Fernsehkoch über "Henssler hinter Gittern" "An einem Häftling habe ich mir die Zähne ausgebissen"

In der neuen Doku-Reihe "Henssler hinter Gittern" kocht Steffen Henssler mit Häftlingen. Im stern-Interview erzählt er von deren ersten Pfannkuchen und einem besonders schwierigen Kandidaten.

Herr Henssler, Sie kochen im Gefängnis. Was war so reizvoll am Knast – mal abgesehen von einer wahrscheinlich guten Quote? Darauf lassen jedenfalls andere Formate wie "Hinter Gittern", "Der Knastarzt" und ähnliches schließen.

Ich wollte immer schon mal ein Gefängnis von innen kennenlernen. Vor allem die Menschen dort. Wir haben eine Dokumentation gedreht, das ist etwas anderes als eine Comedy-Sendung. Die fünf Wochen in Bremen waren sehr spannend. Ich hatte die Chance, anderen etwas zu vermitteln. Auch wenn es nur so etwas "Banales" wie das Kochen ist.

Wer hatte die Idee zu dieser eher ungewöhnlichen Kochsendung?

Das ist weniger eine Kochsendung, sondern mehr eine Dokumentation. Die Produktionsfirma ist mit der Idee an mich herangetreten. Die JVA Bremen wollte ein Bistro eröffnen, das hat gut gepasst. Ich wollte nicht einfach nur in den Knast gehen, sondern den Jungs etwas für die Zukunft mitgeben.

Wie wurden die teilnehmenden Häftlinge ausgewählt?

Es gab einen Aushang und die Möglichkeit, sich zu bewerben. Aus den 30 bis 40 Bewerbern haben 15 Leute gewählt. Im weiteren Verlauf hat sich das alles aber noch verschoben. Einige Insassen hatten Hafturlaub, andere haben es sich anders überlegt oder wurden verlegt.

Konnten die Häftlinge schon kochen oder war die Küche Neuland für sie?

Es gab einige, die sich ab und zu in den Gefängnisküchen etwas zubereiten konnten - nur Kleinigkeiten auf zwei Herdplatten, aber immerhin. Für die meisten war das alles aber ziemlich neu.

Hatten die Häftlinge Lust auf das Projekt oder gab es auch Widerstände?

Das Projekt war keine Pflichtveranstaltung. Jeder konnte jederzeit gehen. Aber Lust hatten sie eigentlich alle. Nach einiger Zeit entstand sogar eine gewisse Gruppendynamik. Die meisten waren jeden Morgen pünktlich da, und der eine oder andere hat für sich herausgefunden, dass das Kochen durchaus etwas für ihn sein könnte. Einer hatte zwei Jahre gar nichts gemacht, der war sehr neugierig. Schließlich packte ihn das Projekt, es war eine willkommene Abwechslung zum Knastalltag. Sie hatten immerhin die Chance, ein eigenes Produkt zu entwickeln: Das wird aber noch nicht verraten.

Welches Gericht haben Sie ihnen als erstes beigebracht? Und wie haben sich die Häftlinge beim "Crashkurs Kochen" angestellt?

Das erste Gericht waren Pfannkuchen, das ist relativ einfach. Dann haben wir uns an Spaghetti mit selbstgemachter Tomatensauce und Garnelen herangewagt. Erst habe ich ihnen gezeigt, wie es geht, dann mussten sie selbständig arbeiten. Das hat recht lange gedauert. Man muss sich im Klaren darüber sein, dass die meisten schon lange im Gefängnis sind. Da kann man nicht von Anfang an unter Volllast arbeiten. Deshalb haben wir kleine Herausforderungen eingebaut, um die Konzentration zu steigern. Zum Beispiel mussten sie in 45 Minuten ein Gericht fertig machen oder in kürzester Zeit Zwiebeln schälen und schneiden. Das bedeutet Stress und im Knast kennt man keinen Stress. Wir haben viel miteinander gesprochen und über Abläufe geredet: wie man eine Suppe ansetzt, wie man ein Menü vorbereitet und herausschickt. Das hat viel Zeit gekostet.

Wie kamen Sie mit den Häftlingen zurecht?

Wir hatten ein sehr gutes Verhältnis. Alle waren aufgeschlossen. Alle haben auch einen Fernseher im Zimmer und dachten sich wahrscheinlich: "Geil, der Henssler". Sie haben auch einen guten Instinkt, wer sie nur benutzen will und wer es ehrlich mit ihnen meint. Ich habe ihnen etwas angeboten und das ehrlich gemeint. Deshalb hatten wir einen guten Flow.

Welcher Moment war der schönste während des Drehs?

Der schönste... Das war am Schluss. Die Doku endet mit der Eröffnung des Bistros. Mehrere Gäste waren eingeladen, unter anderem Händler, denen wir unsere Saucen vorstellen wollten. Wir haben drei Gänge für 60 Leute gekocht: Garnelen-Frühlingsrolle mit Süßkartoffel-Püree, Rumpsteak mit Bratkartoffeln und kleinem Salat, zum Dessert gab es Schoko-Brownies. Im Bistro haben alle mitgezogen. Ich habe zwar die Anweisungen gegeben, aber die Insassen haben alles selbst gemacht. Wenn etwas so gut läuft, ist man wie euphorisiert. Und auch das neue Produkt kam sehr gut an.

