Als das Telefon klingelt, weiß Sabine Büttgen noch nicht, dass sich ihr Leben in den nächsten Sekunden schlagartig ändern wird. Büttgen sitzt am 1. Februar 2004 an ihrem Arbeitsplatz in einer Hamburger Bankfiliale und greift zum Hörer. Eine Routinebewegung, Tausende Male zuvor ohne Probleme vollführt. Doch diesmal spürt sie dabei einen Schmerz. So stark und andauernd, wie sie es bis dahin noch nie erlebt hat. "Kreischend und grell wie Feuer" fährt er ihr vom Rücken bis ins rechte Bein.
Der Schmerz bleibt. Fortan begleitet er Büttgen Tag und Nacht. Aber erst nach acht Wochen, als die Leiden unerträglich werden, geht sie zu ihrem Hausarzt. Der diagnostiziert einen Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule zwischen den Wirbeln L5 und S1, schreibt sie krank und verordnet ihr das, was so viele Ärzte für das beste Mittel gegen einen maladen Rücken halten: Ruhe.
Doch das Brennen im Kreuz erlischt nicht. Auch kortisonhaltige PRT-Spritzen, die die Bandscheibe schrumpfen lassen und damit den Druck auf den gereizten Nerv am Wirbel mindern sollen, zeigen nur wenig Wirkung. Eine vierwöchige Kur bringt keinen Erfolg. Mit jedem Tag, den der Schmerz anhält, wächst Büttgens Verzweiflung. Sie wechselt zu einem Neurochirurgen. Auch er führt PRT-Therapie durch: Über einen Dauerzugang an der Wirbelsäule spritzt er ihr eine Woche lang zweimal pro Tag das Kortison-Medikament in den Rücken. Er rät ihr, sich möglichst wenig zu bewegen - nur so könne das Mittel richtig wirken.
Jeder Gang wird zum quälenden Marathon
Bereits in den Monaten zuvor hat die einstmals so aktive Frau aus Angst vor Schmerzattacken auf vieles verzichtet: Sie joggt und tanzt nicht mehr, fährt nicht mehr Fahrrad und kündigt das Theaterabo. Immer seltener verlässt die Schmerzgeplagte das Haus, selbst ein Gang durch die Dreizimmerwohnung wird zu einem quälenden Marathon. Ihr Leben spielt sich fast nur noch an einem weißen Bistrostehtisch im Wohnzimmer ab. Hier liest sie die Zeitung, isst zu Mittag oder bedient den PC, weil sie weder sitzen noch liegen erträgt. Sie ist so ängstlich und hilflos, dass ihr Mann ihr sogar die Schuhe zubinden muss. Sabine Büttgen weiß, dass es so nicht weitergehen kann. Doch was soll sie tun?
An einem trüben Tag
im Mai 2005 steht Gerd Müller in einem Seminarraum des Hamburger Rückenzentrums am Michel und wedelt so schwungvoll mit einem Wirbelsäulenmodell, dass jedem seiner Patienten schon beim Zusehen vor Schmerz schlecht werden müsste. "Von wegen Fehlkonstruktion", sagt der Orthopäde, "für das, was es leistet, ist das Teil gar nicht so schlecht." Rund 1,5 Tonnen könne unsere Lendenwirbelsäule tragen, das Gewicht eines Kleinwagens. "Bei einer größeren Belastung brechen die Knochen - die Bandscheiben kriegen Sie so jedoch nicht kaputt."
Das schafft nur das Alter: Im Laufe des Lebens wird die Außenhaut der flexiblen Puffer zwischen den Wirbeln porös, und die Flüssigkeit darin läuft aus. Wenn die Bandscheibe dann dem Druck der Knochen nachgibt und sich aus dem Spalt dazwischen wölbt oder gar "vorfällt", klemmt sie mitunter die Nerven im engen Wirbelkanal ab und verursacht furchtbare Schmerzen oder sogar Lähmungen. "Die ersten Abnutzungserscheinungen treten schon bei 20-Jährigen auf", sagt Müller. "Mit 40 ist dann bereits bei 90 Prozent der Menschen der Verschleiß nachweisbar." Doch längst nicht jeder leide unter den Folgen, viele wüssten gar nicht, dass sie betroffen sind.
