Zu Beginn der Sommeroffensive trugen die ukrainischen Streitkräfte ihre Angriffe mit gepanzerten Kolonnen vor – gedacht im Nato-Stil, wenn auch im kleineren Maßstab. Diese Kampfgruppen waren eine gepanzerte Faust. Mit der Mischung aus dem Schutz der Fahrzeuge, der Geschwindigkeit und der enormen Feuerkraft der schweren Kanonen der Kampfpanzer und den Maschinenkanonen der Schützenpanzer hoffte man, ein Loch in die russischen Gräben zu schlagen und dann weiter vorstoßen zu können. Vermutlich vertraute man auch auf das eigene Narrativ von der schlechten Moral der russischen Soldaten, die vor der Gewalt so einer mechanisierten Gruppe einfach geflohen wären
Schnell zeigte sich: Alles an diesem ursprünglichen Kalkül war falsch. Die Russen flohen nicht. Ihr Verteidigungssystem von sich gegenseitig unterstützenden Positionen war weit effektiver aufgebaut als angenommen. Dann verhinderten Minen und Artillerie schnelle Bewegungen gepanzerter Kräfte. Tatsächlich blieben diese Gruppen liegen, bevor sie überhaupt die russischen Vorposten erreicht hatten.
Fehlende Voraussetzungen
Die Einsatzplanung der Nato, beziehungsweise der USA, sieht vor, mit einem entschlossenen Schwerpunkt starker Kräfte den Gegner an einem seiner schwachen Punkte niederzuringen. Letztlich geht die Idee auf Clausewitz zurück. Und schnell war die Kritik da, die besagte, dass Kiew nur darum so geringe Erfolge vorweisen konnte, weil Kiew nicht schnell und entschlossen stärkere Kräfte ins Feld geführt hat.
Das ist vermutlich einfach falsch. Kiews Offensive unterschied sich von Beginn an von jeder Natoplanung. Kiew hat keine nennenswerte Luftunterstützung – so etwas ist bei den US-Kräften überhaupt nicht vorgesehen. Im Bereich der Artillerie sind die Russen an der Front meist überlegen, dazu gelang es Kiew weder an der ganzen Front, noch an einzelnen Abschnitten, eine zahlenmäßige Überlegenheit zu erreichen. Alles Grundvoraussetzungen für eine Offensive nach westlichen Vorstellungen. Dass dazu altertümliche Minenfelder und statische Verteidigungsanlagen so effektiv sein könnten, war schlicht nicht vorgesehen. Hinzu kam, dass jede Form von Bewegung nahe der Front von Drohnen erspäht wird.
Die Infanterie trägt die Last der Kämpfe
Kiews militärische Führung war in der Lage, relativ schnell dieses verhängnisvolle Vorgehen fallen zu lassen und andere Methoden anzuwenden. Sie basieren im Wesentlichen auf Fußsoldaten. Seitdem trägt die Infanterie die Hauptlast der Kämpfe.
Zuerst konzentrierten sich die Ukrainer darauf, kleine Gruppen von Soldaten entlang der Baumreihen vorgehen zu lassen, die dort die Landschaft prägen. Dort waren zu Beginn weniger Minen ausgebracht, die Bäume bieten Schutz vor gegnerischem Feuer und vor vorzeitiger Entdeckung.
Auf diese Weise wurden unentwegt kleine Angriffe geführt. Die meisten hatten keinen Erfolg, aber allmählich gelang es, vor allem im Raum Robotyne, die Russen aus ihren Vorposten zu drängen und an wenigen Stellen ihre erste Hauptverteidigungslinie einzudrücken.
Einbuchtung bei Robotyne
Inzwischen halten die Ukrainer diese Position: Ursprünglich kamen sie aus dem Raum um Novodanylivka und Mala Tokmatschka. In einem zähen Kampf gelang es ihnen, die Russen zuerst auf Robotyne zurück zu werfen und schließlich komplett aus dem Ort zu drücken. Dazu beherrschen sie den Raum östlich und sind auf den Rand von Werbowe vorgestoßen. Hier wurde die erste russische Hauptverteidigungslinie durchbrochen, hier ging auch der Challenger 2 Panzer verloren. Die Russen halten weiterhin den Ort Werbowe, setzen sich zumindest teilweise in den Baumreihen südlich von Robotyne fest. Die Russen halten zudem Positionen westlich des Ortes, die Ukrainer versuchen weiter östlich Richtung Süden vorzustoßen.
In diesem Frontabschnitt haben die Ukrainer starke Verbände konzentriert, die mechanisierten Kräfte kommen aber nur gelegentlich zum Einsatz. In den letzten Tagen wird der Kampf wiederum von Infanterietrupps bestritten. Schützenpanzer (IFV) und gepanzerte Transporter (APC) dienen vor allem dazu, die Kämpfer heranzubringen. Denn der Erfolg der Ukrainer bringt eigene Probleme mit sich.
Um aus einer halbwegs sicheren Bereitstellung an die Kontaktlinie zu kommen, müssen fast zehn Kilometer zurückgelegt werden. Infanteristen würden dafür zu lange benötigen. Groß wäre die Gefahr, dass sie auf dem langen Marsch entdeckt und beschossen werden. Auf zahlreichen Videos ist das aktuelle Vorgehen zu erkennen. Mit möglichst großer Geschwindigkeit kommen ein bis drei Transporter heran, halten dann bei einer Baumreihe nahe der Kontaktlinie und setzen die Soldaten ab. Dann verschwinden sie wieder.
Die kleinen Trupps von häufig nur zehn bis zwölf Mann suchen nicht den großen Durchbruch, sie führen einen kleinen Vormarsch durch, um sich dort einzugraben und eine Feuerposition zu errichten. Gelingt das, würde die nächste Gruppe, den gleichen Versuch ein paar hundert Meter weiter machen. So soll in ganz kleinen Schritten eine neue eigene Linie aufgebaut werden. Wenn das ausreichend geschehen ist, kann wiederum ein größerer Angriff mit gepanzerten Kräften geschehen. Abgeschaut wurde dieses Vorgehen von den Wagner-Söldnern in der Schlacht um Bachmut. Hier folgten den Stoßtruppen spezielle "Spatensoldaten", die sofort begonnen hatten, Stellungen anzulegen.

Soldaten gegen Drohnen und Artillerie
Das ukrainische Vorgehen hat Erfolg, weil auch die Russen keine dicht besetzte Frontlinie haben. Dort setzen sie wenig Soldaten ein, damit sie nicht unentwegt von den Ukrainern beschossen werden. In die Lücken dieses porösen Systems sickern die Ukrainer ein.
Für Kiews Kämpfer ist das Ganze ein blutiges Glücksspiel. Häufig erkennen die Russen die sich annähernden Taxi-Fahrzeuge frühzeitig. Wenn das geschieht, werden sie in dem Moment mit Artillerie oder Drohnen beschossen, in dem sie halten und die Soldaten mit ihrer Ausrüstung ausborden. Die Chancen, so einen Feuerschlag auf freiem Feld zu überleben, sind gering.
Wirklich spektakuläre Erfolge sind bei diesen Kämpfen, um minimale Verbesserungen nicht zu erwarten. Hier werden die Voraussetzungen geschaffen, um später die Hauptverteidigungslinie der Russen zu überwinden.
Zur Ausbildung von Rekruten der US-Army gehört die Phrase: "Why is the sky blue ? Because god loves the infantry."