M. Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier Bayern – eine Abbitte

  • von Micky Beisenherz
Micky Beisenherz über München
Micky Beisenherz schreibt eine Liebeserklärung an München
© Micky Beisenherz
Hubsi, Helles und Hofgarten: Unser Kolumnist probierte ein Wochenende lang ein Leben in Weiß-Blau.

"Naaaa! Sag dem, Leopold, er soll vom Turm runter kommen! Und der Maximilian springt aa ned." – mütterliche Rufe, wie sie nur in Bayern vorkommen, dringen an mein Ohr. Sie heißen einfach wirklich alle Maximilian. Bis auf Leopold.

Es ist Mitte September, und im Strandbad Utting am Ammersee quetschen die Leute den letzten Rest Sommer aus dem Kalender. Während im übrigen Deutschland die Freibäder längst dicht sind ("lohnt nicht mehr"), weiß man hier auch in Sachen Restjahreszeitauskostung: a bisserl was geht allerweil. Zum Entsetzen der zeternden Mama "hupft der Corbinian" vom Zehn-Meter-Plateau mit einem Bauchklatscher ins Wasser, ohne sich zu verletzen. Eine beeindruckende Technik.

Tatsächlich das schönste Bundesland?

Am Ufer, dort, wo die leicht erhöhte Liegewiese ist, hat eine ältere Frau eine Staffelei aufbaut, um das Geschehen rund um den ikonischen Holzsprungturm mit den 3-, 5- und 10-Meter-Plattformen als Auqarell festzuhalten. Sie pinselt und tupft tapfer mit allem, was die aquamarine Farbpalette hergibt, während ich im Mietklappstuhl ein Helles trinke, lese und gleich in der Spätestsommersonne einnicken werde.

Micky Beisenherz: Sorry, ich bin privat hier

Mein Name ist Micky Beisenherz. In Castrop-Rauxel bin ich Weltstar. Woanders muss ich alles selbst bezahlen. Ich bin ein multimedialer (Ein-)gemischtwarenladen. Autor (Extra3, Dschungelcamp), Moderator (ZDF, NDR, ProSieben, ntv), Podcast-Host ("Apokalypse und Filterkaffee"), Gelegenheitskarikaturist. Es gibt Dinge, die mir auffallen. Mich teilweise sogar aufregen. Und da ständig die Impulskontrolle klemmt, müssen sie wohl raus. Mein religiöses Symbol ist das Fadenkreuz. Die Rasierklinge ist mein Dancefloor. Und soeben juckt es wieder in den Füßen.

Vielleicht hat Markus Söder, die größte Wärmepumpe Europas, ausnahmsweise einmal nicht gelogen und Bayern ist womöglich das schönste Bundesland. Das mag auch der Grund sein, weshalb er sich für rund 180.000 Euro im Jahr quer vor jede Sehenswürdigkeit stellt, sodass der armen Hoffotograf irgendwann schon froh ist, eine Erbsensuppe inszenieren zu dürfen, ohne dass der Maggus da auch noch drauf ist. 

Zurück in der Hauptstadt erfreue ich mich rund ums Glockenbachviertel an Straßen und Schildern, die so old fashioned sind, dass man erwartet, jeden Moment an der Schreinerei von Meister Eder vorbeizukommen. Im "Hotel Olympic" kehren die Künstler ein. Theatermacher, Autoren, Schauspielerinnen.  Parkettboden, gestärkte Tischdecken und frischer Kaffee im Frühstücksraum. Auf den Fluren Schwarzweißfotografien von Sedlmayr, Bayrhammer oder dem Schwabinger Feierbiest Freddie Mercury. Auf dem Nachttisch liegt die tolle Helmut-Dietl-Biographie von Claudius Seidl aus. Man wartet förmlich drauf, dass gleich Helmut Fischer seinen Hut auf den Ständer neben der Rezeption hängt.

Bayern und der Fußball

In der Holzstraße, um die Eck vom "München 72" steht ein alter BMW635 csi in turmalingrün. In meiner Erinnerung ist mit genau dem irgendeiner der FC Bayern-Spieler Mitte der 80er damit zum Herumpossieren nach Schwabing rübergefahren und hat Hoeneß einen frischen Magentaton ins Gesicht gezaubert. Ach, Bayern und der Fußball. Auf den Wiesen im riesigen Englischen Garten kicken junge Männer und Frauen auf zusammengebastelte Tore. Ich würde lieber aufhören zu joggen und gleich mitspielen (Muss ja keiner wissen, dass ich Dortmunder bin). Oder zur Erfrischung in den Eisbach springen, der wie eine grünblaue Vene durch den Park verläuft.