Aufhalten lässt sich der schleichende Zerfall der Stoßdämpfer im Kreuz nach Müllers Überzeugung nicht. "Doch wir können uns vor dem Schmerz schützen", sagt er und steigt auf einen Tisch. Er legt sich auf die Seite und stützt sich auf den linken Unterarm und den linken Fuß. Dann hebt er die Hüfte an, sodass sein Körper eine Linie bildet, und streckt das rechte Bein immer wieder hoch in die Luft. "Solche Übungen stärken die Rumpfmuskulatur, die die Wirbelsäule stützt und die Bandscheiben entlastet." Aktivität und nicht Ruhe sei der Weg zu einem schmerzfreien Rücken.
Krankheitskosten von 20 Milliarden Euro
Nach einem Blick auf die Statistiken erscheinen solche Übungen für die Deutschen mehr als angebracht: Mindestens vier Millionen Menschen in unserem Land plagen laut Bundesregierung chronische Rückenleiden, hervorgerufen durch Bandscheibenschäden, Wirbelgleiten und andere Ursachen. 17 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage gingen bei den AOKs im Jahr 2003 auf das Konto von Kreuzschmerzen.
Die Folgen für die Volkswirtschaft sind immens: Thomas Kohlmann vom Institut für Community Medicine der Universität Greifswald schätzt, dass sich die direkten und indirekten Kosten aller Fälle auf rund 20 Milliarden Euro pro Jahr belaufen. Zusammen mit Medizinern und Psychologen untersucht der Soziologe im Deutschen Forschungsverbund Rückenschmerz Ursachen, Verbreitung und Behandlungsmöglichkeiten des Volksleidens.
"In 90 Prozent aller Fälle verschwinden die Schmerzen ohne aufwendige Therapie innerhalb von sechs Wochen", sagt Kohlmann. Werden sie chronisch, seien konventionelle Behandlungsmethoden wie Spritzen und Massagen allein nicht der richtige Weg. "Die Beschwerden sollten ganzheitlich behandelt werden: in Praxen, in denen Ärzte, Psychologen, Krankengymnasten und Sportwissenschaftler an einem Ort eng zusammenarbeiten, um dem vielschichtigen Problem Rückenschmerz von mehreren Seiten zu begegnen." Dieses multimodale Konzept, das auch das Rückenzentrum am Michel praktiziert, findet vor allem in den Großstädten Deutschlands immer größere Verbreitung. Zunehmend arbeiten Krankenkassen mit ganzheitlich ausgerichteten Einrichtungen zusammen. Und selbst große Firmen wie T-Mobile bieten ihren Mitarbeitern entsprechende Kurse und Behandlungen an.
In der Therapie versuchen Müller und seine Kollegen den Patienten vor allem zu vermitteln, dem Schmerz aktiv entgegenzutreten. "Viele kommen zu uns jedoch zunächst mit dem Anspruch ,Jetzt mach mich mal gesund!"", sagt der Mediziner. Sie erwarten, dass ihr Kreuzleiden allein mit Spritzen, Massagen oder einer Operation wieder kuriert werden kann - und müssen drastisch umlernen.
Anstrengung und Schmerz beim Rückentraining
Sabine Büttgen hat gelernt. Sie sitzt auf der Bank einer Kraftmaschine im Trainingsraum des Rückenzentrums, der sich auf den ersten Blick nicht von einem gewöhnlichen Fitnessstudio unterscheidet. In den Händen hält sie eine hohle Metallstange, die über einen Seilzug mit einem Gewicht verbunden ist. Ganz langsam lässt sie sich von den 20 Kilogramm nach vorn ziehen. Wirbel für Wirbel beugt sich der Rücken, immer tiefer sinkt ihr Kopf hinunter zur Bank. Sie hält einen Moment inne, dann zieht sie ihren Rücken unter der Last des Gewichts wie in Zeitlupe wieder hoch. Ihr Gesicht spiegelt Anstrengung und auch ein bisschen Schmerz wider.
