Bildungsgipfel in Berlin Die Politik hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Mal wieder. Note sechs. Setzen!

Bildungsgipfel in Berlin
Eher ein Gipfelchen als ein Gipfel: Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (r.) diskutiert mit ihren Kollegen Ties Rabe und Astrid-Sabine Busse über Bildung in Deutschland
© Christophe Gateau / DPA
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat zum Bildungsgipfel geladen. Aber es kommt keiner. Das ist eine Unverschämtheit gegenüber den Schülerinnen und Schülern! Die dürfen nicht einfach schwänzen und keine Hausaufgaben machen. Aber genau das tun die Politiker.

Zu klein, zu kurz gedacht, keine Visionen. Das ist das traurige Fazit des Bildungsgipfels von Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in Berlin. Ein Gipfel – der Begriff täuscht Größe vor – war das nicht gerade, was da heute in Berlin stattgefunden hat. Eher eine Art Fachtagung mit Arbeitstreffen.

Dabei ist die Liste der Probleme in der Bildung lang: auffällige Rückstände bei Grundschülern beim Lernstoff durch Corona, schleppende Digitalisierung, Ausfall vieler Schulstunden durch Krankheit bei den Lehrkräften, bis zu 70.000 fehlende Lehrerinnen und Lehrer, um die Stellen zu besetzen, die durch Pensionierungen frei werden. Hinzu kommt die wachsende Zahl der Bildungsverlierer: 47.500 Schüler, die jedes Jahr ohne Abschluss die Schule verlassen, jeder fünfte kann nicht ausreichend Lesen. Das Elternhaus entscheidet über den Schulerfolg eines Kindes, nicht sein Wissensdurst, sein Ehrgeiz, sein Wille, zu lernen.

All diese Erkenntnisse und Befunde sind überhaupt nicht neu, sondern leider ziemlich alt. Aber in der Summe können sie einem Angst machen. "Das deutsche Bildungssystem steckt in einer tiefen Krise, die uns alle betrifft", hatte Stark Watzinger in einem Interview in der "Bild" bekannt. Recht hat sie!

Doch mit dem Gipfel, der keiner ist, hat sich die Bildungsministerin blamiert. Bislang gibt es von ihr keine Ideen oder Vorschläge, wie man der Bildungskrise begegnen könnte. Von den eingeladenen 16 Kultusministern der Länder sind nur zwei erschienen: Astrid-Sabine Busse (Berlin) und Ties Rabe (Hamburg); die CDU und CSU- Minister sind geschlossen nicht angereist. Begründung: der Gipfel sei "eine Showveranstaltung".

Den Schülerinnen und Schülern helfen die Spielchen auf dem Bildungsgipfel nicht weiter

Den rund 8,3 Millionen Schülerinnen und Schülern helfen solche politischen Spielchen nicht weiter. Sie gehen jetzt zur Schule, sie alle haben mindestens seit den Schulschließungen wegen Corona im Jahr 2020 eine Schulausbildung erhalten, die mit der Note "mangelhaft" zu bewerten ist. Und sie hätten es verdient, dass sich die Politikerinnen und Politiker zusammensetzten, diskutieren und streiten, wie Schule besser werden kann. Wer in der Schule bei einer Klassenarbeit ein leeres Blatt abgibt, bekommt eine Sechs wegen Arbeitsverweigerung. Und wer ohne plausible Entschuldigung fehlt, einen Eintrag. Die verantwortlichen Erwachsenen sollten endlich ihre Hausaufgaben machen!

Geld allein wird nicht reichen, um die Bildungsmisere zu lösen. SPD-Chefin Saskia Esken forderte gerade ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro. Eine stolze Summe. Mal abgesehen davon, dass ungeklärt ist, woher das Geld kommen soll, Finanzminister Christian Lindner wehrt sich ja bereits, die im Koalitionsvertrag beschlossene Kindergrundsicherung zu finanzieren, – mit Geld allein wird Schule nicht automatisch besser. Hohe Summen auszuloben wirkt aber offenbar wie Balsam auf besorgte Eltern und damit Wählerinnen und Wähler. Bestes Beispiel für die Wirkungslosigkeit von Geld allein ist der Digitalpakt: Die 6,5 Milliarden Euro, die der Bund seit 2020 zur Verfügung gestellt hat, kommen bisher nur schleppend bei den Schulen an. Und noch immer ist Deutschland digitales Entwicklungsland, auch in den Schulen.

Deutschland bleibt digitales Entwicklungsland – auch in den Schulen

Geld bringt wenig, solange es an politischen Willen fehlt, die verkrustete Schul- und Verwaltungsstruktur zu ändern. Deutschland leistet sich ein Schulsystem aus dem 19. Jahrhundert. Damals reichte es, eine breite Masse von Staatsbürgern und Fachkräften im Gleichschritt für Akkord am Fließband auszubilden. Das System ist längst überholt, aber keiner traut sich, es zu ändern. Die Modernisierung verliert sich im Klein-Klein zwischen Bund, Ländern und den Verwaltungsbehörden vor Ort. Schuld ist immer der Föderalismus. Eine allzu bequeme Ausrede.

Über moderne Didaktik wird dabei gar nicht erst diskutiert. So gibt es beispielsweise bisher keine Antwort darauf, wie KI im Unterricht sinnvoll genutzt werden könnte, sondern vor allem die Sorge, die Schüler könnten damit bei ihren Hausaufgaben mogeln. Dabei war Deutschland mal das Land, das Innovationen und kreative Ideen in der Pädagogik hervorgebracht hat, die weltweit ausprobiert und weiterentwickelt wurden. Nur hierzulande hat man das offenbar vergessen.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Um all das zu ändern, bräuchte es einen großen, starken Veränderungswillen. Einen Mentalitätswandel in der Bildung. 50 Stiftungen und Verbände fordern heute eine "Initialzündung auf den höchsten politischen Ebenen". Bildung soll zur Chefsache werden, Bundeskanzler Olaf Scholz soll übernehmen. Die Unterzeichner reichen von den großen Stiftungen wie Robert Bosch Stiftung über den Bund der Freien Waldorfschulen bis hin zur Caritas.

Die traurige Bilanz des Berliner Schulgipfels ist einmal mehr: Kinder und Jugendliche haben in Deutschland keine Lobby – allen Lippenbekenntnissen zum Trotz. Dabei sind sie unsere Zukunft. Und sie haben die beste Schule verdient, die es gibt. Jetzt.