Wissenschaftler sind dem Ziel einen großen Schritt näher gekommen, maßgeschneiderte embryonale Stammzellen ohne das Abtöten von Embryonen zu erzeugen: Es gelang ihnen, bereits spezialisierte Hautzellen von Mäusen so umzuprogrammieren, dass sie nicht mehr von embryonalen Stammzellen unterscheidbar waren.
Nötig sei dazu das Einschleusen von vier Genen und ein ausgeklügeltes Auswahlverfahren der Zellen gewesen, berichten drei Forschergruppen um Shinya Yamanaka von der Universität Kyoto, Rudolf Jaenisch vom Massachusetts Institute of Technology und Konrad Hochedlinger aus Harvard in den Fachzeitschriften "Nature" (DOIs 10.1038/nature05934 und 10.1038/nature05944) und "Cell Stem Cell" (Bd. 1, S. 55). Ob sich dieses Verfahren jedoch jemals auf menschliche Zellen übertragen lassen wird, sei heute noch völlig offen, warnen alle Teams übereinstimmend vor verfrühten Hoffnungen.
Alternative zum umstrittenden reproduktiven Klonen
Bewähre sich die Methode in weiteren Versuchen, sei dies eine Alternative zu der ethisch umstrittenen Nutzung embryonaler Stammzellen für die Therapie von Krankheiten, schreiben Konrad Hochedlinger vom Harvard Stem Cell Institute (Massachusetts) und Kathrin Plath von der UCLA School of Medicine in Los Angeles (Kalifornien), Mitautoren der US-Studie in "Cell Stem Cell". Es würde ein kleines Hautstück des jeweiligen Patienten genügen, um diesen gezielt behandeln zu können. Mediziner hoffen, künftig Leiden wie Querschnittlähmungen oder Parkinson mit Hilfe von Stammzellen heilen zu können.
Sollte die Methode tatsächlich irgendwann einmal bei menschlichen Zellen funktionieren, könnten auf diese Weise bei Bedarf für jeden Menschen embryonale Stammzellen hergestellt werden, die sein eigenes Erbgut tragen und daher nicht vom Körper abgestoßen werden - ein Problem, das neben den ethischen Bedenken bislang die größte Hürde für einen potenziellen therapeutischen Einsatz der vielseitigen Zellen darstellt.
Vier Gene mit einem Virus eingeschleust
Den Grundstein für die neue Methode hatten Yamanaka und seine Kollegen bereits im vergangenen Jahr gelegt: Damals entdeckten sie, dass Hautzellen viele Eigenschaften embryonaler Stammzellen annehmen, wenn mithilfe eines Virus die vier Gene Oct4, Sox2, c-Myc und Klf4 in ihr Erbgut eingebaut werden. Allerdings verlief die Umprogrammierung nicht vollständig, so dass die Teams in den neuen Studien die Auswahlkriterien für die Zellen veränderten.
Die jetzt erzeugten Zellen ließen sich trotz intensiver Tests nicht mehr von echten embryonalen Stammzellen unterscheiden, berichten die Forscher. Auch waren sie in der Lage, nach einer Injektion in einen sich entwickelnden Embryo jede Art von Körpergewebe zu bilden und wurden sogar an die nächste Generation Mäuse weitergegeben.
Ebenfalls in "Nature" stellt ein anderes Team von Harvard-Wissenschaftlern parallel zu dieser Umprogrammierung eine neue Variante des therapeutischen Klonens vor, mit der ebenfalls maßgeschneiderte embryonale Stammzellen erzeugt werden können: Statt wie bisher unbefruchtete Eizellen zu verwenden, deren Kern durch den einer Körperzelle ersetzt wird, schleusten die Wissenschaftler das Erbgut der Körperzellen in befruchtete Eizellen ein. Nach Angaben der Forscher könnte diese Technik, sollte sie jemals bei menschlichen Zellen funktionieren, statt mit den nur in geringen Mengen zur Verfügung stehenden Eizellen, mit überschüssigen Embryonen von künstlichen Befruchtungen durchgeführt werden. Da diese Embryonen jedoch ebenfalls für die Zellgewinnung abgetötet werden müssten, wären die ethischen Bedenken die gleichen wie bei der herkömmlichen Variante.
Jaenisch sorgt sich vor politischem Missbrauch seiner Ergebnisse
Mitautor Rudolf Jaenisch vom Whitehead Institute for Biomedical Research & MIT in Cambridge (US-Staat Massachusetts) erklärte in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Freitag), es habe ihn selbst sehr erstaunt, dass er und sein Team normale Körperzellen ohne den Umweg über eine Eizelle in embryonale Stammzellen zurückverwandeln konnten. "Wir bekommen mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit reprogrammierte Zellen." Er sorge sich nun aber, dass die Ergebnisse "politisch missbraucht" würden, um die laufende Forschung zu diskreditieren. "Das wäre fatal", warnte er.
Ohnehin müsse nun erst gezeigt werden, ob die Methode auch bei menschlichen Zellen funktioniere. Bis die Übertragung in die klinische Praxis anstehe, werde noch viel Zeit vergehen. "Wir haben mit Zellen gearbeitet, die hochgradig genetisch verändert waren. Niemand würde auf die Idee kommen, Zuchtgewebe aus solchen Zellen einem Menschen einzuspritzen."
Schavan will Forschungsmittel bereitstellen
Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) begrüßte in der "FAZ" die "hochinteressante Entwicklung" und kündigte an, dass die Bundesregierung noch vor der Sommerpause fünf Millionen Euro für ähnliche Forschungsarbeiten in Deutschland zur Verfügung stellen werde.
Fibroblasten spielen im Bindegewebe eine wichtige Rolle bei der Produktion des zwischen den Zellen liegenden Stützmaterials. Sie stellen beispielsweise Collagen her. Die Gewinnung embryonaler Stammzellen ist in Deutschland verboten, weil dafür Embryonen zerstört werden müssten.
Bundesforschungsministerin Schavan kündigte an, die Regierungsfraktionen von SPD und Union würden sich nach der Sommerpause mit möglichen Lockerungen des deutschen Stammzellgesetzes befassen. (Fachartikel-Identifikationsnummern: DOI 10.1038/nature05934; 10.1038/nature05944; 10.1016/j.stem.2007.05.014)