Home Entertainment Und Programmchef bist du

DVDs und Flachbildschirme waren nur der Anfang: Die Unterhaltungselektronik steht vor einer digitalen Umwälzung, die unsere Fernsehgewohnheiten verändern wird - und das Fernsehen selbst.

Sonntags 20:15 Uhr Tatort. Täglich 20 Uhr die Tagesschau. Morgens das Morgenmagazin, Mittags Vera am Mittag. Samstagabends die Samstagabendshow, Freitags der Freitagskrimi. Wenn es einen großen Plan gibt, der das Leben der Deutschen strukturiert, dann ist es das Fernsehprogramm.

"Wie sehr man sein Leben auf solche Zeiten eingestellt hatte, merkt man eigentlich erst, wenn man sich von ihnen unabhängig gemacht hat", sagt Andreas Lichtenfeld. Unabhängig gemacht hat ihn ein Kasten aus schwarzem Metall, der im Wohnzimmer aufrecht neben dem Fernseher steht. Es ist ein TV-Server der Münchner Firma Fast: ein Aufzeichnungsgerät für Fernsehsendungen, ähnlich einem Videorecorder. Nur dass der Fast für die Aufnahme keine Videocassetten benutzt, sondern eine eingebaute Festplatte, wie sie auch in jedem PC steckt. Das klingt banal, aber es ändert alles.

Unermüdlicher Aufzeichner

Unermüdlich zeichnet der Kasten auf, was die Sender hergeben, Tag und Nacht. "Friends" und "Sex And The City" für die Tochter, Loriot, Jazz-Dokumentationen und täglich die Tagesschau für den Vater. Einmal programmiert, weiß das Gerät, was für seinen Besitzer interessant ist. Also sammelt es fortan alles, was es kriegen kann, in einem riesigen Archiv. 160 Gigabyte Daten, also bis zu 200 Stunden Fernsehen, passen drauf. Leercassetten spulen, Anfangs- und Schlusszeiten raussuchen, VPS oder Showview-Zahlen einprogrammieren und Etiketten beschriften - all das entfällt.

Stattdessen liegen die aufgenommenen Sendungen als digitale Daten auf der Festplatte. In einer übersichtlichen Liste mit Filmtitel und sogar einer kurzen Inhaltsbeschreibung werden sie am Bildschirm angezeigt und sind jederzeit abrufbar. Man kann sogar den Anfang einer Sendung ansehen, während der Rest noch aufgenommen wird: "Wenn ich Lust habe, die Tagesschau erst um zehn nach acht zu sehen, schaue ich sie eben erst um zehn nach acht", sagt Lichtenfeld, dem es inzwischen "geradezu zuwider" ist, die Tagesschau pünktlich um 20 Uhr zu gucken: "Dann fühle ich mich irgendwie bevormundet."

Nur das Beste für die Augen

Fernsehen ist bei Lichtenfeld nicht mehr das, was es mal war. Kein Nebenbei-Medium, keine Berieselungsanlage. Alle paar Tage, meistens sonntags, schaut er sich die Sendungen an, die die vergangene Woche hergegeben hat. Dann erreicht nur das Beste seine Augen, egal, ob es um ein Uhr nachts bei Arte gelaufen ist oder frühmorgens auf Bayern 3. "Viel weniger als früher" sieht Lichtenfeld dadurch jetzt fern, dafür aber "nur noch das, was mich wirklich interessiert". Zappen, "diese blöde Zeitverschwendung", dieses Irgendwas-gucken-was-gerade-läuft, gibt es bei ihm nicht mehr.

So wie Lichtenfeld werden sich in nächster Zeit immer mehr Fernsehzuschauer dem Zeitkorsett der Programmdirektoren entziehen. Eine neue Generation von Unterhaltungselektronik läutet eine dramatische Veränderung im Wohnzimmer an: "Personal Video Recorder" heißen die Geräte, mit denen die Fernsehgewohnheiten der Deutschen umgeworfen werden. Und dabei bleibt es nicht: Radio und Musiksammlung, Fotoalbum und Ferienvideo werden gleich mit revolutioniert. Im "digitalen Lifestyle" sollen PC, Fernseher und Stereoanlage verschmelzen.

Endlich stehen die Geräte in den Läden

Schon seit Jahren ist die Rede von dieser Vision. Doch auf der Computermesse Cebit in Hannover wird sie in dieser Woche Wirklichkeit: Gleich massenhaft sind die Produkte dafür zu sehen. Keine Prototypen mehr und keine Designstudien - diese Geräte stehen auch im Laden. 2004 wird das Jahr des digitalen Wohnzimmers - und alles, was dafür gebraucht wird, ist jetzt zu haben.