Und der schlimmste oder schwierigste Moment? Gab es den auch?

Ja. An einem 28-jährigen Häftling habe ich mir dir Zähne ausgebissen. Das war der nervigste Moment, ich hatte viele Diskussionen mit dem Jungen. Er ist erst 28 Jahre alt, drogenabhängig und will nichts aus seinem Leben machen. Ich habe ständig mit ihm über sein Leben diskutiert. Er wurde positiv auf Drogen getestet, deshalb mussten wir ihn leider aus dem Projekt ausschließen. Ich war unglaublich enttäuscht. Er sagt, er findet sein Leben schön so. Wenn er draußen ist, wird er wieder Drogen nehmen und verkaufen. Ich fragte ihn, ob das alles sei, was er sich vom Leben erhofft: zwei Jahre draußen sein, zwei Jahre im Knast? Er antwortete nur, dass es noch nicht "Klick" gemacht habe und ihn nicht weiter tangiere. Das hat mich total desillusioniert, weil wir jeden Tag geredet haben und es überhaupt nichts gebracht hat.

Sie haben zur Vorbereitung selbst eine Nacht selber im Gefängnis verbracht. Wie hat sich das angefühlt?

Total ungewohnt. Die Zelle wird geschlossen und von innen ist kein Türgriff. Normalerweise hat jede Tür einen Knauf oder Griff und das Ding geht einfach nur zu. Das war sehr schräg.

Wie war es für Sie, mit verurteilten Verbrechern zu kochen? Hatten Sie ein mulmiges Gefühl?

Nein, überhaupt nicht. Ich habe schnell die Distanz verloren, vielleicht zu schnell. Aber ich bin mit den Insassen ganz normal umgegangen und dachte nie, jetzt rede ich mit einem Bankräuber oder Mörder. Wir hatten ein klares Ziel: ein gutes Team zu finden und ein klasse Bistro aufzubauen. Man vergisst schnell, dass diese Leute Grenzen überschritten haben, die man selber nie überschreiten würde. Und ich komme aus Hamburg und bin auf dem Kiez groß geworden. Ich kenne Leute, die bereits im Knast waren, deshalb war das für mich nichts Neues.

Was nehmen Sie aus dieser Zeit mit?

Für mich war das Projekt eine Bereicherung. Ich konnte mich einbringen und etwas vermitteln. Natürlich wäre es naiv zu glauben, dass die Häftlinge nach vier Wochen Engel sind. Drei oder vier waren dabei, für die es vielleicht ein Anreiz war, ihr Leben ein wenig zu ändern und einen anderen Takt hineinzubekommen. Ein Dauerthema war, warum sie im Gefängnis waren. Die Häftlinge haben auch ihre Plattitüden, ihre Standards. Doch ich hatte auch gute Gespräche. Das Gefängnis ist ein eigener Kosmos, es gibt nur Wärter und Gefängniskollegen. Dann komme ich von außen, der anders redet und von anderen Dingen erzählt und vielleicht auch einen anderen Input gibt. Ein Gefangener war dabei, der schon seit vier Jahren im Knast sitzt - zu Hause warten zwei Kinder auf ihn. Das jüngere wurde geboren, als er schon einsaß. Wir haben viel darüber gesprochen und er sagte, dass das furchtbar ist. Irgendwann konnte ich aber heraushören, dass er es ernst meint und es selbst furchtbar findet. Im Gefängnis kann man sich oft nicht einen Hauch von Schwäche erlauben.

Und was nehmen die Häftlinge von Ihnen mit auf den Weg?

Sie haben kochen gelernt (lacht). Und Durchhaltevermögen. An einem Tag hatten wir Lebensmittelkontrolleure da, die das neue Produkt abgenommen haben. Da haben wir elf Stunden durchgearbeitet. Das war neu für die Häftlinge. Sie mussten das Chutneyes selber kochen und abfüllen. Und es war auch ein kreatives Projekt, sie mussten das Logo selbst entwerfen und konnten sich nicht einfach herausziehen. Dieser Team-Gedanke und ein eigenes Projekt entwickelt zu haben, das ist ein Erfolgserlebnis. Klar, es gab auch Aussetzer. Aber es funktioniert, wenn sie eine klare Ansage bekommen und Anerkennung dafür, wenn sie was auf die Reihe bekommen.

Sie sagten, sie wollen mit Ihrem Projekt neue Perspektiven für das Leben nach dem Gefängnis aufzeigen. Mal angenommen, ein Kochtalent bewirbt sich bei „Henssler Henssler“, hat aber eine Gefängnisvergangenheit. Würden Sie ihn trotzdem einstellen?

Ich würde es nicht davon abhängig machen. Jeder, der sich bei mir bewirbt, muss Probe kochen. Natürlich muss man sich dann auch hinsetzen und darüber sprechen, warum er oder sie im Gefängnis war. Aber ich würde nicht per se sagen, ihn oder sie nicht einzustellen.

Herr Henssler, vielen Dank für das Gespräch.

Die erste Folge der vierteiligen Dokumentation "Henssler hinter Gittern" wird am Montag, den 14. Juli um 20.15 Uhr auf RTL ausgestrahlt.

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