Der Mann muss wahnsinnig sein. Zur besten Sendezeit stellt er sich dem "heute journal"-Publikum und wagt es – und jetzt schnallen Sie sich an –, unangenehme Wahrheiten zu präsentieren. So geschehen, als er mit Schlips und Anzug gekleidet wie eine nachlässige Phantomzeichnung von Joschka Fischer das aussprach, was ein Gasembargo gegen Putin bedeuten würde: "Wir werden dadurch ärmer werden, die Gesellschaft wird es tragen müssen. Die Frage ist wie wir das gerecht verteilen, aber dass das ohne Kosten für die Gesellschaft ausgeht, ist nicht denkbar. Der Preis ist aber im Vergleich zur Ukraine klein genug."
Nun geschieht aber nicht das Gewohnte, die Popularitätswerte rauschen nicht ab wie der Rubel. Stattdessen Begeisterung über diesen neuen Typus Politiker, der sich traut, auch rhetorisch schon mal langsam die Sitzheizung auszustellen. Der mutmaßlich letzte, der das gewagt haben dürfte, muss Oskar Lafontaine gewesen sein, der damals vor den wirtschafts- und sozialpolitischen Folgen der deutschen Einheit warnte und die Deutschen auf Steuererhöhungen vorbereiten wollte.
Zur Strafe verlor er die Bundestagswahl 1990 und muss heute als "warum zieht die Ukraine sich auch so einen kurzen Rock an"-Putin-Apologet den störrischen Hufeisenzwilling von Gerhard Schröder bei Maischberger geben. Die bittere Erkenntnis des Gescheiterten damals: "Ich habe die Einheitseuphorie unterschätzt, das rationale Argument schlichtweg überschätzt. Die Wahrheit ist nicht immer populär."
Für kaum eine Branche galt das bislang mehr als für die Politik. Und nun Habeck. Warum löst dieser stets leicht derangierte Mann, der immer so wirkt, als würde das gleich zu Sagende ihm Sodbrennen bereiten, solch eine Begeisterung aus? Es hat vermutlich mit dem politischen Umfeld zu tun. Da ist zum einen der Bundeskanzler, der wie eine Art Phrasen-Ballmaschine sein Gegenüber mit so viel Unkonkretem beschießt, bis am Ende nichts Fassbares mehr hängenbleibt.
Putin hat seit Jahren gezeigt, dass er ein Verbrecher ist
Oder die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, die mit ihrer Hütchenspielerrhetorik grenzpanisch versucht, cum-ex-artig so viele zukunftsgewandt-positive Botschaften in die Welt zu entsenden, bis man komplett vergessen hat, dass sie vor Wochen noch hervorragende Geschäfte mit dem Kriegsverbrecher Putin gemacht hatte. Dass sie eingangs das Sentiment der gesundheitlichen Angeschlagenheit bedient, kannte man zur emotionalen Abfederung eigener dramatischer Minderleistungen eigentlich so nur vom DSDS- Teilnehmerfeld. Gute Besserung.
"Putin hat alle getäuscht", so das bittere Fazit von Schwesig. Bei allem Respekt, aber: Putin ist nicht Helg Sgarbi, kein Heizungsschwindler. Der Mann hat seit Jahren rhetorische Signalraketen in den Himmel geschossen und auf der Krim Leuchttafeln aufgestellt, um alle darauf lautstark hinzuweisen, ein Verbrecher zu sein. Wer das nicht gesehen hat, war entweder lange Willens, monetäre Kurzsichtigkeit hinzunehmen oder ist schlicht zu inkompetent, IRGENDEINE weitreichende politische Entscheidung zu treffen. Es sind schon Menschen für bedeutend weniger zurück getreten.
Die Wahrheit scheint gerade sehr populär
Die Auftritte des Wirtschaftsministers tun gut. Er mutet uns seine Zerrissenheit zu. Er ist das menschgewordene Schulterzucken. Als Grüner ausgerechnet nach Katar zu fliegen, um um fossile Energien zu betteln? Are you fracking kidding me?
Der Mann macht gar nicht erst den Versuch, den Leuten etwas anderes vorzumachen, als dass das, was er gerade im Interesse Deutschlands erledigt, die Tiefe Wahrheit des Gleichnisses ist: Einen Tod musst du sterben. Diese Transparenz, dieses Ausstellen der Ambivalenz verkörpert keiner besser als er, wenn er wieder einmal zerknirscht das erklären muss, was als Schulnote nie besser werden kann als eine Vier minus.
Dr. Dilemmas Diagnosen. Sein Look, dieses Zerzauste, vom Ringen um die beste Lösung von der Ideallinie abgewichene – der Kragen abstehend, der Krawattenknoten vom Kampf ganz erschlafft – signalisiert den Zustand einer ganzen Nation: Ordentlich gebügelt kommt hier keiner raus. Nein, es gibt gewiss keine Entputinisierungseuphorie. Aber zumindest die Wahrheit scheint gerade sehr populär. Danke, Habeck.