Die Revolution findet nicht nur im Wohnzimmer statt, sie wird auch ganze Branchen verändern. Zum Beispiel die Werbung. Setzt sich überall durch, was Leute wie Lichtenfeld schon machen, wird das massive Auswirkungen auf das Einnahmemodell der privaten TV-Sender haben - weil nämlich niemand mehr Werbung sehen muss.

Der Liebling ist die "Jump-Taste"

Eine von Lichtenfelds Lieblingsfunktionen beim Fast ist die "Jump"-Taste. Damit kann er innerhalb aufgenommener Sendungen per Knopfdruck eine Minute vorwärts springen - das geht, weil eine Festplatte anders als eine Cassette nicht gespult werden muss. Werbeblock für Werbeblock lässt er so - klick, klick - hinter sich. Auch nervige Trailer und debile Halbzeitinterviews muss er sich nicht mehr antun. Wenn aber keiner mehr Werbung sieht, wer sollte dann noch TV-Spots schalten und die Sender dafür bezahlen?

Auch die Computer- und Unterhaltungselektronikbranche steht durch Erfindungen wie den Fast-TV-Server vor massiven Umwälzungen. Wenn Filme, Fotos und Musik plötzlich digital werden, dann konkurrieren auf einmal Konzerne aus der PC-Welt wie Intel, Microsoft, Dell und Hewlett-Packard mit Unterhaltungselektronikfirmen wie Philips oder Panasonic um die besten Plätze vor der Couchgarnitur.

Immer neue Geräte stellen sie vor, die alles mit allem in einem Heimnetzwerk verbinden sollen: Computertechnik, Fernseh- und Hi-Fi-Technologie verschmelzen zu einer Einheit, bei der Stereoanlagen mit dem Laptop verbunden sind, TV-Geräte mit Funknetzwerken, Radios mit MP3-Abspielgeräten und CD-Player mit dem Internet.

Nichts anderes als ein Computer

Auch der Fast-TV-Server von Andreas Lichtenfeld ist im Grunde nichts anderes als ein Computer. Bedient wird er mit der Fernbedienung und nicht mit Tastatur und Maus. Und auch sonst hat er äußerlich kaum noch etwas von seinen nahen Verwandten, den grauen PC-Kisten. 1500 Euro hat Lichtenfeld das Gerät gekostet, eine Summe, für die man 25 DVD-Player kaufen könnte. Doch bereut hat Lichtenfeld die Investition nicht: "Das steigert die Lebensqualität ganz enorm."

Sogar die Fernsehzeitschrift hat er inzwischen abbestellt. Die wichtigsten Programminformationen liefert ihm sein Fernseh-Computer direkt auf den Bildschirm - EPG, Electronic Program Guide, heißt das in der Sprache der Gerätehersteller. Übersichtlich ordnet der EPG die Sendungen in Kategorien wie Spielfilme, Sport und Kultur. So, dass Lichtenfeld nur einmal auf die Fernbedienung drücken muss, wenn er etwas aufnehmen will.

Computerhersteller müssen neue Wege gehen

Solcher Komfort ist auch für Jutta Kleberg inzwischen selbstverständlich geworden - obwohl sie am Anfang "total Technik-skeptisch" war. Bis ihr Ehemann Stephan vor einem halben Jahr das Activy Media Center von Fujitsu Siemens ins Wohnzimmer holte. Das ist ein Wohnzimmer-PC, der noch mehr Möglichkeiten bietet als ein Fast-Server. Fujitsu Siemens ist eigentlich ein Computerhersteller, der sich lange damit begnügte, Büros mit Arbeitsplatzrechnern und Servern zu beliefern. Um bei Familien wie den Klebergs eine Chance zu haben, musste Fujitsu Siemens ganz neue Wege gehen: eine simple Benutzeroberfläche programmieren, einen geräuscharmem Lüfter einbauen und ein wohnzimmertaugliches Design schaffen.

Das gelang immerhin so gut, dass Frau Kleberg die Anschaffung des Geräts nicht verhinderte. Dass sie es inzwischen sogar regelmäßig nutzt, hat aber einen anderen Grund: die Timeshift-Funktion. Das ist eine andere Bezeichnung für die Pausentaste, mit der sich bei all diesen Geräten das laufende Fernsehprogramm anhalten lässt. "Für stillende Mütter gibt es nichts Besseres", sagt Frau Kleberg.

