Historisch ist Quentin Tarantinos neuer Film "Inglourious Basterds" Tineff. Während des Zweiten Weltkriegs kämpft sich ein Haufen jüdischer GIs unter dem Kommando des unwiderstehlichen Brad Pitt-Bulls durch das von Nazi-Deutschland besetzte Frankreich. Sie killen mit Wonne SS-Leute, Wehrmachtsangehörige und sonstiges braune Gezücht. Die jüdischen Fighter zertrümmern ihnen mit Schmackes die Schädel, skalpieren sie oder knallen sie einfach über den Haufen. Einige brave deutsche Helfer wie das Nazi-Opfer Til Schweiger beteiligen sich eifrig an der Tötungsorgie. Beim finalen Showdown befördert die Judentruppe in einem Pariser Kino die gesamte Nazi-Führung einschließlich des keifenden Führers und seiner Lakaien Goebbels, Bormann und Göring ins Jenseits. Ende gut, alles gut!
Viele stellen sich jetzt die Frage: Darf man das? Darf man die Juden als Killer darstellen, die obendrein auch noch Spaß an ihrer mörderischen Arbeit haben? Ist das wieder erlaubt? Nach Auschwitz, wo die schlechten Vorfahren der guten heutigen Deutschen die Juden millionenfach meuchelten?
Nichts quält die Hebräer so sehr, wie die immer wieder gestellte Frage: "Dürfen wir euch Juden - endlich! - wieder als schlechte Kerle darstellen, nach all dem, was ihr durch die Nazis und ihre 'Stürmer'-Hetze erleiden musstet?"
Zur Person:
Rafael Seligmann, geboren 1947 in Tel Aviv, ist im Alter von zehn Jahren mit seiner Familie nach Deutschland ausgewandert. Er studierte Politikwissenschaft und Geschichte in München und Tel Aviv und promivierte 1982 über "Israels Sicherheitspolitik". Seit 1978 schreibt Seligmann für zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften Essays, Kommentare und Kolumnen, darunter für den "Spiegel", "Bild", "Die Welt" und die "taz". 1985 gründete er die "Jüdische Zeitung". In seinen Romanen und Sachbüchern setzt sich Seligmann schonungslos mit dem deutsch-jüdischen Verhältnis auseinander, das er einmal als "seine Mission" bezeichnet hat. Ihm geht es vor allem darum, mehr Normalität im Zusammenleben von Deutschen und Juden zu erstreiten. Rafael Seligmann lebt als freier Journalist, Moderator und Schriftsteller in Berlin.
Nicht nur die Nachkommen der jüdischen Opfer sind traumatisiert - auch die Söhne und Töchter der deutschen Täter. Ihre Gehirne sind seit mehr als 200 Jahren vom deutschen Humanisten Gotthold Ephraim Lessing blockiert, der die Juden als Übermenschen der besonderen Art stilisierte. In seinem "Nathan der Weise" ist der Israelit klug, allzeit gütig, verzeihend und versöhnend. Kurz: Der Jude hat sich gefälligst wie Jesus zu benehmen. Der sündige Christenmensch dagegen massakrierte hurtig die Hebräer: während der Kreuzzüge, in unzähligen Pogromen und Misshandlungen und schließlich mit maschineller Effizienz unter Nazi-Regie.
Die Juden Europas ließen es mit sich machen. Doch keineswegs, weil sie, wie Lessing und seine gutmenschelnden Freunde meinten, die besseren Wesen waren, sondern weil ihnen nichts übrig blieb. Die Hebräer waren in Ghettos gepfercht, seit mehr als einem Jahrtausend der christlichen Judenhetze ausgesetzt, und überdies besaßen die Israeliten keine Waffen, mit denen sie sich hätten zur Wehr setzen können. Gewollt hätten sie schon!
