Hunderte Schülerinnen und Schüler sind in Hessen gegen das neue Wehrpflichtgesetz auf die Straße gegangen. In Frankfurt versammelten sich laut Polizei insgesamt rund 600 Schülerinnen und Schüler, um ihren Unmut gegen die Pläne der Bundesregierung kundzutun.
Unter ihnen auch Friedemann (15) und Max (16). Sie sagten, sie fänden eswichtig, zu zeigen, "dass wir nicht einverstanden damit sind, dass praktisch die älteren Politiker darüber entscheiden, wie wir zu leben haben oder was wir machen müssen". Max betonte zudem, dass "man auch als Person, die noch nicht wählen darf, seine Meinung irgendwie in der Öffentlichkeit preisgeben darf und muss".
Enya und Ida, ebenfalls 15 und 16, finden die Entscheidung der Bundesregierung beängstigend. "Auch wenn ich kein Junge bin, habe ich halt schon Angst, weil meine Mitschüler die neue Regelung betrifft und Frauen ja auch mehr mit einbezogen werden sollen", sagte Ida der dpa.
Unmut schon im Vorfeld der Bundestagsabstimmung
Viele junge Menschen würden auf keinen Fall in den Kriegsdienst gezwungen werden wollen, sagte Severin Schwartmann von der Organisation Falken Hessen Süd der Deutschen Presse-Agentur vor dem Protesttag. Sie fühlten sich in den politischen Prozessen schlicht übergangen. Von der Protestaktion erhoffen sich die Organisatoren einen "Fridays-for-Future-Moment", sagte Jannis, Mitorganisator des Schülerstreiks in Frankfurt der dpa.
"Grundsätzlich hat die Jugend viele verschiedene Meinungen zum Thema Wehrpflicht", betonte Laurenz Spies, Landesschulsprecher in Hessen. Kritik an der Reform habe aber auch er oft wahrgenommen, "weil diese über die Köpfe von Jugendlichen beschlossen wurde". Auch er persönlich hätte sich mehr Einbindung von Jugendlichen gewünscht, sagte er.
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Viele Schülerinnen und Schüler kritisierten laut Spies auch, "dass, während die Jugend der Gesellschaft einen so großen Dienst wie den Wehrdienst entgegenbringen soll, sie dafür nichts zurückbekommt". Oft sei da zum Beispiel vom gestrichenen Kulturpass oder auch von der fehlenden Wertschätzung und Akzeptanz durch die älteren Generationen die Rede.
Neues Wehrdienstgesetz verabschiedet
Hintergrund des Protesttags ist die Wehrdienstreform der schwarz-roten Koalition. Der Bundestag gab am Morgen grünes Licht für die Änderungen. Der Bundesrat soll sich noch vor Weihnachten mit dem Gesetz befassen.
Alle jungen Männer und Frauen ab Geburtsjahrgang 2008 werden vom nächsten Jahr an einen Fragebogen zur Person erhalten, der auch die Motivation zum Wehrdienst abfragt. Männer müssen, Frauen können diesen beantworten.
Für alle Männer, die ab dem 1. Januar 2008 geboren wurden, soll dann die Musterung wieder zur Pflicht werden. Praktisch wird sie aber erst später greifen. Der Wehrdienst soll mindestens sechs Monate dauern und mit mindestens 2.600 Euro brutto im Monat bezahlt werden. Zusätzliche Anreize gibt es für längere Verpflichtungen ab zwölf Monaten.
Proteste auch in anderen Städten in Hessen
Auch in anderen Städten in Hessen wurde protestiert: etwa in Kassel, wo die Polizei in der Spitze 1.200 Teilnehmer schätzte, in Friedberg etwa 100 und in Marburg 70. Auch in Hanau, Darmstadt und der Landeshauptstadt Wiesbaden Demos waren angekündigt.
Konsequenzen für Teilnahme an der Demo?
Jugendliche aus Frankfurt hätten den Veranstaltern berichtet, dass ihnen vonseiten der Schule mit Sanktionen wie etwa einem Schulverweis bei Teilnahme der Protestaktion gedroht wurde.
Das Kultusministerium erklärte auf dpa-Anfrage, es sei "sehr zu begrüßen und zu würdigen, wenn junge Menschen sich für Politik interessieren, sich dafür einsetzen möchten und entsprechend auch wahrgenommen werden wollen". Die Teilnahme an Demonstrationen von Schülerinnen und Schülern hessischer Schulen während der Unterrichtszeit sei allerdings nicht zulässig, da insbesondere das Neutralitätsgebot im Unterricht und bei schulischen Veranstaltungen missachtet würde. "Wer nicht im Unterricht ist, fehlt unentschuldigt." Das Demonstrationsrecht könne von Schülerinnen und Schülern ohne Probleme in der unterrichtsfreien Zeit ausgeübt werden.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Hessen (GEW) solidarisierte sich vorab mit den Schülerinnen und Schülern. "Frieden braucht friedvolle Erziehung", hieß es in einer Mitteilung. "Die Schüler:innen an den hessischen Schulen sollten aktiv dazu angeleitet werden, sich kritisch mit der Gegenwart auseinanderzusetzen".
Auch Lehrerverbände äußern sich
Der Verband der Lehrer Hessen (vdl) bewertet das Engagement der protestierenden Schülerinnen und Schüler als "starkes und ermutigendes Signal", hieß es auf dpa-Anfrage. Es zeige, dass junge Menschen Verantwortung übernehmen und aktiv an der Gestaltung ihrer Zukunft mitwirken wollen. Anstelle eines Wehrdiensts spricht sich der vdl Hessen für ein allgemeines soziales Pflichtjahr aus, da dies "wertvolle Orientierung bieten, die Entscheidung für eine Ausbildungsrichtung oder ein Studium erleichtern" könne.
Auch beim Deutschen Lehrerverband Hessen könne man den Unmut der Schülerinnen und Schüler nachempfinden, sagte ein Sprecher. Allerdings müsse man den Ursprung der Demoaktion kritisch betrachten. "Viele Hinweise deuten darauf hin, dass der Anstoß aus klar linken und teilweise linksradikalen politischen Kreisen stammt", hieß es vom Verband. Flyer und Onlinegrafiken sowie der Instagram-Auftritt nutzten Symbole, "die traditionell im linksradikalen Spektrum verortet werden, darunter ein roter Stern oder Che Guevara-Portraits".
Die Demonstrationen wurden nach eigenen Angaben von mehreren politischen Jugendorganisationen getragen und organisiert. In Frankfurt etwa die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend, die Sozialistische Jugend Deutschlands - Die Falken und Yuna - Demokratische Jugend. Darüber hinaus sprach auch das Bündnis Sahra Wagenknecht seine Unterstützung für die bundesweiten Proteste aus.