Gerade vier Wochen alt ist ihr Baby, und das kriegt Hunger, nicht nur häufig, sondern vor allem unregelmäßig. Doch wenn Mama zum Stillen gerufen wird, kann sie das laufende Programm mit einem Druck auf die Fernbedienung unterbrechen. Während das Activy das Bild auf dem Schirm einfriert, speichert es im Hintergrund das laufende Fernsehsignal auf der Festplatte.

Ist das Baby satt und schläft, setzt Kleberg das Programm mit einem Druck auf die Pausetaste da fort, wo sie es unterbrochen hat. Da der PC gleichzeitig aufzeichnen und abspielen kann, sieht sie den Rest der Sendung fortan zeitversetzt: Sie hängt ein paar Minuten hinterher - die sie bei einer Werbepause sogar wieder einholen kann.

Vom Sofa aus ins Web

Das Activy kann noch mehr: Über ein drahtloses Netzwerk ist es mit dem Internet verbunden, sodass man vom Sofa aus im Netz surfen und E-Mail verschicken kann. Es speichert Digitalfotos auf der Festplatte und zeigt sie auf dem Fernseher an, spielt Musikdateien ab und brennt DVDs. Sogar eine Online-Videothek kann man damit besuchen, deren Filme sich jederzeit mit der Fernbedienung ordern lassen. Titel wie "Hulk" und "2 Fast 2 Furious" sind im Angebot, über eine DSL-Internetverbindung kommen sie ins Wohnzimmer.

Der Wunschfilm kommt direkt ins Haus

Die Daten fließen so schnell, dass es kaum Wartezeiten gibt: Innerhalb weniger Sekunden lassen sich die Filme starten. Der Gang zur Videothek entfällt, und dass der gewünschte Film schon von einem anderen ausgeliehen ist, kommt auch nicht vor. Bezahlt wird über die Telefonrechnung. Rund vier Euro kostet ein Spielfilm, 24 Stunden lang hat man Zeit, sich ihn anzuschauen. "Gerade für Familien mit kleinen Kindern, die nicht so einfach aus dem Haus können, ist das wunderbar", sagt Stephan Kleberg.

Die CDs werden in den Keller verbannt

Wer nur aufs Fernsehen schaut, verpasst wesentliche Teile der schönen, neuen Unterhaltungswelt: Ein Heimkino mit Surround-Sound und Riesen-Plasmabildschirm hatte Familie Ratzlaff schon länger. Jetzt haben sie sich auch noch eine Yamaha Musiccast gekauft - und Petra Ratzlaff hat für den CD-Stapel im Regal nur noch einen fast schon verächtlichen Blick übrig: "Die kommen alle in den Keller." Auch die Musiccast ist eigentlich ein Computer, mit Festplatte, CD-Laufwerk und einer Antenne für Datenfunk - allerdings nicht fürs Fernsehen, sondern für Musik.

Wie ein MP3-Player fürs ganze Haus versorgt sie nicht nur die Surroundanlage im Wohnzimmer mit Musik, sondern bis zu sieben Empfänger, die sich in allen Räumen verteilen lassen. Die Ratzlaffs haben drei: einen unten in der Sauna, einen oben im Bad und einen im Flur bei der Küche. Alles, was dort aus den Boxen kommt, stammt aus dem Musikarchiv des silbernen Servers, der die Songs aus dem Wohnzimmer sendet - ohne Kabel, per Datenfunk.

Mit dem Musiccast-Netz können die Ratzlaffs überall im Haus auf alle gespeicherten CD-Alben zugreifen. Während oben Grönemeyer läuft, sendet die Musiccast Abba in die Küche. Kleine Displays an den Abspielstationen zeigen an, was auf der Server-Festplatte liegt, und ermöglichen freie Auswahl wie bei einer Jukebox.

100 CDs passen in den Speicher. Nach dem Aufstehen im Badezimmer, im Keller beim Bügeln und im Wohnzimmer beim Ausspannen lässt Frau Ratzlaff die Musiccast laufen. "Eigentlich hatten wir uns das Gerät nur zugelegt, um keine Kabel im Haus verlegen zu müssen. Jetzt kann ich überall hören, was ich möchte, ohne jedes Mal CDs rauskramen zu müssen."

Dafür muss sie erst einmal alles digitalisieren. Doch das geht fast wie von selbst. Sobald sie ein neu gekauftes Album ins CD-Fach der Musiccast schiebt, kopiert die Anlage die Songs automatisch auf die Festplatte. Aus einer Datenbank holt sie sich den passenden Künstlernamen, Album- und die Songtitel. Etwa fünf Minuten dauert es, bis der Inhalt eines Albums auf die Festplatte kopiert ist - dann kann die CD in den Keller. Oder bestenfalls noch ins Auto. CDs werden im Hause Ratzlaff nicht mehr gebraucht.

