Der Ernstfall kam schneller als erwartet. Am Samstag landete ein Fluggast mit einer unbekannten, möglicherweise tödlichen Krankheit auf dem Frankfurter Flughafen. Noch als der Flieger in der Luft war, brach am Boden hektische Betriebsamkeit aus. Die erst im Februar 2002 eingeweihte Isolierstation für hochinfektiöse Krankheiten stand vor ihrer ersten Bewährungsprobe. Aber ein terroristischer Angriff mit Pockenerregern war es nicht.
Erreger grassierte in Asien
Ein aus Singapur stammender Arzt, dessen Flugzeug auf dem Rückflug von New York in Frankfurt zwischenlandete, wurde unverhofft der erste Patient. Er hatte im Flugzeug Symptome einer Krankheit gezeigt, die in Asien grassiert. Ihr Erreger ist unbekannt, aber nach Einschätzungen von Seuchenexperten hoch ansteckend. Da er zuvor einen Patienten behandelt hatte, könnte er sich angesteckt haben.
Telefondrähte glühten
Noch als die Maschine in der Luft war, glühten die Telefondrähte zwischen dem Piloten an Bord, der Flughafenklinik, dem hessischen Sozialministerium, der Botschaft Singapurs, dem Frankfurter Gesundheitsamt, dem Universitätsklinikum und dem Robert-Koch-Institut in Berlin. Schon vor der Landung war klar: Das ist der Ernstfall für die Seuchenstation.
Arzt kam in Quarantäne
Sofort wurde die Isolierstation von «normalen» Patienten geräumt und für den Erstfall hergerichtet. Ärzte und Pfleger wurden aus dem Wochenende geklingelt. In verschiedenen Schichten sind seither rund um die Uhr 11 Ärzte und 14 Pfleger im Einsatz. Als der Flieger landete, stand die Frankfurter Feuerwehr schon bereit. Fachpersonal in Schutzanzügen brachte den Arzt und seine zwei Begleiterrinnen mit einem Infektionstransporter direkt vom Rollfeld in die Isolierstation.
Mit-Passagiere durften heim
Seine Mitreisenden wurden am Samstag ebenfalls in Quarantäne geschickt, wenn auch nur vorübergehend. Am Sonntag waren dann die 235 Menschen, welche wegen des Verdachts auf eine rätselhafte Lungeninfektion in Quarantäne waren, wieder zu Hause oder auf dem Weg dorthin. Wie das hessische Sozialministerium am Sonntag mitteilte, wurde die Quarantäne am Frankfurter Flughafen aufgehoben. Betroffen waren nach Angaben des Frankfurter Gesundheitsamtes 83 Deutsche, 57 Menschen mit anderen Zielländern, 80 Fluggäste, die nach Singapur weiterflogen, und 15 Crewmitgliedern.
Warten auf Symptome
Die Menschen hätten «sehr vernünftig reagiert», sagte die Leiterin des Gesundheitsamtes, Sonja Stark. Sie seien vom Flugzeug aus mit Bussen in eine Turnhalle gebracht worden. Dort habe man sie - wie bereits zuvor im Flugzeug - über die Krankheit aufgeklärt, befragt und ihre Adressen notiert. Danach wurden sie in «häusliche Quarantäne» entlassen. Das heißt, sie sollen bis zur Entwarnung das Haus nicht verlassen und darauf achten, ob sie verdächtige Symptome entdecken. In diesem Fall müssen sie sich sofort beim zuständigen Gesundheitsamt melden. Die Symptome der unbekannten Lungenkrankheit, die als Schweres Akutes Atemnotsyndrom (Severe Acute Respiratory Syndrome/SARS) bezeichnet wird, gleichen denen einer Grippe: Fieber, Knochen- und Muskelschmerzen, Husten und Atemnot.
Krankheit wurde "ausgeflogen"
Betroffen sind nach Angaben der WHO bislang Kanada, China, die chinesische Sonderregion Hongkong, Indonesien, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam. Falls Reisende kürzlich in einem dieser Länder waren und hohes Fieber sowie Atemprobleme haben, sollen sie sich auf das so genannte Akute Atemnotsyndrom untersuchen lassen. Brundtland sagte: «Die Welt muss zusammenarbeiten, um seine Ursache herauszufinden, die Kranken zu heilen und die Ausbreitung zu stoppen.» Nach WHO-Angaben sind binnen einer Woche weltweit 150 Verdachtsfälle aufgetreten. Mehrere Menschen sollen an der Infektion gestorben sein.
Wenige Kliniken darauf eingerichtet
Einen solchen Ernstfall hatten die Mitarbeiter des Kompetenzzentrums in Frankfurt erst im Dezember geübt: Eine Patientin mit angeblichem Lassa-Fieber wurde vom Klinikum Hanau in die Spezialstation verlegt. Dort stehen seit Februar 2002 vier, im Notfall sechs Betten für Patienten mit hoch gefährlichen und extrem ansteckenden Krankheiten zur Verfügung. Auch in Hamburg, München, Leipzig und Berlin existieren solche Stationen.
Kein Erreger verläßt die Station
Die 1,57 Millionen Euro teuren Räume sind voll gestopft mit Technik. Sie verfügen zum Beispiel über eine eigenes Belüftungssystem. Luftschleusen und Unterdruck verhindern, dass sich Erreger im Gebäude ausbreiten. Alles, was die Räume verlässt, wird eingeschweißt und desinfiziert, selbst die Exkremente des Patienten. Ärzte und Pfleger tragen spezielle Schutzkleidung, wie sie bei der Einweihung der Station vorgeführt wurden: Ganzkörperanzüge, Handschuhe, die mit Isolierband an den Anzug geklebt werden, dichte Überziehschuhe und eine durchsichtige Haube mit Filter über dem Kopf, der verhindern soll, dass das Personal den Erreger einatmet.
Europäische Länder treffen Vorkehrungen
Mehrere europäische Staaten verstärkten ihre Kontrollen und Vorsorgemaßnahmen. In Italien setzte das Gesundheitsministerium Kontrollen an den internationalen Flughäfen in Rom und Mailand in Kraft. Erkrankungen seien dort bisher nicht gemeldet worden. In Großbritannien wurden aus Asien heimkehrende Reisende nach Rundfunkangaben aufgefordert, auf Symptome für die mysteriöse Art von Lungenentzündung zu achten. Von speziellen Vorsorgemaßnahmen der Behörden war zunächst nicht die Rede. Auch wurden keine Reisebeschränkungen erteilt. Am Wiener Flughafen werden nach Angaben der österreichischen Behörden alle aus China und Singapur einreisenden Passagiere seit Sonntag zum Gespräch mit einem Arzt gebeten. Der Mediziner solle nicht nur mögliche Symptome erkennen, sondern die Menschen auch über den Verlauf der Krankheit informieren. Ferner würden die Personalien notiert. Die französischen Gesundheitsbehörden ergriffen erste Maßnahmen, um in acht Krankenhäusern möglicherweise Erkrankte isolieren zu können. Sie empfahlen, Reisen in die betroffenen asiatischen Gebiete zu verschieben. Wer seit dem 1. März mit Grippe-Anzeichen aus Hanoi oder Hongkong zurückgekehrt sei, solle sich unverzüglich melden.