Zum ersten Mal ist es ukrainischen Marinedrohnen gelungen, ein Schiff nicht nur zu beschädigen, sondern komplett zu zerstören. Das Besondere an dem Angriff sind Planung und Durchführung. Im Gefecht dominierten die ukrainischen Boote, die russische Raketenkorvette hatte keine Chance.
Bei dem Ziel handelte es sich um die "Ivanovets", ein Boot der Tarantul-Klasse (Projekt 12411). Diese Form von kleinen Raketenbooten ist eine russisch-sowjetische Spezialität. Das Schiff ist nur 50 Meter lang und verdrängt etwa 500 Tonnen, bewegt sich dafür aber sehr schnell und kann 42 Knoten beziehungsweise 78 Km/h erreichen. Die Hauptbewaffnung machen Antischiffsraketen vom Typ P-270 Mosquito aus. Die Nato-Bezeichnung lautet SS-N-22 Sunburn.
Die Raketen reichen bis zu 160 Kilometer weit und tragen einen Gefechtskopf von 300 Kilogramm. Damit wird die kleine Korvette auch für große Schiffe zu einer Bedrohung. Die Tarantul-Klasse ist eine Art modernes Torpedoboot auf Steroiden. Weil aber die Ukraine ihre Überwasserschiffe verloren hat, ist das Boot mit seinem ursprünglichen Einsatzprofil derzeit nutzlos.
Unerkannte Annäherung
Den Ukrainern gelang es, sich mit sechs Marinedrohnen vom Typ Magura V unbemerkt dem Stützpunkt Donuzlav der Schwarzmeerflotte zu nähern. Erste Berichte waren davon ausgegangen, dass die Drohnen in die abgeschirmte Lagune eindringen konnten. Mittlerweile heißt es, die "Ivanovets" sei nicht hinter den Sperren gewesen, sie hätte selbst die Einfahrt gesichert. Sicher scheint jedenfalls, dass die Drohnen nicht von irgendwelchen Sensoren entdeckt worden sind. Offenbar hat die Besatzung der "Ivanovets" die Drohnen auf kurze Distanz gesichtet. Zu spät, das Raketenboot war zwar in Fahrt, aber es konnte nicht mehr ausreichend beschleunigen. Mit seiner hohen Endgeschwindigkeit hätte es die Drohnenboote hinter sich gelassen, aann aber auch die Einfahrt in die Lagune freigegeben.
Praktisch wehrlos
Es sieht so aus, als hätte nur die Wache an Bord mit Maschinengewehren eingegriffen. Schwer zu sagen, ob die Russen die Drohnen treffen konnten. So oder so hätte MG-Feuer die Boote zwar beschädigt, einen Einschlag aber kaum verhindern können. An Bord der "Ivanovets befanden sich aber auch zwei Maschinenkanonen für die Luftnahverteidigung. Die AK-630 ist eine Gatling-Kanone mit rotierenden Läufen im Kaliber 30 Millimeter. Sie hätte die Drohnen mit Sicherheit zerfetzt, wenn sie als Ziel erfasst worden wären. Ein ähnliches US-System, die Mark 15 Phalanx, konnte vor wenigen Tagen eine Huthi-Rakete abschießen. Zumindest ein Geschützt soll gefeuert haben, doch vermutlich konnte das Radar die kleine Drohne nicht erfassen.
Nach ukrainischen Angaben griffen zwei Drohnen zunächst die Ruderanlagen an beiden Seiten des Schiffes an. Danach war das Schiff manövrierunfähig und ein leichtes Ziel. Im nächsten Schritt soll eine weitere, also die dritte Drohne die "Ivanovets" mittschiffs getroffen haben. Der vierte Treffer, ebenfalls in der Mitte, führte zur Explosion der schweren Sunburn-Raketen. Das Raketenboot wurde förmlich zerrissen.
Auffällig ist, wie viele Boote die Ukrainer auf ihr Ziel angesetzt hatten. So konnten sie sicher sein, den Gegner nicht nur zu beschädigen, sondern komplett zu zerstören. Bei einer Kommandoaktion wie dieser muss wohl immer auch damit gerechnet werden, dass einzelne Drohnen ausfallen. Zugleich steigt mit einer höheren Zahl an Drohnen auch die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden. Angeblich wurde der Einsatz mit Hilfe von Satelliten koordiniert, also mit direkter Hilfe der westlichen Verbündeten.
David gegen Goliath
Der Einsatz darf in jedem Fall als psychologischer Triumph für die Ukraine gelten, auch weil Erfolge ohne eigene Verluste in diesem Krieg selten sind. Kriegsentscheidend ist der Verlust des kleinen Raketenbootes indes nicht. Da die Ukraine keine nennenswerte Kriegsmarine mehr verfügt, kann Putins Flotte ohnehin wenig bewirken. Und auch wenn Putins Schiffe derzeit keinem Einsatzzweck dienen, bleiben sie doch wertvolle Militärziele und jeder Verlust schmälert Russlands militärisches Potenzial. Kiew hat hier einen strukturellen Vorteil, profitiert von einer David-gegen-Goliath-Konstellation.
Auffällig bleibt die Hilflosigkeit der Korvette, wenn sie – wie hier geschehen – als Wächter eingesetzt wird. Die kleinen Marinedrohnen, die kaum aus dem Wasser ragen, sind von einem nicht stabilisierten Maschinengewehr, das auf einem schwankenden Boot eingesetzt wird, ganz offensichtlich nicht wirkungsvoll zu bekämpfen, das 76-Millimeter-Geschütz und die gewaltigen Antischiffsraketen mithin nutzlos gegen Ziele dieser Machart. Und auch die mächtigen Maschinenkanonen sind nachts nur von wenig Nutzen, wenn sie "blind" ohne Zielerfassung arbeiten.
Im Ukrainekrieg profitiert Kiew einseitig von den Erfolgen der neuen Marinedrohnen. Im Westen hingegen sollte der Jubel trotzdem verhalten ausfallen. Was Kiew zuwege bringt, ist auch für Russland, den Iran oder Nordkorea nicht unerreichbar. Letztlich ist jeder Staat mit einer Rüstungsindustrie in der Lage, diese Drohnen bauen. Die Macht der USA stützt sich auf die Herrschaft zur See, auf die Flotte. Billige Innovationen, die selbst Großschiffen zusetzen, könnten die weltweite Machtprojektion der Vereinigten Staaten gefährden. Es wäre durchaus denkbar, dass schon bald Huthi-Drohnen US-Kriegsschiffe im Roten Meer bedrohen.