Als erstes EU-Land "Alleine schaffen wir es nicht": Spanien stoppt wegen fehlender Dosen teilweise Impfungen

In Europa wütet die zweite Corona-Welle, die Sorge vor hochansteckenden Virusvarianten wächst – und ausgerechnet jetzt wird der Impfstoff knapp. Wegen fehlender Dosen hat Spanien nun als erstes EU-Land teilweise die Impfungen gestoppt. Andere Länder könnten bald nachziehen.

Während die zweite Pandemiewelle die Coronazahlen in Europa weiter in die Höhe treibt, wird in vielen Ländern der Impfstoff knapp. Am Mittwoch gab die Regionalregierung von Madrid bekannt, dass die Hauptstadtregion die Impfungen wegen fehlender Dosen einstellen muss. Andere Regionen in Spanien könnten bald folgen.

In den vergangenen zwei Wochen hatten sowohl Pfizer als auch AstraZeneca angekündigt, die Lieferung ihrer Impfstoffe drastisch zu senken. Seitdem befindet sich die EU im Streit mit den Pharmaunternehmen – und auch in anderen Mitgliedsstaaten wächst der Frust über die verzögerten Lieferungen.

Teilweiser Impfstopp in Spanien

In Spanien schrumpfen die Impfstoffvorräte. Am Mittwoch kündigte die Regionalregierung in Madrid an, das Impfprogramm in der Hauptstadt für zwei Wochen auszusetzen und warnte davor, dass die Region Katalonien inklusive Barcelona bald nachziehen könnte. Vorrang habe jetzt die Verabreichung der zweiten Impfstoffdosis an alle bereits Geimpften, erklärte Ignacio Aguado, Vizepräsident von Madrids Regionalregierung. Die Hauptstadt verfüge jedoch nicht mehr über genügend Vorräte, um die erste Impfrunde fortzusetzen.

Aguado wandte sich in seiner Ankündigung direkt an Spaniens Zentralregierung und forderte diese auf, schnellstmöglich zusätzliche Lieferungen von der Europäischen Union zu verlangen. "Wir brauchen dringend mehr Dosen", so der Vizepräsident. Nach Angaben des spanischen Gesundheitsministeriums hatte die Region Madrid bisher jeden Montag 48.750 Dosen erhalten. Am 18. Januar wurde jedoch nur noch die Hälfte geliefert, wie die spanische Zeitung "El País" berichtet.

Madrids Regionalregierung kritisierte ebenfalls die ungerechte Verteilung unter den einzelnen Regionen. In der Hauptstadt haben bislang nur 4.073 Bürger beide Injektionen erhalten, was zwei Prozent der gesamten Impfstoff-Bestellung entspricht. Im Vergleich dazu liegt die Anzahl der zweifach geimpften Personen in Andalusien bei 37.978 (15 Prozent), in Galizien bei 12.042 (18 Prozent) und in Asturien bei 10.694 (24 Prozent). 

Doch die spanische Regierung zeigt mit dem Finger auf die Europäische Union, die seit mehr als einer Woche im Streit mit den Impfstoffherstellern liegt.

Verzögerungen erst bei Pfizer, dann bei AstraZeneca

Im Dezember war sie noch groß – die Freude über den ersten in der EU zugelassen Coronavirus-Impfstoff von Pfizer und BioNTech. Doch inzwischen sieht sich Europäische Union mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert. Mitte Januar teilte der US-Pharmakonzern Pfizer mit, dass er wegen Produktionsengpässen seine Impfstofflieferungen bis Mitte Februar drastisch reduzieren muss.

Was die Impfpläne der EU jedoch endgültig auf den Kopf stellte, war die plötzliche Ankündigung von AstraZeneca vergangene Woche, die Lieferungen im Februar und März um ganze 60 Prozent zu reduzieren. Grund dafür sind Produktionsprobleme in einem Werk in Belgien, Einzelheiten gab der Hersteller jedoch nicht bekannt. Für die EU ist das ein herber Rückschlag. Erst letzte Woche hatte sich die EU-Kommission zum Ziel gesetzt, bis zum Sommer 70 Prozent der Bevölkerung zu impfen. Das werde nun "schwierig", sagte EU-Ratspräsident Charles Michel vier Tage später.

