Als ich für mein satirisches Büchlein "Das Leben des Jesus" in Griechenland wegen Beleidigung einer Religionsgemeinschaft zu einem halben Jahr Haft verurteilt wurde, hat sich alle Welt an den Kopf gegriffen und sich gefragt: In welchem Jahrhundert leben wir eigentlich? In zweiter Instanz wurde dieses unsinnige Urteil zwar widerrufen und ich wurde uneingeschränkt freigesprochen, im Sinne von Ups, was ist uns denn da passiert? Aber was blieb, ist die unsäglich mühsame Diskussion über Grenzen der Satire im Zusammenhang mit Religionen.
In den letzten Jahren hat diese Diskussion immer wieder neuen Nährstoff erhalten und zum Teil absurde Züge angenommen. Spätestens aber seit dem Schock um die Mohammed-Karikaturen des dänischen Zeichners Kurt Westergaard, der seit der Veröffentlichung seiner harmlosen Zeichnung unter Dauerbewachung leben muss, wirft sie auch die ernsthafte Frage auf, wie es eigentlich heute um die Redefreiheit in Europa bestellt ist.
Wir haben nun einmal das Recht auf Freiheit der Kunst und die Freiheit des Wortes. Es ist in den Grundgesetzen aller demokratischen Staaten garantiert und mittlerweile eine Selbstverständlichkeit, für die aber seit den Zeiten der Aufklärung, seit mehr als 250 Jahren, erbittert gekämpft wurde. Wir dürfen daher unter keinen Umständen akzeptieren, dass sich irgendeine Religionsgemeinschaft dazu aufschwingt, dieses Recht auf freie Meinungsäußerung zu negieren, wie es im aktuellen Fall um den Kabarettisten Dieter Nuhr versucht wurde.
Eigentor eines muslimischen Eiferers
Ein Deutscher türkischer Herkunft bezeichnet ihn als Hassprediger und erstattete Anzeige, weil er sich als Moslem von dessen Programm beleidigt fühlt. Wie bitte? Nuhr ein Hassprediger? Klingt da nicht gar eine zarte Form von Ironie durch? Nein, der Mann hat das wirklich richtig ernst gemeint. Nun kann man ja zu Dieter Nuhr stehen, wie man will, ich selbst kenne nur einige Zitate aus seinem Programm, aber die Attacken gegen seine Aussagen zum Islam nehmen in der Öffentlichkeit einen derart breiten Raum ein, dass sie einen solidarischen Reflex auslösen. Einen Schulterschluss aller Freidenker, nicht nur der professionellen Humorarbeiter und Kabarettisten: weiter so, Herr Nuhr! Abgesehen davon, dass die lächerliche Klage vermutlich gar nicht weiter verfolgt werden wird, hat sich dieser muslimische Eiferer ein grandioses Eigentor geschossen.
"Was darf Satire?", hat schon Kurt Tucholsky gefragt. Die Antworten darauf sind so vielfältig, wie sich unsere Gesellschaft immer wieder vielfältig weiterentwickelt. Tabus aus vergangenen Jahrhunderten entlocken heute kaum jemandem mehr als ein müdes Achselzucken, mittelalterliche religiöse Tabus nicht einmal mehr das. Wir Satiriker finden den Stoff für unsere Arbeit in unserem täglichen Umfeld, wir sind geradezu umzingelt davon, von jener anregenden Kombination aus Dummheit und Präpotenz in allen Gesellschaftsschichten. In der Politik, in der Wirtschaft, in den Medien, im Sport und in den Religionen. Deshalb muss auch der Islam satirische Auseinandersetzungen aushalten, wie sie alle anderen Religionen in Europa ebenfalls auszuhalten haben. Eines steht jedenfalls außer Frage: Den Islam satirisch zu übergehen, hieße, ihn insgesamt auszugrenzen. Und das kann niemand wollen, schon gar nicht der Islam.