Neues Magazin HYGGE Bleibt doch noch, es gibt Spaghetti!

Von Christiane Würtenbeger
Laden Sie doch mal wieder spontan Freunde zum Essen ein, es wird Ihnen gut tun
Laden Sie doch mal wieder spontan Freunde zum Essen ein, es wird Ihnen gut tun
© Getty Images
Spontan Bekannte oder Freunde zum Essen bitten? Macht man trotz guter Vorsätze zu selten. HYGGE-Autorin Christiane Würtenberger möchte das ändern.

Den Schlüssel haben wir von außen stecken lassen. Es klackt leise, Annett und Steffen sind da, rufen ein fröhliches Hallo durch den Flur. Unser Haus steht in einer kleinen Seitenstraße, und heute Abend bleibt die Tür für unsere Gäste offen. In diesem Fall sind das – außer den beiden – noch Manja und Clemens und die beiden Töchter. Der Tisch in der Wohnküche ist schon gedeckt. Mein Mann Peter schenkt allen ein Gläschen vom selbst gemachten Quittenlikör ein, und ich schmeiße die Nudeln ins Wasser. Während wir am Likör nippen, plaudern wir über die Ereignisse der letzten Wochen: die Klassenfahrt der Mädchen, Manjas neuen Job und wer was während der Sommerferien macht. Dann wird aufgetischt: Es gibt Spaghetti bolognese mit Salat. Steffen und Annett steuern den Wein bei, der Nachtisch kommt von Manja und Clemens.

Schon eine ganze Weile treffen wir uns reihum: drei befreundete Familien, die ab und zu freitags gemeinsam ins Wochenende starten. Oft kommen unsere Abendessen nicht über Nudeln mit Pesto aus dem Glas heraus. Kein Witz. Die Bolognese heute Abend ist also fast ein wenig Luxus. "Das ist eine tolle Idee", sagt die Psychologin Dr. Christine Altstötter-Gleich, die an der Universität Koblenz- Landau unter anderem über Perfektionismus forscht, und sie meint damit nicht die Wahl unseres Essens, sondern unsere regelmäßigen Freitagsrunden.

"So ein Jour fixe, bei dem alles möglich ist. Man weiß, wer kommt, man weiß, dass es etwas zu essen gibt. Der Rest passiert spontan."

Manja hat sich dieses Mal in Schale geworfen, ich trage Jeans. Egal, das hier ist kein Schaulaufen.
Wir möchten uns einfach sehen, am Leben der anderen teilhaben – und zwar ohne Monate vorher Termine abzusprechen. Ich freue mich jedes Mal auf unsere Treffen. Dort kann ich auch mal entspannt müde sein. Weil sich Freitagabende für mich schon per se heimelig anfühlen – schließlich liegt das ganze Wochenende noch vor mir. Und weil ich die Form mag, die wir für unsere Essen gefunden haben. Sie sind eine feste Größe im Kalender und haben doch etwas Spontanes. Auch weil keiner von uns fünf Gänge auftischt, sondern wir alles so simpel wie möglich halten. Niemand soll sich schon allein von den Vorbereitungen gestresst fühlen – und es soll auch keine falsche Erwartungshaltung geweckt werden.

Dem Zufall Raum geben 

Leider macht man das ja kaum noch: spontan andere einladen – dem Ungefähren und Zufälligen Raum geben. Ich selbst traue mich das jedenfalls nur selten und rede mich mit Stress und Zeitmangel heraus. Dabei sind es oft diese unerwarteten Begegnungen, die Herz und Seele gut tun.

Vielleicht auch, weil man den Augenblick leichter genießen und Glücksmomente sammeln kann, wenn man offener und damit auch verletzbarer ist.

Meine Nachbarn Mathias und Birgit feiern ab und zu ungeplante Gartenpartys. Dafür improvisieren sie oft beim Essen. "Wir schauen, was der Kühlschrank hergibt", erzählt Mathias. Und wenn das nur ein wenig Käse und Pesto ist, dann ist das eben so. Für die beiden zählt vor allem die Zeit, die sie mit den anderen verbringen. "Leute ungeplant einzuladen und sich nicht für jede Unzulänglichkeit zu entschuldigen ist eine gute Übung", meint Christine Altstötter-Gleich. "Vor lauter Vorbereitung vergessen wir sonst oft, die Geselligkeit in den Vordergrund zu stellen."

Das neue Magazin HYGGE
Das neue Magazin HYGGE

Über HYGGE

HYGGE ist das Magazin gewordene Lebensgefühl der Dänen. Die Dänen sind nämlich die glücklichsten Menschen der Welt – denn sie haben Hygge. Hygge lässt sich nicht übersetzen, es subsummiert Worte wie Gemütlichkeit, zusammen sein, Familie, Freundschaft, Heimat, Geborgenheit. Aber Hygge ist nicht nur ein Wort, es ist ein besonderes Lebensgefühl.


