Im Auftrag des Wirtschaftsministers Franziska Brantner verhandelt Habecks Agenda: "Das ist wie ein großes Schachbrett"

Robert Habeck und Franziska Brantner
Die Frau an Robert Habecks Seite: Franziska Brantner ist Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium
© Kay Nietfeld / DPA
Franziska Brantner ist die Staatssekretärin hinter Wirtschaftsminister Robert Habeck. Sie soll die deutsche Abhängigkeit in Sachen Rohstoffe verringern – und sie gilt als harte Verhandlerin. Ein Gespräch über Macht, politische Kommunikation in Zeiten der AfD und über das Muttersein im Bundestag.

Frau Brantner, Sie sind Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium – eine Rolle mit hohem Einflussbereich. Das ist in der Öffentlichkeit nicht unbemerkt geblieben. Streben Sie nach Macht?
Ja, die Frage ist immer, wofür setzt man Macht ein, wofür möchte man sie haben? Es geht um Gestaltungsmacht, also darum, wie politische Ziele umgesetzt werden können.

Über Sie wird oft gesagt, dass Sie eine harte Verhandlerin sind, wenig einfühlsam. Ist das eine Frage dessen, wie Frauen wahrgenommen werden? Wie gehen Sie mit diesen Zuschreibungen um?
Ich finde es interessant, so etwas zu lesen und denke dabei: Wie wäre das jetzt bei einem Mann mit einem ähnlichen Verhandlungsstil? Da würde man vielleicht nicht sagen, der ist zu hartnäckig und anstrengend. Man würde wahrscheinlich sagen, er ist durchsetzungsstark. Es gibt ein treffendes Zitat, in dem es heißt: "Es ist leicht für eine Frau als anstrengend zu gelten. Deshalb sind wir auch so viele, die anstrengend sind." 

Wenn man keine gute Verhandlerin ist, kriegt man sicherlich auch keine guten Ergebnisse zustande. Dann gilt man vermutlich als zu weich.
Ich bin ausgebildete Mediatorin und habe viele Verhandlungsprinzipien gelernt, damals gar nicht mit Blick auf den politischen Aushandlungsprozess, aber natürlich kommt mir das zugute. Ich ahne, wo man aufpassen muss, damit man sich nicht über den Tisch ziehen lässt.

Was und mit wem verhandeln Sie vor allem?
Ich verhandle innerhalb der Koalition, mit dem Bundestag, mit der Europäischen Kommission, mit europäischen Mitgliedsstaaten, mit dem Europäischen Parlament. Dazu kommt ein permanenter Austausch mit der Industrie, mit Verbraucherschutzverbänden et cetera. Man muss mit diesen Ebenen jonglieren, klug und strategisch vorgehen, sich Partner suchen, um am Ende die Position durchzubringen. Diese Allianzen zu schmieden und zu überlegen, welche Schritte man geht, das ist wie ein großes Schachbrett, das macht mir Freude.

Zur Person

Franziska Brantner ist "Parlamentarische Staatssekretärin". Das sind Abgeordnete, die das Ministerium an den Bundestag binden, an Brüssel und nach außen. Sie gehen in die Ausschüsse, verhandeln mit dem Parlament Gesetze, die im Ministerium erarbeitet werden, und sind bei öffentlichen Auftritten präsent. Es gibt keine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenbeschreibung, die definiert der Minister oder die Ministerin mit den jeweiligen Staatssekretären. Franziska Brantner ist zum Beispiel federführend für die Frage der Rohstoffe zuständig oder hat die KI-Verordnung auf EU-Ebene mitverhandelt. Zuvor war sie unter anderem Mitglied des Europaparlaments.

Aber diese Ebenen, die man durchläuft, und die Kompromisse, die man schließt, lassen sich nicht immer gut vermitteln. Das Thema Kommunikation ist ein großer Kritikpunkt an der Ampel-Regierung. Wie sehen Sie das?
Ich finde, dass wir in der Regierung inhaltlich viel erreichen und modernisieren. Vieles davon ist erst mit einem zeitlichen Verzug spürbar und die Kommunikation ist durch Streit bei einzelnen Vorhaben geprägt. Dadurch, dass innerhalb der Regierung viel gestritten wird, wandert auch viel mediale Aufmerksamkeit dorthin. Das ist, glaube ich, auch einer der Punkte, die das Bild von der Ampel-Koalition so schlecht machen. Und ich glaube, wir müssen uns auch immer wieder daran erinnern, was unsere Demokratie ausmacht: komplexe Aushandlungsprozesse, an deren Ende Kompromisse stehen. Ich versuche, das in der Öffentlichkeit mit konkreten Beispielen zu erklären, aber dafür brauchen Sie meistens mehr als zwei Sekunden.