Fakt ist, Stand Mittwoch wurden erst zwei Prozent der EU-Bürger geimpft, wie das Portal "Our World in Data" dokumentiert. Ein Tropfen auf den heißen Stein verglichen mit rund 40 Prozent in Israel, elf Prozent in Großbritannien und etwas mehr als sechs in den USA.

Ärzte in Spanien: "Allein schaffen wir es nicht"

Schwierig wird es jetzt auch für Länder, wie Spanien, die ihre Impfstrategien im ersten Jahresquartal in Erwartungen auf Millionen AstraZeneca-Dosen ausgerichtet hatten – zumal der Impfstoff billiger und einfacher zu lagern ist als andere. Zwar wird das Vakzin voraussichtlich am Freitag in der EU zugelassen, wann die Mitgliedsstaaten mit den ersten Lieferungen rechnen können, ist jedoch noch unklar.

Für Spanien bedeutet das noch mehr schlechte Nachrichten. Das südeuropäische Land ist besonders hart von der zweiten Coronawelle getroffen ist. Seit dem Winter schießen die Zahlen nur so in die Höhe, die 14-Tage-Inzidenz liegt bei mehr als 800 Infektionen pro 100.000 Einwohner. Nach Großbritannien und Frankreich belegt Spanien somit den dritten Platz auf Europas Infektions-Treppchen.

Ähnlich wie im Nachbarland Portugal sind die Krankenhäuser schon jetzt voller als im Frühjahr. Auf Twitter appellieren spanische Ärzte und Krankenpfleger mit dem Hashtag #solosnopodemos an die Bevölkerung – zu Deutsch: "Allein schaffen wir es nicht."

Sorge wächst auch in anderen EU-Ländern

Anspannung und Unmut über die Impfstrategie  der EU macht sich auch in anderen Mitgliedsstaaten breit. Vergangene Woche hatte Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig (SPD) bereits die Beschaffungsstrategie der Bundesregierung scharf kritisiert. "Ich bin total enttäuscht, was da gelaufen ist", sagte Schwesig im "ZDF". Es sei falsch gewesen, dass die EU "nicht auf alle Impfstoffkandidaten gesetzt hat und komplett für Europa auch bestellt hat – und früh genug bestellt hat". "Aber dass jetzt andere Länder viel mehr Impfstoff haben und wir nicht, das kann man den Menschen nicht erklären."

In Frankreich, wo derzeit eine weitere Verschärfung des Lockdowns diskutiert wird, wächst in den Kommunen ebenfalls der Frust über die eigene Regierung. "Ich bin der Überzeugung, dass es einen echten Mangel an Impfstoffen gibt", sagte Martine Aubry, die Bürgermeisterin der nordfranzösischen Stadt Lille und forderte die französische Regierung auf, "die Wahrheit zu sagen". Auch Dijons Bürgermeister François Rebsamen wirft der Zentralregierung vor, "keine Impfstoffe geliefert zu haben".

Laut Experten sind die Verzögerungen bei der Bestellung und der Zulassung von Impfstoffen sowie der derzeitige Mangel jedoch nicht die einzigen Probleme, die die EU bewältigen muss. Insbesondere die ärmeren osteuropäischen Länder haben große Schwierigkeiten, ihren Bürgern überhaupt einen Zugang zur Corona-Impfung zu ermöglichen. Es gibt zu wenig ausgebildete Krankenschwestern, zu wenig medizinisches Material, wie Nadeln und Spritzen, und zudem ist die Verwaltung schlecht organisiert.

Weitere Quellen: "El País", "New York Times", "Our World in Data", "ZDF"

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