Keiner wusste dies besser als der englische Klassiker William Shakespeare, der Shylock ersann. Der rachsüchtige jüdische "Kaufmann von Venedig" besteht darauf, dem Christen das Fleisch aus dem Leibe zu schneiden. Denn Shylock spricht Klartext: "Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns beleidigt, sollen wir uns nicht rächen?"
Wenn die Juden dazu in der Lage sind, benehmen sie sich ebenso wie alle anderen. Sie wehren sich, ja sie greifen an. Die "Inglourious Basterds" sind Erfindungen Quentin Tarantinos. Dies geschah im Auftrag jüdischer Filmproduzenten, der Brüder Weinstein. Während der Shoah gab es durchaus jüdische Widerstandskämpfer. Die meisten fielen in die Hände der Nazis und wurden massakriert, wie die in Israel noch heute verehrte Fallschirmjägerin Hannah Szenes.
Nun, da die Juden in Israel Waffen haben, gebärden sie sich wie alle anderen. Das schmerzt die Philosemiten, die Judenfreunde von eigenen Gnaden, tief in ihren selbstgerechten Seelen. Sie waren es gewohnt, die Objekte ihres Mitleids folgenlos zu bedauern und zu betrauern. Sie in ihre Gebete einzuschließen und, nachdem wieder einmal Juden gemeuchelt worden waren, ihnen Holocaust-Mahnmäler zu erbauen.
Israelis haben gelernt, sich zur Wehr zu setzen
Die Israelis verzichten auf dieses Mitgefühl. Sie sind durch Auschwitz nicht zu besseren Menschen geworden. Vielmehr haben sie gelernt, sich zur Wehr zu setzen. Gelegentlich hauen sie dabei - wie alle - über die Stränge. Und das erbittert ihre Feinde gewaltig. Allzu lange waren sie es gewohnt, je nach Raub- und Mordlust, jüdische Frauen, Kinder und Männer zu demütigen, zu misshandeln, zu vergewaltigen, zu ermorden. Ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.
"Inglourious Basterds"
Zweiter Weltkrieg, Frankreich: Eine Truppe jüdischer US-Soldaten, genannt die "Basterds", verbreitet im Feindesland Angst und Schrecken, indem sie Nazis jagt, tötet und skalpiert. Parallel dazu erzählt Regisseur Quentin Tarantino die Geschichte des französischen Mädchens Shoshana (Mélanie Laurent), dessen Familie vom "Judenjäger", SS-Mann Hans Landa (Christoph Waltz), ausgelöscht wurde. Sie überlebt mit falscher Identität in Paris, wo sie ein Kino führt. Als ausgerechnet dort die gesamte Nazi-Führungsriege zu einer Galavorführung zusammenkommen will, schmiedet sie einen Racheplan. Allerdings wollen sich auch die "Basterds" diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.
Das lassen die Israelis nicht mehr zu. Wer Israelis oder Juden heutzutage angreift, muss damit rechnen, von Zions Söhnen gestellt und bestraft zu werden. Israels Arm reicht weit. Viele Skrupel haben die Israelis nicht. So stöberten Mossad-Agenten 15 Jahre nach dem Ende der Shoah den Organisator des Völkermords Adolf Eichmann in Argentinien auf. Doch anders als Tarantinos Kunstfiguren begnügten sie sich nicht damit, den Oberkiller zu skalpieren. Stattdessen entführten sie ihn nach Jerusalem. Wo er nach einem ordentlichen Prozess ordentlich aufgeknüpft wurde.
"Inglorious Basterds" ist ein Rächer-Film. Rache ist zutiefst menschlich. Sie entspringt dem Gefühl der Ohnmacht. Sie entsteht vor allem bei Unterdrückten. Bei Juden, aber auch bei sexuellen Minderheiten, bei Schwarzen, Ausländern, Moslems, Palästinensern, Benachteiligten. Insofern ist Tarantinos Film bei aller ästhetisierenden Gewalt menschlich, allzu menschlich.