Ausstellung "Köln in Berlin" Was vom Einsturz übrig blieb

Ein Haus ist im Erdboden versunken, zwei Menschen starben in den Trümmern - das erschütternde Resultat eines Bauskandals, der ganz Deutschland bewegte. Aber was wurde eigentlich aus den Dokumenten, die im Kölner Stadtarchiv eingelagert waren? Eine Ausstellung zeigt die Rettungsversuche.

Die Severinstraße ist öde und traurig geworden, immer noch klafft da das schreckliche Loch, gerissen vor rund einem Jahr, als das Kölner Stadtarchiv im Erdboden versank. Pfusch am Bau, stellte sich nun heraus. Ein paar Arbeiter hatten die Eisenträger, die sie eigentlich in den neuen U-Bahn-Schacht einbauen sollten, einfach verscherbelt. Das Ergebnis: eine Katastrophe.

Am 3. März 2009 stürzte das Kölner Stadtarchiv in die Baugrube, sackte einfach weg. Und mit ihm das Gedächtnis der Stadt: 30 Kilometer Regale mit 60.000 Urkunden, einer halben Million Fotos, Tausenden von Dokumenten, Nachlässen, Handschriften, Karten, Plänen.

Max Plassmann hatte grade zwei Wochen zuvor seine neue Stelle am Kölner Stadtarchiv angetreten, er saß an seinem Arbeitsplatz, als es knirschte. Jemand schrie: raus. Alle rannten. Und kaum waren sie draußen, ging das Haus in die Knie. Was fühlte er da?

"Ach, wissen Sie", sagt er, "das ist nicht so wichtig." Wut? Angst? Trauer? Emotionen will er nicht zulassen. "Es ist viel zu retten. Das war das Wichtigste."

Nasses wurde erst mal eingefroren

Und sie retteten. Schnell musste es gehen, denn von unten drückte das Grundwasser, von oben drohte der Regen. Erst mal brachten sie alles in eine große Möbelhalle und verteilte dann die versehrten Bücher und Papiere auf 19 verschiedene Archive in ganz Deutschland. 85 Prozent der Bestände konnten geborgen werden, aber wie? "Ein Drittel ist stark zerstört", sagt Plassmann. Nasses wurde in Folie verpackt und erst mal eingefroren, anderes in Trockenkammern erwärmt, um Schimmel zu verhindern.

Der Nachteil der Blitzaktion: Niemand weiß mehr genau, was wo gelandet ist. Einige Bücher oder Mauskripte liegen zur Hälfte hier, zur anderen dort, keiner weiß so genau, was wo ist, denn es musste ja alles so schnell gehen. Die Teile wieder zusammen zu fügen, zu ordnen und zu restaurieren, wird Jahrzehnte dauern. Eine Sisyphusarbeit. "Ich werde das Ende der Restaurierungsarbeiten wohl nicht im Amt erleben", seufzt Bettina Schmidt-Czaja, die Archivleiterin. Blass und schmal steht sie vor den zerfetzten Büchern, die nun wie Mahnmale in den Vitrinen liegen. Trauer? "Die wäre nicht zu ertragen", sagt sie. "Wir müssen nach vorne blicken und arbeiten. Alles andere bringt ja nichts." Ja, es ist ein wenig so, "als wenn jemand gestorben wäre", sagt sie. "Aber tot sind die Bücher nicht, nur sehr krank."

Fotos von den Rettungsarbeiten hängen an der Wand: erschöpfte Feuerwehrleute, aufgeweichte Papiere, blaue Tonnen, in denen man die Fetzen gesammelt hatte. Noten von Jacques Offenbach waren unter den Trümmern, Fotoalben aus dem Kölner Karneval, wertvolle mittelalterliche Folianten genauso wie Sozialhilfe-Unterlagen der Stadt Köln. Das Archiv ist eines der ältesten überhaupt, gegründet im 15. Jahrhundert. Mehrere Kriege hat es überstanden. Und nun das.

Besonders tragisch: auch der Nachlass von Heinrich Böll war im Kölner Stadtarchiv, seine Familie hatte die Manuskripte, Briefe und Fotos nur drei Wochen vor dem Einsturz dorthin verkauft. Im Augenblick weiß niemand genau, wo die Böll-Papiere sind. Verteilt über die Republik auf mehrere Asylarchive, irgendwo. Ein Desaster.

Dennoch gibt es Hoffnung, es ist einfach eine Frage der Zeit. Beeindruckend die Vorher-nachher-Ansichten von bereits restaurieren Stücken. Ein Libretto von Hans Werner Henze sah nach der Bergung aus wie ein gewässerter Papierknödel. Nun ist es restauriert und man sieht ihm den Schaden kaum noch an. Ein Wunder.

Die großen Bücher aus dem Mittelalter haben den Archiv-Einsturz am besten überstanden. Ihre meist dicken Einbände schützten sie vor den schlimmsten Verletzungen. Nur die alten Siegel sind zerbröselt.

Betonstaub kann Papier zersetzen

Ganz schlimm ist der Betonstaub: Man sieht ihn nicht, aber er ist wahrscheinlich auf jeder einzelnen Buchseite und kann Papier und Farben zersetzen. Mühsam muss er mit Pinsel oder Schwämmchen weggewischt werden. Es sind Hunderte von Millionen Seiten, die da auf Hilfe warten.

Ein paar völlig verbogene Stahlregale, ausgestellt am Ende der Ausstellung, zeigen die Gewalt der Zerstörung. "Wie Butterbrotpapier" haben sie sich zusammengefaltet, so Plassmann.

Und dann ist da noch diese Vitrine ganz am Ende der Ausstellung: Fetzen. Einfach nur aufgesammelte Fetzen von allen möglichen Büchern, Briefen, Urkunden, alt und neu, völlig durcheinander. "Wir haben mehrere Millionen solcher Fetzen", sagt Plassmann.

Rund 500 Millionen wird es kosten, alles zu restaurieren. Nun muss Geld her, eine Stiftung Stadtgedächtnis soll dafür sorgen, Spenden sind willkommen. Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat grade eine Million zugesagt, aber das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Max Plessmann ist trotzdem zuversichtlich: "Die Lage ist nicht verzweifelt."

Die Ausstellung "Köln in Berlin. Nach dem Einsturz: Das Historische Archiv", ist bis zum 11. April 2010 im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen

PRODUKTE & TIPPS