Zwei Fußballfans des Norwich City Football Club sitzen im Stadion nebeneinander. Zwei gestandene Männer, wie man landläufig sagt. Mehrere Spiele hintereinander spricht der rechte Fan den linken offensiv an, jubelt euphorisch oder ärgert sich lautstark über seinen Club. Der linke Fan erscheint in sich gekehrt, leiser, kämpft mit seinen Emotionen.
Am Ende des 2,5-minütigen Videos bleibt ein Sitz leer – der rechte.
Der englische Fußballverein veröffentlichte das Video am Welttag für psychische Gesundheit. Versehen mit der Botschaft: Ihr seid nicht alleine, you are not alone.
Einsamkeit sieht man Menschen oft nicht an. Doch in den Industrienationen und besonders in Deutschland ist eine steigende Zahl von Menschen von diesem Gefühl betroffen. Das zeigt das "Einsamkeitsbarometer", eine Langzeitanalyse, deren Ergebnisse Bundesfamilienministerin Lisa Paus nun vorgestellt hat. Die neuesten Daten der Studie stammen von 2021 und zeigen die Entwicklung in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren.
Etwa jede achte Frau und jeder zehnte Mann fühlt sich sozial isoliert. In der Corona-Pandemie litten mehr Menschen unter Einsamkeit als sonst, was besonders ältere Menschen über 75 Jahren betraf (22,8 Prozent) – und erschreckend viele junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren (31,8 Prozent).
Unterscheiden sollte man Einsamkeit vom Alleinsein, was positiv empfunden werden kann. "Problematisch wird Einsamkeit, wenn das Gefühl der Einsamkeit sich verstetigt und mit einem dauerhaften Leidensdruck einhergeht", schreibt das "Kompetenznetz Einsamkeit".
Einsamkeit ist messbar und verursacht körperlichen Schmerz, zeigen neurologische Studien. "Durch soziale Ausschlusserfahrungen werden ähnliche Hirnregionen aktiviert, wie sie auch durch Schmerzreize aktiv werden", erklärt der Stressforscher und Psychotherapeut Mazda Adli im Podcast "Wissen Weekly". Und sie wirkt sich auf nahezu alle Bereiche des Lebens und der Gesellschaft negativ aus. Deshalb ist es so wichtig, dem zunehmenden Einsamkeitsgefühl entgegenzuwirken.
Einsamkeit verkürzt das Leben
Gefühlte oder tatsächliche soziale Isolation wirkt sich auf die Gesundheit aus. Sie kann Auslöser oder Verstärker für psychische Erkrankungen wie Depression oder Suizidalität sein und zu Schlafproblemen führen. Wer sich allein fühlt, empfindet Stress, der dauerhaft zu einer Immunschwäche oder Herz-Kreislauf-Erkrankung führen kann. Das kann die Lebenserwartung verkürzen und wirkt sich Studien zufolge ebenso stark aus wie Rauchen oder starkes Übergewicht. Einsamkeit gehe "mit einem bis zu 50 Prozent erhöhten Sterberisiko einher", sagte der Psychotherapeut Philipp Lioznov dem stern.
Einsamkeit schadet der Wirtschaft
Einsamkeit schadet der Gesundheit – und daraus resultierende Krankheiten zu behandeln kostet den Gesundheitssektor Geld. Zudem wächst der Anteil an Krankschreibungen wegen psychischer Erkrankungen deutlich, genauso wie die Anzahl der vorzeitigen Renteneintritte wegen psychischer Belastungen.
Einsamkeit verstärkt bestehende Ungerechtigkeiten
Die Studienlage des Bundesfamilienministeriums zeigt: Soziale Isolation und ihre negativen Folgen betreffen ausgerechnet die Menschen am meisten, die bereits marginalisiert und diskriminiert werden. Überdurchschnittlich stark von Einsamkeit betroffen sind Alleinerziehende, Arbeitslose, gering Qualifizierte, chronisch Kranke sowie Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrung. Das drängt diejenigen noch weiter an den Rand der Gesellschaft, die bereits zu oft übersehen werden.
Einsamkeit hat einen Gender Gap
Frauen verdienen in Deutschland schlechter und erhalten im Alter weniger Rente (Gender Pay Gap & Gender Pension Gap). Sie werden medizinisch schlechter versorgt (Gender Health Gap) und kümmern sich überdurchschnittlich viel um Care Arbeit wie Haushalt, Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen. All das sind potenzielle Risikofaktoren, um sich einsam zu fühlen, weshalb im Einsamkeitsbarometer von einem "Gender Loneliness Gap" die Rede ist. Das vergrößert die Kluft der Geschlechter in Deutschland.
Wer einsam ist, vertraut der Demokratie weniger
Die "Volkskrankheit" Einsamkeit, wie es in dem Bericht heißt, schadet der Demokratie. Wer sich sozial isoliert fühlt, das zeigen die Daten, vertraut Institutionen wie der Polizei, den Parlamenten und der Justiz weniger. Einsame glauben eher an Verschwörungserzählungen als gesellige Personen (25,1 versus 16,3 Prozent), sie glauben weniger an Parteien und gehen weniger wählen. Es ist deshalb im ureigensten Sinne der Demokratie in Deutschland, sich um ihre Bürgerinnen und Bürger zu kümmern.
Quellen: Einsamkeitsbarometer 2024, Kompetenznetz Einsamkeit, Podcast "Wissen Weekly", Norwich City Football Club