Vor zwei Monaten, zu Beginn der Therapie, wollte die Patientin nicht an den Erfolg der Behandlung glauben. "Ich hatte Angst vor den kritischen Übungen", sagt sie. In der Zeit nach dem Vorfall hatte sie sich mühsam beigebracht, schmerzende Bewegungen zu vermeiden und eine ausgeklügelte Schonhaltung einzunehmen. Nun sollte sie sich plötzlich wieder bücken, drehen und recken ohne Rücksicht auf die Beschwerden.
Vier Wochen dauerte das Intensivprogramm, mit dessen Hilfe Büttgen und zwei weitere Frauen in der Gruppentherapie allmählich den Schmerz überwinden und den Körper wieder fit für den Alltag machen sollten. Gleich zu Beginn hat Büttgen gelernt, dass ihr Leiden schon lange nicht mehr in ihrer Wirbelsäule entsteht, sondern vor allem in ihrem Kopf. Dort hat sich der quälende Reiz ins Schmerzgedächtnis "eingebrannt" und wird in kritischen Situationen immer wieder aktiviert. Und das, obwohl die eigentliche körperliche Ursache, der Bandscheibenvorfall, längst nachgelassen und sich der gereizte Nerv am Wirbel erholt hat.
Die Ärzte und Krankengymnasten haben Büttgen auch erklärt, dass es entgegen der Lehre vieler Rückenschulen keine falschen Bewegungen gibt. "Kistenheben aus den Knien, rückengerechtes Sitzen - das ist Quatsch", sagt Gerd Müller. "Die Wirbelsäule braucht vielfältige Belastungen, damit die Muskulatur ausgeglichen trainiert wird." Schonhaltung und Ruhe ließen dagegen besonders die tiefen Rückenstreckermuskeln verkümmern, die das Rückgrat wie ein Korsett umschließen und die Bandscheiben entlasten.
Nach fünf Tagen Training geht’s besser
Wie wichtig diese sind, hat Büttgen besonders in den ersten Behandlungswochen gespürt, als sie manche Übung vor Schwäche kaum geschafft hat. Dazu kamen die Schmerzen, als der Kopf bei den scheinbar bedrohlichen Bewegungen Alarm schlug. Aber: "Mein Körper brauchte diese Qual, um den Schmerz abzuschütteln", sagt sie. Und tatsächlich sei es ihr nach fünf Tagen Training schon deutlich besser gegangen. Heute spüre sie zwar bei den Übungen mitunter immer noch etwas, "doch wenn ich von den Geräten aufstehe, sind die Beschwerden weg". Zweimal pro Woche kommt sie ins Zentrum, um im Kraftraum an den Maschinen zu trainieren oder in der Nachsorgegruppe bei einer Krankengymnastin ihre Koordination zu schulen.
Auch ihre Wohnung hat Büttgen umgestaltet: Im Flur hängen zwei Gymnastikbänder aus Gummi, an denen sie täglich ihre Muskeln stählt. An den Wänden im Flur, in der Küche und sogar im Bad kleben weiße Zettel. "Lange sitzen", "selber Auto fahren", "tanzen" oder "Camping" steht darauf - Tätigkeiten, die sie mit einem beschwerdefreien Rücken wieder anpacken will. Vor ein paar Tagen ist sie zum ersten Mal wieder Rad gefahren, eine Stunde lang. Extra an einer Hauptstraße, damit sie jemand findet, falls sie vom Rad fällt - eine unnötige Vorsichtsmaßnahme. Alles ist gut gegangen.
Im Sommer wird Sabine Büttgen 50 Jahre alt, und dann will sie "mal wieder die ganze Nacht abhotten wie früher". Sie ist zuversichtlich, dass sie das schaffen wird. Und der Schmerz? "Ich habe gelernt, mit ihm umzugehen. Er ist jetzt nicht mehr Mittelpunkt meines Lebens."
