Forschern aus Hamburg und Dresden ist es im Labor erstmals gelungen, die Gene des Aidsvirus wieder aus menschlichen Zellen herauszuschneiden. Dazu haben sie ein spezielles Enzym entwickelt, berichten die Wissenschaftler im Journal "Science" (Bd. 316, S. 1912). "Die infizierte Zelle wird geheilt", sagte Professor Joachim Hauber vom Hamburger Heinrich Pette-Institut für Experimentelle Virologie und Immunologie. "Wir wurden das Virus in den Zellen wieder los, das hat bisher noch keiner geschafft. Das ist ein biotechnologischer Durchbruch."
Die Aids-Epidemie
Das Aidsvirus HIV (Humanes Immunschwäche- Virus) attackiert das Immunsystem des Menschen und liefert ihn damit den Infektionen anderer Erreger aus. Weltweit leben derzeit rund 39,5 Millionen Menschen mit HIV/Aids, heißt es im aktuellen Bericht des Aidsprogramms UNAIDS der Vereinten Nationen. 2006 steckten sich weltweit 4,3 Millionen Menschen neu an, 2,9 Millionen starben an der Infektion. Inzwischen sind fast die Hälfte der Infizierten weltweit Frauen, vor zehn Jahren waren es nur zwölf Prozent.
Nach wie vor wird Afrika südlich der Sahara am stärksten heimgesucht: Dort leben fast zwei Drittel aller Infizierten (63 Prozent). Fast drei Viertel (72 Prozent) der Aids-Todesfälle gab es im Süden Afrikas (2,1 Millionen). Den stärksten Anstieg der HIV- Infektionen verzeichnet der Bericht in Ost- und Zentralasien sowie Osteuropa. Dort gab es 2006 etwa ein Fünftel (21 Prozent) mehr Infizierte als noch 2004.
Von den momentan rund sieben Millionen Bedürftigen erhalten derzeit insgesamt nur etwa zwei Millionen die lebensverlängernden Aidsmedikamente, heißt es bei UNAIDS.
Die Immunschwäche wird nach einer Prognose der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bis zum Jahr 2030 zur schlimmsten Infektionskrankheit und gefährdet die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen. Eine zweite Autorengruppe warnt, dass sich ohne wirksamen Kampf gegen die Immunschwäche weder Armut noch Hunger, Kindertod oder Bildungsnot wie von den UN erklärt bis 2015 mindern lassen.
2006 wurden in Deutschland so viele neue Aidsinfektionen registriert wie noch nie seit Beginn der differenzierten Erfassung 1993. Die Zahl der gesicherten HIV-Neuinfektionen stieg 2006 um 4 Prozent auf 2611, berichtete das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin. Seit 2001 hat die Zahl der neu diagnostizierten HIV- Infektionen damit um 81 Prozent zugenommen. Dem Institut zufolge ist allerdings ein Teil des Anstiegs vermutlich auf verbesserte Erkennungsmethoden zurückzuführen. In Deutschland leben derzeit rund 56.000 HIV-Infizierte.
Eine Infektion galt bisher als unumkehrbar
Die Arbeit, an denen auch das Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden beteiligt ist, macht vorsichtige Hoffnung auf eine Aids-Therapie, die nicht nur auf Eindämmung der Viren-Vermehrung setzt, sondern auf eine Heilung der Immunschwäche.
Bisher galt eine Infektion mit HIV (Humanes Immunschwäche-Virus) als unumkehrbar. Der Erreger gehört zu den Retroviren, die ihre Erbsubstanz fest in die DNA (Desoxyribonukleinsäure) der infizierten menschlichen Zellen einfügen. Haubers Angaben zufolge besteht jetzt die vorsichtige Hoffnung, innerhalb von zehn Jahren eine Therapie für Menschen zu entwickeln. Als nächster Schritt stehen dreijährige Tierversuche mit Mäusen auf dem Programm. Anschließend müssten umfangreiche Patientenstudien in Hamburg begonnen werden. Ein Erfolg sei nicht garantiert, aber: "Ich bin von Grund auf Optimist", sagt Hauber.
"Der Zelle geht es wieder gut"
Die Wissenschaftler nutzten für ihre Arbeit eine Eigenschaft bestimmter natürlicher Enzyme, Rekombinasen genannt. Wie eine Schere durchschneiden solche Proteine den DNA-Strang an bestimmten Stellen und setzen ihn neu zusammen. Eine Rekombinase erkennt dabei jeweils eine Abfolge in den Bausteinen der DNA - und setzt genau dort an. Die Erbsubstanz des HI-Virus ist an ihren beiden Enden von zwei identischen, genau bekannten Sequenzen eingegrenzt, die sich auch bei Mutationen kaum verändern. An diesen Endstellen setzen Frank Buchholz und seine Kollegen in Dresden daher ihre molekulare Schere an.
Die natürlich vorkommende Rekombinase namens Cre erkennt eine Gensequenz, die dem HIV-Erbgut bereits ähnlich ist. Um sie für den gewünschten neuen Zweck anzupassen, musste das Enzym in einer über 120 Rekombinase-Generationen dauernden Evolution verändert werden. So gelang es den Molekularbiologen, aus der Rekombinase Cre die verwandte Rekombinase Tre zu "züchten". Diese greift exakt die Endsequenzen des HI-Virus an. "Das ausgeschnittene Erbgut wird dann von der Zelle abgebaut", sagt Hauber. "Der Zelle geht es wieder gut."
High-Tech-Medizin, aber billiger als bisherige Therapie
Sollte die Methode zu einer Therapie entwickelt werden können, wäre eine - wenngleich aufwändige - Behandlung möglich. Nach Haubers Angaben müssten aus dem Blut der Patienten Stammzellen gewonnen und im Labor von den Viren befreit werden. Die so behandelten Zellen könnten nach der Rückübertragung auf den Patienten für eine Regeneration seines Immunsystems sorgen.
Obwohl auf diese Weise wahrscheinlich nicht alle HI-Viren aus dem Körper entfernt werden könnten, erwartet Hauber einen so starken Rückgang der Virenzahl, so dass die Infektion unter Kontrolle bleibt. "Das ist High-Tech-Medizin, die kann man nicht in Pillenform verabreichen." Sollten sich bei Mutationen des HI-Virus auch dessen Endsequenzen verändern, könnten auch die Rekombinasen schnell angepasst werden, ergänzte Buchholz. Man verfüge dann über eine ganze Reihe verschiedener Enzyme, die schnell neu kombiniert oder weiterentwickelt werden können.
Im Vergleich zu den Kosten der bisher üblichen hochaktiven anti- retroviralen Therapie, die leicht 15 000 Euro im Jahr betragen können, wäre eine solche heilende Behandlung deutlich preiswerter. Angesichts wieder stark steigender HIV-Infektionszahlen gerade bei jungen Menschen in Deutschland betont Hauber, dass die verfügbaren Behandlungen Aids keineswegs zu einer normalen Krankheit machen. "Es gibt schwere Nebenwirkungen." Die Zahl der Neuinfektionen liegt in Deutschland momentan bei etwa 2700 pro Jahr. Versuche, einen Impfstoff zu finden, waren bisher nicht erfolgreich. (Fachartikel-Identifikationsnummer: DOI: 10.1126/science.1145015)