Haben Sie schon mal ein Buch in die Mülltonne geworfen? Ich noch nie – bis vor ein paar Wochen. Wir brauchten mal wieder Platz in den Regalen, und da stapelte ich die Bücher, die mit Sicherheit bei uns nicht mehr gelesen würden, unten im Flur unseres Wohnhauses aufs Fensterbrett. Das machen wir immer so, auch andere Nachbarn haben bislang dort ihre nicht mehr gebrauchten Bücher abgelegt. Bei zwei Arztpraxen im Haus findet sich immer jemand, der sich über ein Druckwerk freut und es gern einpackt. Dachte ich. Aber nach ein paar Tagen lagen die meisten Bücher immer noch da, Schwarten über die Pädagogik der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, Sachbücher über Sekten, die es gar nicht mehr gibt, Reiseführer, mit denen heute kaum noch was anzufangen ist. Und noch ein paar Tage später war es so weit: Ich packte den Krempel untern Arm und entsorgte ihn kurzerhand in der Papiertonne.
Gedruckte Bücher werden zur Belastung
Früher bin ich mit Kartons voller Bücher von einem Antiquariat zum nächsten gedüst – bis ich froh war, sie irgendwann einfach abstellen zu können, ohne auch nur eine Mark dafür zu bekommen. Dafür mussten sie nicht auf den Müll. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, sie einfach wegzuschmeißen. Bücher waren sakrosankt. Basta.
Für mich gilt das auch heute noch. Für Belletristisches, Romane und Erzählungen, Lyrik und klassische Literatur. Dafür finde ich immer noch Abnehmer – auch wenn es schwieriger geworden ist. Denn gedruckte Bücher werden mehr und mehr zur Belastung. Die Wohnungen werden kleiner, weil sich größere kaum noch jemand leisten kann, und auf Urlaubsreisen droht durch ein paar mitgenommene Schmöker gleich die Zusatzgebühr fürs Übergepäck.
Natürlich haben wir inzwischen E-Book-Reader im Haushalt, elektronische Geräte, auf denen sich der Inhalt Hunderter Bücher speichern lässt. 24 Prozent der Deutschen – das ergab eine aktuelle Umfrage des Forsa-Instituts für stern, lesen bereits digitale Bücher. Die kosten etwas weniger als gedruckte, sind aber nur online zu kaufen. Und verleihen kann man sie auch nicht. Aber sie sind für mich zu einer echten Alternative geworden. Weil ich meine Lieblingsbücher in der Jackentasche mitnehmen kann und sie im Bett lesen kann, ohne dafür eine Lampe anknipsen zu müssen. Sogar 16 Prozent der über 60-Jährigen liest laut Forsa schon digital.
Endstation Mülltonne
Morgen öffnet die Frankfurter Buchmesse ihre Pforten, hinter denen auf einer Fläche von 170.000 Quadratmetern fast eine halbe Million neuer Bücher aus aller Herren Länder präsentiert werden. Natürlich befasst man sich auch dort mit elektronischen Publikationen, mit Selfpublishing-Plattformen und digitalen Endgeräten, mit der Verschmelzung von Online und Print. Denn das, was Literaten schreiben, ist nicht nur zwischen zwei Buchdeckeln heilig, sondern auch in digitaler Form verfügbar.
Wir sollten darüber froh sein, dass sich geistige Inhalte - neudeutsch: Content - zusätzliche Wege zum Leser gesucht haben. Wer weiterhin im gedruckten Buch blättern und lesen will, wird es tun. Auch ich werde davon nicht lassen. Aber ich muss mich schon längst nicht mehr dazu zwingen, mich auch auf dem E-Reader faszinieren zu lassen.
Ich kann mir inzwischen sogar schon vorstellen, dass ich auch Belletristisches, das ich weder am Fensterbrett unten im Hausflur noch in einem Antiquariat loswerde, entsorge - in der Papiertonne. Es geht halt auch um Angebot und Nachfrage. Gute Literatur wird immer genommen, ob sie nun zwischen zwei Buchdeckeln steckt oder im Reader.
Werner Mathes ist Redakteur im Hauptstadtbüro des stern und hat in seinen Regalen über 1000 gedruckte Bücher stehen – noch. Auf Twitter können sie ihm folgen: @wernermathes