Das neue Magazin HYGGE bringt genau dieses Lebensgefühl nach Deutschland. HYGGE feiert die Gemeinschaft von Familie und Freunden, gutes Essen, Momente in der Natur und das Teilen schöner Erlebnisse. 

Mehr Luftlöcher statt 100-Prozent-Tage 

Auch ich liebe es, mit netten Menschen zu essen, ohne eine feste Menüfolge im Blick haben zu müssen. Das sind für mich Momente, in denen ich mich wirklich reich fühle. Und die möchte ich wieder viel öfter erleben – die Freitagsrunde ist daher nur ein Anfang. Andererseits hat Spontaneität bei mir auch Grenzen. Über eine Einladung zum Kaffee auf der Holzbank vorm Bäcker ums Eck freue ich mich immer. Aber ich habe auch Bekannte, die klingeln unter der Woche, um zu quatschen. Da denke ich, die könnten schon per SMS fragen, ob mir das passt! Am Wochenende hingegen finde ich spontane Besuche nett. Da habe ich das Gefühl, dass man mir Zeit schenkt und nicht nimmt. Bei der Recherche für diese Geschichte bin ich auf das sogenannte Pareto-Prinzip gestoßen.
Es besagt, dass man für 80 Prozent einer Leistung nur 20 Prozent des Aufwands benötigt.

Die restliche Kraft wenden wir dafür auf, dass am Ende alles perfekt ist. Ehrlich? Für was strampeln wir uns dann tagtäglich so ab? 80 Prozent sind doch voll in Ordnung, wenn man dadurch wieder mehr Zeit für sich, für andere, für Neues hat.
"Ruh dich aus, setz dich hin! Es gibt für alle zu essen. Und Wasser und Luft ... Du musst dich nicht messen", singt Dota, eine Berliner Liedermacherin.

Ich bin mir sicher – sie meint damit nicht nur eine einfachere Esskultur. Mir jedenfalls ist klar geworden: Ich wünsche mir mehr Luftlöcher im Terminkalender. Und weniger 100-Prozent-Tage.
Es gibt genug Gelegenheiten, das zu üben: Neulich etwa. Da habe ich die Mutter eines Klassenkameraden meines Sohnes auf dem Markt getroffen. Ich kenne sie nicht gut, finde sie aber nett. Es wäre ein Leichtes gewesen, sie zum Mittagessen nach Hause einzuladen. Aber ich hatte zu viel auf der To-do- Liste und auch ein bisschen Angst, dass sie Nein sagt. Andererseits habe ich mich gefreut, als mein Mann eine alte Bekannte wieder getroffen und spontan zu uns eingeladen hat. Wir haben Kochen, reden, trinken: Das sind die Zutaten der "Freitagsrunde" etwas Einfaches gekocht, viel gelacht, hatten so vergnügliche wie bereichernde Gespräche. Klar, unvergessliche Abende sind ein unerwartetes Geschenk, aber ich glaube, dass wir durch mehr Offenheit dazu beitragen können, sie öfter zu erleben. Ich nenne es mal das "italienisch-skandinavische Lebensgefühl": zusammenrücken, auftischen, was da ist – und das Leben feiern.

Letztes Wochenende: Meine Nachbarin sitzt auf dem Balkon. Ich habe mir von ihr ein Päckchen Reis hinunterwerfen lassen, denn wir haben Freunde zum Essen eingeladen, aber es ist nicht genug Reis da. "Riecht gut", ruft Birgit augenzwinkernd von oben, "wir kommen auch gleich alle noch rüber." Wer ist jetzt "alle", überlege ich kurz, merke aber, dass mich die Idee gar nicht mehr stresst. "Mögt ihr? Das wäre total nett." Der Schlüssel steckt bei mir nicht mehr von innen.

Es hat leise Klick gemacht, dieses Mal im Kopf: bei mir und interessanterweise auch bei den Freundinnen, Bekannten und Psychologinnen, mit denen ich über diese Geschichte gesprochen habe. Wir haben gemerkt, dass wir uns alle nach mehr Spontaneität sehnen. Nach mehr Einfachheit im Mit- einander. Klappstühle für unerwartete Gäste kann man leicht besorgen. Und zu eng kann's an einem großen Tisch doch gar nicht werden.

Eine Schale mit Bolognese. Drum herum liegen Nudeln.
Bolognese Rezept
Leckeres Rezept im Video: Die beste Bolognese der Welt

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