Der Niedergang der CD geht weiter

Und auch anderswo immer weniger. Denn die digitale Wohnzimmer-Revolution könnte auch zur Folge haben, dass die CD weiter an Bedeutung verliert. Nicht nur, dass Millionen Deutsche ihre Songs schon lange - meist illegal - aus dem Internet herunterladen. Auch die Plattenindustrie setzt inzwischen auf MP3: Wenn im Laufe diese Jahres - wie angekündigt - endlich ein attraktiver, legaler Online-Musikmarkt entsteht, wird das die CD-Verkäufe weiter schrumpfen lassen. Dann wird Musik hauptsächlich in Form von Dateien gekauft und gehört.

Die High-Tech-Revolution ist längst im Gange. Schon jetzt machen digitale Unterhaltungsgeräte in Deutschland mehr Umsatz als analoge, frohlockt der IT-Branchenverband Bitkom, der für das laufende Jahr Zuwächse von 13 Prozent erwartet. Jedem Aldi- und Lidl-PC liegt inzwischen eine Fernbedienung bei; Computerfirmen wie Pinnacle, Hauppauge und Microsoft bringen immer neue Geräte heraus, die PC und TV kombinieren. Fernsehen, Musik, digitale Fotografie, Internet und Spielekonsolen lernen sich kennen, und mit immer leistungsfähigeren MP3- und Video-Playern lässt sich das digitale Medienarchiv sogar unterwegs noch nutzen.

Jetzt zeigt sich, dass die Einführung der DVD vor sieben Jahren nur der Einstieg in die totale digitale Umwälzung des Wohnzimmers war. Die Ablösung der Röhrenbildschirme durch Plasma- und LCD-Technik war nur eine Etappe, als Nächstes kommen digitaler Fernsehempfang, hoch auflösende Fernsehbilder (HDTV) und die Vernetzung mit dem PC zu einem Universalanzeigegerät für Fernsehen, Fotos, selbst gedrehte Filme und das Internet.

Süchtig nach dem technischen Optimum

Rudolf Louven ist dieser Vision schon recht nah gekommen. Er ist ein Freak, einer, der Zeitschriften abonniert, die "Video" und "Audiovision" heißen. Dessen Söhne mit neun und zehn Jahren schon eigene PCs im Kinderzimmer haben. In dessen Haus sich unsichtbar ein Funknetz hält. Dessen Frau lange gebraucht hat, sich an all das zu gewöhnen.

Er selbst nennt sich "süchtig". Süchtig nach dem technischen Optimum. Wenn er im Urlaub ist, nimmt er alles mit einem Camcorder auf, digital, versteht sich. Fotos macht er natürlich mit einer Digitalkamera ("ein altes Modell, nur zwei Megapixel"). Sogar alte Dias scannt er ein, um sie sich auf dem Bildschirm anschauen zu können. Wenn er wieder zu Hause ist, schneidet er die Urlaubsfilme am PC und versieht sie mit Titeln und Effekten.

Inmitten der Surroundsoundanlage sitzt er auf dem Sofa und surft. Mit der kabellosen Tastatur auf dem Schoß kontrolliert er seine Ebay-Auktionen und ruft E-Mails ab. "Das alles ist noch nicht optimal", sagt Louven. "Die TV-Auflösung ist zu schlecht, um Webseiten vernünftig darzustellen." Trotzdem sitzt er lieber hier, im Zentrum des Hauses bei Frau und Kindern, als allein oben im Arbeitszimmer.

Dort surrt der PC, auf dem Louven seine Fotosammlung gespeichert hat. Natürlich ist "XP Media Center Edition" installiert, das neue Windows-Betriebssystem, das extra für Multimedia-PCs zugeschnitten wurde. Hier lagern die digitalen Schätze der Familie Louven. Weil Wohnzimmer und Arbeitszimmer vernetzt sind, kann Louven die Bilder über eine Datenleitung ins Wohnzimmer holen, wo er sie über ein Activy Media Center auf den Fernsehschirm schickt - Fotos von seinem 40. Geburtstag, die Videoaufnahme vom Berlin-Besuch im Bundestags-Plenarsaal. Und auch MP3-Dateien kommen über die hauseigene Datenleitung auf die Wohnzimmerboxen.

Das Einzige, was Louven wurmt, ist, dass er immer noch einen Röhrenbildschirm hat. "Da, über dem Bord, würde sich so ein LCD-Monitor doch ganz hervorragend machen, oder?", fragt er.

Seine Frau seufzt.

Ulf Schönert
Mitarbeit: Thomas Borchert, Karl-Gerhard Haas, Dirk Liedtke

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