Theo Zwanziger als sturer Kämpfer. Der DFB-Präsident ist entschlossen. Bis zum Ende will er diesen Kampf juristisch durchfechten. Und er will gewinnen. Wehe nicht! Dann, so droht Theo Zwanziger, könne er auch zurücktreten. Er begreift es als schwere Beleidigung, dass der Sportjournalist Jens Weinreich ihn in einem Internet-Blog als "unglaublichen Demagogen" bezeichnet hat. Ihm ist zuwider, dass solche Wortwahl durch die Meinungsfreiheit gedeckt sein soll, wie alle bisher damit befassten Gerichte beschieden. Wenn das Amt es mit sich bringe, solche persönlichen Beleidigungen hinnehmen zu müssen, sei ihm das Opfer zu groß. Er hänge nicht an seinem Posten. In Deutschland gebe es tausend Menschen, die das besser könnten als er. So drohte Theo Zwanziger mit Rücktritt.
DFB-Mediendirektor Harald Stenger bemühte sich vergebens um Relativierung. Das Umfeld ist ratlos; Mitarbeiter wundern sich über die starrsinnige Zuspitzung und die Beratungsresitenz ihres Chefs. Der will das Wort "Demagoge" partout als Synonym für "Volksverhetzer" verstehen und sieht sich mindestens in eine Reihe gestellt mit Josef Goebbels. Das will er nicht ertragen. Er will den Sieg über seinen Beleidiger. Worum geht es eigentlich? Wirklich nur um die absurd zugespitzte Fehde zwischen einem besonders sensiblen Funktionär und einem besonders kritischen Sportjournalisten?
Theo Zwanziger - ein Segen für den DFB
Theo Zwanziger, der rheinland-pfälzischen CDU ebenso eng verbunden wie der Kanzlerin, ist von Hause aus Jurist. Gern erzählt der Jurist, wie er früher den "Kicker" in seinen Gesetzesbüchern versteckt und dort heimlich gelesen hat. Für diese Massenorganisation des deutschen Sports, die über Jahrzehnte hinweg ein Filz-und-Klüngel-Klub war, ist er ein Segen. Er hat den DFB zur Gesellschaft hin geöffnet - und zwar keineswegs nur im Sinne der Kommerzialisierung.
Zur Person
Bernd Gäbler, geboren 1953 in Velbert/Rheinland, ist Publizist und Dozent für Journalistik. Er studierte Soziologie, Politologie, Geschichte und Pädagogik in Marburg. Bis 1997 arbeitete er beim WDR (u.a. "ZAK"), beim Hessischen Rundfunk ("Dienstags – das starke Stück der Woche"), bei Vox ("Sports-TV"), bei Sat1 ("Schreinemakers live", "No Sports"), beim ARD-Presseclub und in der Fernseh-Chefredaktion des Hessischen Rundfunks. Bis zur Einstellung des Magazins leitete er das Medienressort der "Woche". Von 2001 bis Ende 2004 fungierte er als Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts in Marl.
Während der Verband früher schlicht erklärte, Gewalttäter seien eben keine richtigen Fußball-Fans, befasst sich Zwanziger mit der Gewalt in und um die Stadien. Er sieht den Fußball als wichtigen Teil der Gesellschaft, arbeitet mit Fanprojekten zusammen, interessiert sich für soziologische Arbeiten über Hooligans, nimmt Worte wie "Rassismus" in den Mund, bekennt sich zu einer Integrationsaufgabe des Fußballs und fördert den Frauenfußball. Sogar das Wort "schwul" - in Fußballerkreisen nun wirklich ein Tabu - hat er schon in den Mund genommen. Unter den obwaltenden Umständen - eine schräge Figur wie St. Pauli-Chef Corny Littmann ist nun einmal nicht als DFB-Chef vorstellbar - ist er ein Segen für den DFB. Er hat - so könnte man zugespitzt sagen - (jetzt bitte nicht klagen, Herr Zwanziger, das ist ein Lob!) für die nachträgliche Entnazifizierung des DFB gesorgt.
Wer ist Jens Weinreich?
Auch Jens Weinreich ist ein Unikat. Er ist ein besonders kritischer Sportjournalist, einst war er Sportchef der "Berliner Zeitung". Er hebt sich ab von den Mitläufern und Mitspielern. Vielleicht könnte man in ihm einen spiegelverkehrten Hagen Boßdorf erkennen. Einst waren sie Kumpel. Aus dem Osten kommend ist Boßdorf im Laufe der Jahre ein- und aufgestiegen in das Geschäft mit dem Sport, ist immer tiefer eingetaucht in den Sumpf aus Sport, Journalismus und Verwertung, hat mitgespielt im Reigen der Mächtigen. Jens Weinreich hat das Gegenteil getan: diesen Reigen, die Intrigen und besonders verkommene Institutionen kenntnisreich entlarvt. Jetzt denkt er nicht daran, den "Demagogen" zurückzunehmen, denn genau so hat er den konkreten Debattenbeitrag Zwanzigers erlebt; bei dieser Wertung wird er bleiben und dafür fordert er Solidarität ein. Am 16. Januar wird ihn das "Medium Magazin" sogar zum "Sportjournalisten des Jahres" küren.
Angeblich geht es um Medien, tatsächlich um Macht
So kämpfen denn zwei Starrsinnige gegeneinander, am Ende werden die Gerichte entscheiden. Für Medien ist daran interessant, was am Ende als freie Meinungsäußerung zulässig ist und was schon als Beleidigung gilt. Theo Zwanziger wird lernen, dass es in 999 von tausend Fällen falsch ist, Journalisten zu verklagen. Tatsächlich aber steckt mehr hinter dieser Kontroverse. Theo Zwanziger will Handlungsfreiheit und fordert dafür Gefolgschaft. Wer zu ihm steht, soll seinen Klageweg unterstützen. Er will ein Exempel statuieren. Denn im DFB gibt es Unruhe und Unmut. Mitarbeiter beklagen den rauen Ton Theo Zwanzigers. Dünnhäutiger sei er geworden - keineswegs nur in der Causa Weinreich.
In eine sich offen formierende Opposition ist das noch nicht umgeschlagen, aber der Kurs Theo Zwanzigers ist umstritten. Es gibt Funktionäre, die ihn für zu lau, zu vermittelnd, schlicht für zu liberal halten. Als er gefragt wurde, ob ihn die Rücktrittsdrohung Zwanzigers überrascht habe, sagte sein Vize-Präsident Rainer Koch lediglich: "Dazu möchte ich keinen Kommentar abgeben." Rainer Koch ist der Chef des mächtigen bayerischen Fußballverbandes, der kürzlich bei einem Gipfeltreffen alle Konflikte mit Bundesliga und DFL im Alleingang ausgeräumt hat. Er läuft sich hinter den Kulissen als Alternative zu Theo Zwanziger warm.
Theo Zwanziger - kein guter Politiker
Ein guter Politiker spürt, welche Konflikte er zuspitzen und welche er lieber dämpfen sollte. Theo Zwanziger hat sich durch persönliche Empfindsamkeit dazu verleiten lassen, zur Lösung eines DFB-internen Problems, zur Festigung seiner eigenen Unangefochtenheit, den falschen äußeren Konflikt zuzuspitzen.