Über ihren Longus colli
hat sich Anneliese Tonn-Pollex bislang nie Gedanken gemacht. Jetzt liegt sie auf einer Bank im Physiotherapiezimmer drei des Rückenzentrums und hält Daumen und Zeigefinger der rechten Hand prüfend an die Seiten ihres Halses. "Ziehen Sie mal das Kinn ein, und fühlen Sie, was passiert", sagt Krankengymnast Axel Schäfer. Die Patientin bewegt den Kopf nach unten, sodass ein Doppelkinn entsteht. "Wenn Sie die Spannung halten und die Oberflächenmuskeln an der Seite Ihres Halses locker bleiben, arbeitet Ihr Longus colli." Der Muskel hinterm Kehlkopf gehört zu den tiefen Nackenbeugern, die für die Stabilität der Halswirbelsäule sorgen. Ist er zu schwach, müssen die Oberflächenmuskeln die Arbeit übernehmen. Folge sind Verspannungen, Fehlhaltungen, Rücken- und Nackenschmerzen.
Durch Schmerz im Alltag stark eingeschränkt
Tonn-Pollex ist so ein Fall: Vor rund zwei Jahren sind bei der Unternehmensberaterin in der Schulter erstmals größere Probleme aufgetreten. "Die Schmerzen haben mich im Alltag stark eingeschränkt", sagt sie. "Beim Schreiben am Flipchart konnte ich die Hand nicht mehr über die Schulter heben."
Im Rückenzentrum wurde sie zunächst mit Massagen und Wärmetherapie behandelt, um die Muskeln im Halswirbelbereich zu lockern. Krankengymnasten übten mit ihr Bewegungsabläufe zur Flexibilisierung der Brustwirbelsäule und trainierten an den Maschinen ihre Rumpfmuskulatur. Und Tonn-Pollex lernte, dass ihre Schmerzen nicht nur auf körperlichen Ursachen beruhen: "Ich neige dazu, im Stress die Schultern hochzuziehen, die Nackenmuskeln anzuspannen und zu verkrampfen", sagt sie. "Früher habe ich das oft nicht wahrgenommen, heute versuche ich in solchen Momenten gegenzusteuern."
Im Behandlungsraum hat Axel Schäfer mit einem umgebauten Blutdruckmessgerät ermittelt, wie leistungsfähig die tiefen Nackenbeuger der Patientin sind: 26 Millimeter auf der Quecksilbersäule (mmHg) zeigt das Gerät an, wie erwartet nur ein mittelmäßiger Wert. Langfristig sollte sie es schaffen, die Muskeln zehnmal für eine halbe Minute bei einem Wert von 30 mmHg anzuspannen.
"90 Prozent aller chronischen Wirbelsäulenpatienten haben Probleme mit ihrer tiefen Muskulatur im Rücken oder Nacken", sagt Schäfer. "Sie müssen erst wieder lernen, sie zu benutzen." Sechs bis zwölf Wochen dauere es bei regelmäßigem Training, die Muskulatur zu reaktivieren. Zum Beispiel mit Hilfe der Tiefenstabilisationsübung: Kinn einziehen, ohne die Oberflächenmuskeln einzusetzen.
Die Patienten müssen mitarbeiten
Für Tonn-Pollex ideal, weil sie die Übung leicht im Büro oder unterwegs absolvieren kann. In der ersten Zeit am besten jede Stunde zwei- bis dreimal und jeweils zehn Sekunden halten, rät Schäfer. Denn erst durch häufige Wiederholung werde die Bewegung im motorischen Zentrum des Hirns verankert. "Entscheidend für den Erfolg der Therapie ist, dass die Patienten mitarbeiten." "Das ist der schwerste Schritt", sagt Anneliese Tonn-Pollex und lächelt. Doch sie weiß, dass Spritzen und Massagen ihr auf Dauer nicht helfen werden. Und ihrem Longus colli schon gar nicht.
Irgendwann hat sich Andrea Reiners
einen Bandscheibenvorfall gewünscht, ein Wirbelgleiten oder sonst ein Rückengebrechen. Nur endlich eine körperliche Ursache für ihre Schmerzen, die klar auf einem Röntgenbild oder einem Monitor auszumachen wäre. Doch da war nichts. "Nur eine leichte Skoliose, aber die konnte unmöglich immer wieder diese unerträglichen Schmerzen auslösen", sagt sie.