Und nicht jeder ist bereit, so lange zuzuhören. Gerade die Kommunikation auf Social Media ist in der Regel sehr verkürzt. Wie gehen Sie mit Medien wie TikTok um?
Ich habe mich entschieden, auch bei TikTok präsent zu sein aus dem klaren Grund heraus, diesen Kommunikationsraum nicht der AfD zu überlassen. Aber natürlich bedeutet das auch, dass wir Sicherheitsvorkehrungen treffen. Ich mache das nicht von meinem privaten oder dienstlichen Handy aus, denn wir wissen, wie TikTok mit Daten umgeht. Aber wenn man das im Kopf behält, hat man als Politiker schon die Verantwortung, diesen Raum mitzubedienen mit einer Kommunikation, die auch TikTok-spezifisch ist. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Genau das ist die Frage. Hier hat man einen Kanal mit Menschen, die nur sehr kurz zuhören wollen. Wie bringen Sie Ihre Botschaften auf solchen Plattformen rüber?
Mir macht es Spaß, Dinge auszuprobieren und kreativ zu sein. Ich versuche dabei immer authentisch zu bleiben. Das funktioniert nur mit schnelleren Schnitten, mit schnellerer Musik und mit anderen Bildern. Da gibt es mittlerweile eine gute Community, für die ich sehr dankbar bin. Ich habe in den letzten Monaten 30.000 Kommentare bekommen, was auch zeigt, wie viel Bereitschaft es zum Dialog gibt. Und das nehme ich sehr ernst.

Es gibt aber sicherlich nicht nur den positiven Austausch, sondern auch Hassnachrichten, die schwer auszuhalten sind. Wie gehen Sie damit um?
Ja, absolut. Wir geben das direkt an Hate Aid und bringen alles zur Anzeige, was beleidigend ist oder Drohungen enthält. Da sind wir konsequent. Es gibt Medien wie X, die mittlerweile komplett enthemmt sind. Wir haben eine große Verantwortung als Politiker und als Bürger, diese Plattformen demokratisch zu nutzen. Gleichzeitig hat aber auch die Europäische Kommission eine Verantwortung, sicherzustellen, dass sich diese Plattformen an geltende Gesetze halten und Hate Speech und kriminelle Inhalte löschen. Und dieser Verantwortung kommen die Plattformen noch sehr unterschiedlich nach. Da sind wir noch nicht am Ende der Fahnenstange.

Hate Speech ist nicht nur eine Sache von Social Media – es gibt auch eine Geschichte aus Ihrem realen Leben, in der ein einziger Satz von einem AfD-Abgeordneten und später von Comedian Dieter Nuhr verdreht wurde und zu einem Shitstorm geführt hat. Wie haben Sie diesen Vorfall erlebt?
Wir hatten eine Regierungsbefragung im Bundestag und ich war an der Reihe als parlamentarische Staatssekretärin für mein Ministerium. Es gibt einen Kollegen der AfD, Stephan Brandner, der es sich immer wieder zur Freude macht, Frauen im Bundestag herabzuwürdigen, sie beispielsweise nie mit Doktortitel anspricht. Und es gab einen Zwischenruf der Kollegin Renate Künast, woraufhin dieser Kollege meinte, "da ist wieder die Sprechpuppe". Und ich finde diese Bezeichnung nicht akzeptabel, das hat mit Anstand und Respekt nichts zu tun. Eine Frau ist keine Puppe. Das habe ich in meiner Antwort schließlich angesprochen. Kurz darauf rief besagter Kollege wieder herein und sagte so einen Satz im Sinne von "wenigstens können Sie lesen". Darauf habe ich reagiert und gesagt: "Zum Glück entscheiden in diesem Haus nicht Sie, wer gewählt wird. Hier dürfen auch Menschen arbeiten, die nicht lesen und schreiben können." Gemeint waren damit über 6,2 Millionen Menschen in Deutschland, die keine vollständige Lesefähigkeit haben und natürlich auch ihre demokratischen Rechte besitzen.

Und dieser Satz wurde verdreht.
Richtig. Die AfD hat das sofort gepostet und gesagt "Brantner will, dass Menschen, die nicht schreiben und lesen können, in den Bundestag kommen." Das ist klassische AfD-Taktik. Man nimmt einen Halbsatz aus einem gesamten Kontext und pusht nur diesen Fetzen mit einer Überschrift, wo natürlich viele denken, "ist ja unglaublich, jetzt will die Brantner nur Analphabeten im Bundestag haben". Und Dieter Nuhr hat das in seinen Jahresrückblick aufgenommen und dem Ganzen noch ein Sahnehäubchen aufgesetzt und gesagt: "Brantner ist ein exzellentes Beispiel für Inklusion im Bundestag."

Er hat Sie also im Grunde "behindert" genannt und damit gleichzeitig auch noch Menschen mit Behinderung diskriminiert. 
Genau. Und das hat noch einmal eine Massenwirkung bekommen, die eine AfD allein gar nicht hätte generieren können. Und ich denke, da müssen wir alle wachsamer werden, weil dieses Vorgehen der AfD unsere demokratische Kultur zerstören kann. Hier sind wir alle in der Verantwortung, jeder einzelne beim Weiterleiten solcher Inhalte ohne sie zu hinterfragen. Mitdenken ist eine Bürgerpflicht in Zeiten, in denen die Demokratie so unter Attacke steht und in der die digitalen Wege genutzt werden, um anzustacheln, um unser demokratisches Miteinander zu zerstören.

