kein Affe ist an den Folgen eines Neuralink-Implantats gestorben." Der Tod von Tieren, über die es Aufzeichnungen gebe, sei laut Musk nicht auf die Experimente zurückzuführen.
Ein ausführlicher und grausamer Bericht des US-Magazins "Wired" widerspricht dieser Aussage deutlich. Demnach habe die medizinische Ethikgruppe Physicians Committee for Responsible Medicine kürzlich sogar Beschwerde bei der US-Börsenaufsichtsbehörde (SEC) eingereicht. Die Gruppe fordert, dass die Beamten prüfen, ob Musks Aussagen stimmen oder in Wahrheit Komplikationen bei den Implantationsverfahren zu dem Tod der Tiere führten. Sie stützen sich dabei auf tierärztliche Aufzeichnungen, die ein düsteres Bild von der Arbeit hinter den Kulissen zeichnen.
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"Wired" hat einen Teil der Berichte ausgewertet und mit einem ehemaligen Neuralink-Mitarbeiter gesprochen. Es heißt, in den ärztlichen Aufzeichnungen sei die Rede einer ganzen Reihe von Komplikationen, die nach Experimenten auftraten. Die Elektroden, die chirurgisch in die Gehirne von Affen implantiert wurden, hätten blutigen Durchfall, partielle Lähmungen und Hirnödeme verursacht. Bei mindestens einem Dutzend Tiere sei nachweisbar, dass sie aufgrund der schweren gesundheitlichen Folgen eingeschläfert werden mussten.
"Wired" nennt in dem Bericht eine Handvoll konkreter Beispiele und beschreibt das Leiden der Tiere äußerst grafisch. Dabei ist die Rede von Entzündungen, auffälligem, fast panischem Verhalten und zwanghafter Selbstverstümmelung. In einem Fall habe sich den Berichten zufolge ein Implantat gelöst. Zwei Schrauben, so heißt es, hätten sich soweit gelockert, dass der Chip einfach anzuheben war. Das Tier musste deshalb eingeschläfert werden. Ein Fall, der zeigt, dass Musk den Berichten des eigenen Unternehmens zu widersprechen scheint.
Neuralink sucht nach Probanden
Der ehemalige Mitarbeiter, den "Wired" mit den Beiträgen von Musk konfrontierte, sagte, dass besonders der Teil mit den "Affen im Endstadium" schlichtweg "lächerlich" sei. Ihm zufolge mussten die Tiere vor den Eingriffen für etwa ein Jahr in ein Programm für Verhaltenstraining. Das schließe Affen aus, die nur noch eine geringe Lebenserwartung hätten.
Aufgrund von Bedenken wurde Neuralink die Forschung an Menschen durch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) Anfang 2022 noch untersagt. Laut "Reuters" betrafen die größten Sicherheitsbedenken der Behörde die Lithiumbatterie und die Möglichkeit, dass die winzigen Drähte des Implantats in andere Bereiche des Gehirns wandern könnten.
Im Mai 2023 erteilte die FDA Neuralink dann doch die Genehmigung für Versuche am Menschen. Und die könnten bald beginnen, denn Neuralink sucht seit wenigen Tagen nach passenden Probanden.