Seit 15 Jahren wird die Lehrerin in unregelmäßigen Abständen von Rückenattacken heimgesucht. Die Schmerzen kommen aus dem Nichts, halten bis zu zehn Monaten an und verschwinden so plötzlich, wie sie aufgetaucht sind. Dann ist Ruhe: Mal drei Jahre, dann wieder nur drei Monate. Lange Zeit konnte Reiners keinen Auslöser für den Schmerz erkennen, der ihr vom Steiß über den Rücken hinauf bis in die Stirn schoss und bis in die Arme ausstrahlte - und erst recht kein Mittel gegen ihn. Bis sie im März Catrin Fischbach begegnete.
Zu Beginn der Behandlung im Rückenzentrum hatte Reiners die Treffen mit der Psychologin als lästige Pflicht gesehen. "Ich wollte mich nicht bei ihr ausquatschen", sagt sie. Sie änderte ihre Einstellung, als Fischbach sie am Ende einer Sitzung fragte, warum sie sich jetzt lieber zu Hause aufs Sofa legen wolle, statt im Zentrum an Kraftmaschinen zu trainieren. "Sie haben doch keine körperlichen Probleme, oder haben Sie sich verhoben?" Danach schob sie den Satz hinterher, der Reiners erst verblüffte, dann verärgerte und schließlich überzeugte: "Lassen Sie sich von Ihrem Schmerz nicht immer ins Boxhorn jagen."
Nicht von der Angst beherrschen lassen
Anschließend hat Reiners tatsächlich trainiert. Abends konnte sie sogar noch den Haushalt erledigen und drei Stunden am Schreibtisch sitzen. Jetzt will sie sich von der Angst vor dem Schmerz nicht mehr beherrschen lassen.
Genau dieses Umdenken ist Ziel der Verhaltenstherapie: "Wir versuchen den Patienten Strategien zu zeigen, wie sie mit ihren Beschwerden besser umgehen können", sagt Fischbach. Dazu gehört auch, deren Ursachen zu erkennen. In den Gesprächen mit ihrer Therapeutin ist Reiners klar geworden, dass ihre Schmerzphasen immer mit belastenden Perioden in ihrem Leben zusammenfielen: mit dem Examen oder dem Ende einer Beziehung. Kein Bandscheibenvorfall, sondern Stress und Kummer martern ihre Wirbelsäule.
Trotz der ersten Erfolge von Psychotherapie, Krankengymnastik und Krafttraining muss Reiners weiterhin mit Schmerzen rechnen. Erst heute mittag hat sie wieder etwas gespürt. "Es war eine typische Situation: Ich habe Zensuren bekannt gegeben und mir vorher schon Sorgen gemacht, dass einer der Schüler durchs Abi gefallen und ich daran beteiligt sein könnte", erzählt sie.
Um in solchen Momenten abschalten zu können, zeigt ihr Fischbach eine Übung der Progressiven Muskelentspannung. "Setzen Sie sich bequem hin", sagt sie. "Ballen Sie die Fäuste und spannen Sie die Muskeln an." Ein paar Sekunden lang sitzt Reiners mit geschlossenen Augen und geballten Fäusten da, bis Fischbach sie auffordert, beim nächsten Ausatmen langsam loszulassen und sich zu entspannen. Wie in Zeitlupe entkrampfen sich Reiners' Hände. "Was spüren Sie?", fragt die Therapeutin. "Ein warmes, angenehmes Strömen in den Armen."
"Üben Sie das", sagt Fischbach. "Sie müssen das Entspannen erst lernen." Ausnahmsweise verteilt einmal nicht die Lehrerin Andrea Reiners die Hausaufgaben. In der ungewohnten Schülerrolle kann sie mit sich zufrieden sein: Noch vor sechs Wochen hat sie nur mit starken Schmerzmitteln die Krankengymnastik und das Gerätetraining überstanden, heute Abend geht sie schon wieder mit Freunden aus. Allmählich findet sie in ein Leben zurück, in dem die Gedanken nicht nur um den Schmerz kreisen. "Ein Gesunder hat tausend Wünsche, ein Kranker nur einen: gesund werden", sagt sie. "Ich will jetzt auch wieder mehr."