Der ukrainische Koch Ievgen Klopotenko gilt als Jamie Oliver der Ukraine. Landesweit bekannt wurde er 2015, als er die Show "MasterChef Ukraine" gewann. Seit Beginn der russischen Invasion postet der 34-Jährige auf seinen Social-Media-Kanälen Rezepte, weil seine Landsleute ihn um Tipps fragen. Sie wollen wissen, wie sie mit den wenigen Lebensmittel, die sie haben, nährende Gerichte kochen können. Klopotenko lernte sein Handwerk an der Pariser Kochschule Le Cordon Bleu und wurde erst im vergangenen Jahr vom "Restaurant Magazine" als eines der 50 größten kulinarischen Talente der Welt ausgezeichnet.
Ich erwische ihn telefonisch via WhatsApp in der West-Ukraine, gerade hat er seine Schwester und deren Kinder aus Kiew evakuiert, weil er ein Auto besitzt. Klopotenko spricht gehetzt, fast schon unter Adrenalin. Nach Kiew möchte er zeitnah zurückkehren, auch wenn dort alles vom Krieg überschattet ist.
Wie geht es Ihnen, Herr Klopotenko?
Das ist die Frage, die mir gerade am häufigsten gestellt wird. Gerade bin ich am Leben. Heute bin ich in Sicherheit, aber das ändert sich jeden Tag.
Wo befinden Sie sich?
Ich habe meine Schwester gerade in die West-Ukraine evakuiert, aber ich werde in den nächsten Tagen zurück nach Kiew kehren. Mein Restaurant ist immer noch offen.
Es wird dort weiterhin gekocht?
Wir kochen für das Militär, für Zivilisten, für Menschen, die sich in Bunkern und in der U-Bahn verstecken. Jeden Tag sind das etwa 1500 Portionen. Es ist nicht mehr das Restaurant, das es vor dem Krieg war. Es ist jetzt eine Küche fürs Militär.
Vor dem Krieg kochten Sie für die Touristen in Kiew.
Ja, und auch für die Einheimischen. Es war eine moderne ukrainische Küche. Eher Fine Dining, aber eine Küche für alle.
Wie kommen Sie noch an Lebensmittel?
Es ist nicht mehr so einfach wie zuvor. Heute muss ich damit kochen, was ich in meiner Vorratskammer finde und das, was mir die Lieferanten bringen können. Man kocht nicht mehr, was man will. Man kocht, was man kriegt. Es hat sich alles verändert, aber es funktioniert.
Was kochen Sie heute?
Wir verarbeiten gerade 150 Kilogramm Buchweizen mit Hühnchen. Dann gibt's Borschtsch und Rote-Bete- und Kohlsalat.
Was machen Sie, wenn ihre Vorräte zuneige gehen?
Das wird nicht passieren. Im Krieg sollte man positiv denken.
Gute Einstellung.
Es bringt nichts, Trübsal zu blasen. Natürlich habe ich depressive Momente, ich weine, ich fühle mich hilflos. Aber unter diesen Bedingungen hilft nur eins: weiterzumachen.
Wie hat sich ihre Welt in der Nacht vom 23. Februar auf den 24. Februar verändert, die Nacht in der Putin der Ukraine den Krieg erklärte?
Meine Welt hat sich sehr verändert. Ich fühle mich als wäre ich in einem Film. Ich kann immer noch nicht glauben, dass das passiert. Ich dachte, wir leben in einer modernen Welt und plötzlich haben wir Krieg.
Sie sind einer der bekanntesten Köche der Ukraine, gelten als Kosmopolit. Haben Sie Freunde oder Verwandte in Russland?
Kosmopolit sein bedeutet, dass die Welt keine Grenzen hat. Für mich hat Russland Grenzen, ich bin also kein Kosmopolit mehr. Freunde und Verwandte habe ich keine in Russland. Und ich möchte dort auch keine haben.
Aber das russische Volk ist ja nicht mit ihrem Regierungschef gleichzusetzen.
Man sollte die Menschen natürlich nicht verurteilen. Man sagt aber: Der Führer, den man hat, ist der Spiegel des Volkes. Nicht alle Russen sind natürlich Putin-Anhänger, trotzdem bin ich enttäuscht darüber, dass sie nicht auf die Straßen gehen und gegen den Krieg demonstrieren.
Die Menschen haben Angst.
Und wir haben Krieg. Wir haben russische Küchenchefs in Russland angefragt. Wir wollten sie dazu motivieren, mit uns Brücken zu bauen, sich mit uns übers Essen zu vereinen. Die meisten haben angelehnt. Sie haben Angst vor Repressionen in ihrem Land.
Wie schafft man es, in diesen schlimmen Zeiten nicht den Verstand zu verlieren?
Ich stürze mich in Arbeit, ich unterstütze Hilfsorganisationen und helfe meinen Landsleuten beim Kochen, die mich fragen, was sie aus dem Wenigen, das sie haben, kochen können. Manchmal fühle ich mich wie ein Therapeut. Und es ist schön, dass ich helfen kann.
Was fehlt ihren Landsleuten an Lebensmitteln?
Mehl und Hefe findet man nicht mehr in den Supermärkten. Momentan sitzen viele in Luftschutzbunkern. Zum Teil haben sie darin nicht viel, außer Reis und Wasser. Viele wollen Tipps haben, um beispielsweise Fleisch zu konservieren. Die meisten aber wollen gern Brot backen. Nicht, weil sie es so gern essen, sondern weil Brot ein Symbol ist. Ein Symbol fürs Leben, dafür dass es noch nicht vorbei ist.
Wie backt man Brot ohne Mehl und Hefe?
Mit Haferflocken beispielsweise. Wer noch Honig hat, kann beides miteinander vermengen und hat etwas Brot ähnliches. Oder man kocht Reis, zerquetscht diesen und gibt Körner und Haferflocken dazu, formt es zu einem Laib und backt diesen im Ofen. Hefe ersetzt man mit Backpulver und Wasser. Wer noch Mehl über hat, kann einen Sauerteigansatz zubereiten.
Es geht also nicht um den Geschmack.
Es geht nur um Kohlenhydrate, die brauchen wir, um satt zu werden. Und das hebt die Stimmung.
Haben Sie vor, die Ukraine zu einem Zeitpunkt zu verlassen?
Ich möchte mein Land formen, ich möchte es nicht verlassen.