Auf der Stehenden Welle, unweit der Staatskanzlei zeigen Surfer japanischen Touristen, warum man zum wedelnden Hüftschwung nicht zwingend in die nahe gelegenen Alpen muss. Ein halbes Wegbier entfernt liegt das "P1". Die legendäre Diskothek, die Anfang der 2000er so manche Fußballerkarriere und Ehe atomisiert oder, um im Bilde zu bleiben, pulverisiert hatte.

Ans andere Ende des Hofgartens grenzt "Schumann's Bar". Hier schreitet der auch mit 81 Jahren noch sensationell gut aussehende Chef, Charles Schumann – so etwas wie der inoffizielle Ministerpräsident –, gerade in einem blutroten Feincordanzug durch sein Restaurant und beleidigt so ziemlich jeden durch, der nicht bei drei hinter der Menükarte verschwunden ist. Wie eine Eislaufmutter zieht er seinen Chefkellner Kostas am Arm hinter sich her, auf dass dieser am Tisch doch bitte für ihn weiter zetern möge, sobald ihn selbst die Lust daran verlässt. Die Angst in den Augen der Gäste habe ich zuletzt bei "Jurassic Park" gesehen, wenn der T-Rex an die Scheibe des Jeeps geschnauft hat.

Wahlplakate soweit das Auge reicht

Hier trifft die kulturelle Elite auf das, was sich dafür hält, und alle sind froh, wenn sie den Abend ohne Anschiss überstehen. Helmut Markwort wurde hier der Legende nach einmal genauso verjagt wie ein Lamborghini-Fahrer, der es gewagt hatte, seine mintgrüne Penis-Prothese ungefragt vorne vorm Laden zu parken und sich hinzusetzen.

Von Leopoldstraße bis Odeonsplatz: Wahlplakate. FDP, SPD, dreiste Södereien und, klar, Aiwanger. Vandalen haben auf sein Gesicht Hitlerbärtchen und -scheitel gemalt.  Unverschämt. Andererseits: Er sieht plötzlich wieder aus wie 17. Diktualienmarkt, Augustinerkeller und, hihi, Hofpfisterei. Die Studierenden munitionieren sich am beeindruckend gut sortierten Kiosk auf der Reichenbacher Brücke für einen Samstag an der Isar mit Bier. Nach einer ausgedehnten Joggingrunde an einem heißen Tag direkt in das klare Wasser des Flusses zu springen, es gibt nichts Besseres.

Im Superfood Tempel "Wagners Juicery" gleich gegenüber bereiten sich Influencerinnen auf die Verpuppung Richtung Spielerfrau vor. Alle anderen haben längst die Theresienwiese gestürmt, um beim Wildpinkel-Coachella Oktoberfest herumzucathyhummeln und Marc Terenzi im Käferzelt aus der Gewalt von Verena Kerth zu befreien. Drei Wochen lang wird Instagram geflutet mit Dirndln und sich zuprostenden Arztsöhnen.

Ein Monument für Michael Jackson, ein Flughafen namens Franz-Josef Strauß und ein Mädchen im Moncler-Shirt

Auf dem Promenadenplatz gegenüber vom Bayerischen Hof hat ein Fan eine Art Monument für Michael Jackson aufgebaut. Das kann man bei einem Manne von solch zweifelhaftem Ruf seltsam finden, andererseits: Der Airport heißt Franz-Josef Strauß. Erst ein Espresso in der "Bar Centrale" und dann ab ins Hofbräuhaus. Das selbstbewusste Humpta Humpta mit einsetzender Altersmilde find ich richtig gut. Am Lodenfrey entlang schlendernd, kommt mir ein dreijähriges Mädchen im Moncler-Shirt entgegen.

Während Hamburg sich noch mit ein paar Feigenblatt-Promis mit Basecap- oder St.Pauli-Hoodie um Street Credibilty bemüht, ist es München einfach scheißegal, komplett dem Klischee zu entsprechen. Kostas serviert einen letzten Negroni und Oliven, während Fidi und ich uns die Rolex-Strizzis auf dem Filmcasino-Strich anschauen. Diese Stadt ist im Sommer italienischer als es Mailand je sein kann und im Winter bequem wie ein warmer Mantel.

Mag sein, dass es hilft, wenn man reich und weiß ist, aber in Bayern ist es wie mit dem Aquarell am Rande des Ammersees: Es ist tatsächlich noch schöner als auf Bildern. Irgendwann zieh ich dort hin und wähle als einziger SPD.  

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