Gleichzeitig kommt häufig der Vorwurf von Bürgern, dass man den typischen Politikersprech nicht versteht. Dass Politker:innen die Dinge nicht klar beim Namen nennen. Wie nehmen Sie das wahr?
Ich sehe durchaus, dass häufig nicht verständlich kommuniziert wird. Ich bemühe mich, verständlich zu kommunizieren – gelingt das immer? Wahrscheinlich nicht, aber ich versuche es. Es gibt natürlich einen Grund, warum viel verklausuliert gesprochen wird – weil man so weniger angreifbar ist. Wenn man einzelne Sachen sagt und die dann aus dem Zusammenhang gerissen und sehr schnell gegen einen verwendet werden können, kommt man in so eine Watte-Kommunikation. Das ist bedauernswert, aber auch verständlich, wenn diese Personen ansonsten permanent attackiert werden. Deswegen glaube ich, dass alle jene Menschen, die sich klarere Kommunikation wünschen, sich selbst überprüfen sollten, ob sie Dinge, die aus dem Zusammenhang gerissen werden, skandalisieren. 

Noch ein ganz anderes Thema. Sie waren mit Tübingens Bürgermeister Boris Palmer zusammen, der heute sehr umstritten ist. Wie gehen Sie damit um, dass das immer wieder zum Thema wird?
Ich habe entschieden, darüber nicht zu reden. Und ich frage mich an dieser Stelle auch immer wieder: Wird einem Mann nach über zehn Jahren einer Trennung auch diese Frage gestellt?

Das lassen wir mal so stehen. Sie haben eine gemeinsame Tochter. Wie war das für Sie, Familie und Politik zu kombinieren? 
Ich war, bevor ich in den Bundestag gewählt wurde, im Europäischen Parlament und habe in der Zeit auch meine Tochter zur Welt gebracht. In Brüssel war das nichts Besonderes. Für die französischen oder italienischen Abgeordneten gehört das dazu. Deswegen gibt es dort auch Wickelmöglichkeiten und man kann abgepumpte Milch in den Kühlschrank stellen. Als ich dann in den Bundestag gekommen bin, habe ich gesehen, dass das alles gar nicht normal war.

Dann haben Sie gehandelt…
Ich habe gemeinsam mit Kristina Schröder von der CDU, Katja Kipping von den Linken und Dagmar Schmidt von der SPD eine Initiative gegründet, den Bundestag familienfreundlicher zu gestalten. Wir hatten zu der Zeit kleine Kinder. Ein paar Schritte haben wir ermöglichen können – etwa ein Spielzimmer oder Wickelmöglichkeiten. Aber in Deutschland ist immer noch Luft nach oben. Wir haben hier im politischen Betrieb eine starke Abendkultur. In Frankreich oder den skandinavischen Ländern, wird etwa das Netzwerken mehr "over lunch" geregelt. Das macht Politik durchaus familienfreundlicher, übrigens auch für Mitarbeiter.

Wie gewinnen wir trotzdem mehr Frauen für die Politik? 
Es gibt tolle Frauen in allen demokratischen Parteien und ich arbeite wirklich sehr gerne mit ihnen zusammen. Mein Eindruck ist, dass wir Schritte nach vorne kommen. Ich merke zum Beispiel, dass sich Abgeordnete weniger häufig dafür entschuldigen, dass sie Kinder haben und deswegen nicht permanent präsent sein können. Ich erinnere mich sehr gut daran, dass ich mich am Anfang immer dafür entschuldigt habe, bis mich jemand darauf hingewiesen hat und ich selbst gemerkt habe, das ist kein Fehler, sondern etwas Schönes. Früher haben konservative Kolleginnen schon eher mal gesagt, dass sie sonntags fehlen, weil sie in der Kirche sind, statt zu sagen, dass man gerne bei seinen Kindern sein möchte.

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Ihre Geschichte zeigt, dass Einflussnahme möglich ist.
Ja, da habe ich auch noch ein Beispiel. Ich bin alleinerziehende Mutter. Während Corona war es relevant, dass ich aus eigener Erfahrung wusste, wie sich manche Regeln auf Alleinerziehende auswirken können. Ich habe bei uns in Baden-Württemberg auch einiges ändern können, weil ich gesagt habe, "das geht einfach nicht, das ist unpraktikabel. Das funktioniert vielleicht für ein Paar, aber auf keinen Fall für eine Alleinerziehende". Es ist ein Unterschied, wenn solche Erfahrungen im Entscheidungsraum der Politik gar nicht vorkommen und entsprechend auch nicht berücksichtigt werden. 

Ich frage zum Schluss immer nach dem Titel für eine Autobiografie, wenn Sie die irgendwann einmal schreiben würden. Fällt Ihnen spontan etwas ein?
Mit Freude viel erreicht.

Das Gespräch führte Simone Menne mit Franziska Brantner im stern-Podcast "Die Boss – Macht ist weiblich". Es wurde für stern PLUS redaktionell angepasst.