Ein halbnackter Bodybuilder steht mit einem Riesen-Lolli mit der Aufschrift "Pop" in der Hand mitten in einem Wohnzimmer: Es war eine einzige, eher kleinformatige Fotokollage, mit der der Brite Richard Hamilton im Jahr 1956 sowohl seinen eigenen Ruhm begründete als auch den Weg für die Pop Art ebnete. Das Bild mit dem Titel "Just What Is It That Makes Today's Homes So Different, So Appealing?" (Was ist es nur, was das moderne Zuhause so anders, so anziehend macht?) wurde zur Ikone der britischen Pop Art.
Am Dienstag ist der Pionier dieser oft missverstandenen neuen Kunst im Alter von 89 Jahren in London gestorben. Er hinterlässt seine Frau Rita und seinen Sohn Rod. "Richard Hamilton war einer der einflussreichsten und markantesten Künstler der Nachkriegszeit", sagte der Direktor der berühmten Londoner Museumsgruppe Tate, Nicholas Serota. Seine Zeitgenossen wie etwa Andy Warhol und Joseph Beuys hätten ihn sehr bewundert. In seinem Leben bekam Hamilton viele Preise, darunter 2007 den Max-Beckmann-Preis der Stadt Frankfurt. 1988 stand er auf der Shortlist beim Turner Prize.
Bekannt wurde Hamilton, der beruflich zunächst mit Werbung und Industriedesign begonnen hatte, durch Bilder, bei denen er Attribute des zeitgenössischen Lebens und der Technologien des 20. Jahrhunderts in die bildende Kunst einführte. Fotografien, Plakate, Fernsehspots und Kitsch-Gegenstände schlachtete er als "Rohstoff" aus und setzte sie in traditionelle Genres wie die Darstellung von Innenräumen, Akten, Stillleben oder Porträts um; Gegenstände und Menschen bekommen dabei oft eine Gleichwertigkeit, die Beklemmung auslöst.
Britischer Flair in der grellen Pop Art
"Will der Künstler nicht einen Großteil seiner althergebrachten Bestimmung verlieren, so wird er die Massenkünste plündern müssen", sagte Hamilton. Während die US-amerikanischen Giganten der Pop Art von Robert Rauschenberg bis Andy Warhol ihre Motive vor allem der grellen Werbung und der Warenwelt entlehnten, ist das Werk Hamiltons britisch-intellektueller, seine Mittel subtiler: Das "Spiel" mit Fotomaterial, sein Interesse an der grafischen Nutzung neuester Computer-Technik, waren ebenso Stilmittel wie der häufige Verzicht auf die herkömmliche Bildperspektive. Die "abgegriffenen" Versatzstücke der Konsumwelt, faszinierend und abschreckend zugleich, schienen bei ihm haltlos durch die Bildräume zu wirbeln.
Hamilton, der sich immer wieder in Verehrung und Nachfolge von Marcel Duchamp (1887-1968) auf den Kunstwert banaler Gegenstände berief, schuf eine kritische Wirklichkeit, indem er die kollektiven Träume und Sehnsüchte seines Publikums gleichsam unterlief. Die fragliche "Realität" der Medien, verschleiernd, vereinfachend, verschönernd, verstand der Künstler mit deren eigenen Mitteln und Bild-Sprache zu schlagen.
In Werken wie "My Marilyn (paste up)" (1964) lässt sich Hamiltons Ablehnung der Zurichtung von Menschen für gängige Markt- und Geschlechterklischees ablesen: Bei den Fotos des posierenden Superstars streicht er - wie ein Grafikdesigner - die Bilder aus, die den Erwartungen der "Konsumenten" nicht entsprechen könnten.
Blair im Cowboy-Shirt mit Waffengürtel
Für "The Citizen" (1982-83) malte er schockierende Fernsehaufnahmen inhaftierter IRA-Häftlinge nach, die im Kampf für einen politischen Status ihre Zellenwände mit Kot beschmiert hatten und statt Anstaltskleidung Decken trugen. Sein Missfallen am Golfkrieg drückte er 1991/92 in bluttropfenden "War Games" aus.
Vor wenigen Jahren löste er eine Kontroverse aus, als er den damaligen britischen Premierminister Tony Blair im Cowboy-Shirt und Waffengürtel zeigte. Er habe das Bild mit dem Titel "Shock and Awe" (2007/2008) gemacht, nachdem Blair mit selbstgefälligem Grinsen von einem Treffen mit US-Präsident George W. Bush gekommen sei, erklärte Hamilton damals und verteidigte sein Werk mit den Worten: "Alles ist eine Frage des Timings. Ich bin mir sicher, dass es im Verlauf der Zeit und Geschichtsbildung seine eigene Kraft entwickeln wird. Die Aufmerksamkeit eines Künstlers sollte auf diese Probleme gerichtet sein, deshalb werde ich nicht aufgeben."