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Eurovision Song Contest

Eklat beim ESC-Vorentscheid Sieger Andreas Kümmert will nicht nach Wien - und taucht ab

Das gab's beim deutschen ESC-Vorentscheid noch nie: Sänger Andreas Kümmert gewinnt - und fährt trotzdem nicht nach Wien. Seine Beweggründe bleiben unklar. Nicht aber, wer jetzt Deutschland vertritt.
Von Jens Maier, Hannover

Die Show ist eigentlich schon gelaufen. Mit den Worten: "Und nach Österreich fährt …", kündigt Moderatorin Barbara Schöneberger den Sieger an. Die 4500 Zuschauer in der Tui-Arena von Hannover warten gespannt auf das Ergebnis. Dann die erlösenden Worte: "Andreas Kümmert." Jubel, Applaus, Standing Ovations. Der 27-Jährige ist mit seiner rockigen Nummer "Heart of Stone" ohnehin der Liebling der Halle. Und auch die TV-Zuschauer wollen den Brummbär mit Zottelbart, Kapuzenpulli und der mächtigen Stimme in Wien sehen. Im Finale von "Unser Song für Österreich" setzt er sich gegen Newcomerin Ann Sophie durch. Deutschland hat einen Sieger. Doch dann, fast im Freudentaumel untergehend, sagt Kümmert die Sätze, die dem deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest einen nie da gewesenen Eklat bescheren.

"Ich möchte kurz was dazu sagen", kündigt der Sieger auf der Bühne an und führt dann aus: "Ich bin überwältigt von euch allen, von Deutschland. Dafür, dass ihr meine Musik toll findet, mich unterstützt habt." Schließlich versetzt er seinen Fans und allen, die für ihn angerufen haben, einen Schock: "Es ist momentan so, ich bin nicht wirklich in der Verfassung, diese Wahl anzunehmen. Ich muss deshalb …, ich geb' meinen Titel an Ann Sophie." Was? Wie bitte? Buh-Rufe in der Arena. Auch die sonst so spontane und schlagfertige Barbara Schöneberger mag es kaum glauben. Hat er gerade seinen Titel abgelehnt? Er hat! "Also, du sagst uns jetzt, dass du nicht nach Wien fährst, weil du Angst hast, dass das nicht deine Welt sein könnte?", fragt sie ihn erstaunt. Und Kümmert antwortet: "Ich bin nur ein kleiner Sänger."

Einiges hatte der deutsche Vorentscheid schon erlebt: Sieger, die nachträglich disqualifiziert wurden - Tony Marshall erging es 1976 mit "Der Star" so. Oder Sänger, die nicht zugelassen wurden, weil ihr Lied angeblich zu schlecht sei - wie Leon 1996 mit "Blauer Planet". Aber einen Publikumsliebling, der haushoch das Televoting gewinnt und dann die Zuschauer mit den Worten abspeist, er sei nur ein "kleiner Sänger" - das gab's noch nie. Es bleibt die Frage nach dem Warum? Was ist da mit einem Künstler passiert, der tausende Fans hinter sich wusste, der die Zuschauer in der Arena zu Szenenapplaus hinriss und der als ehemaliger "The Voice"-Sieger genug Bühnenerfahrung mitbrachte um zu wissen, was da auf ihn zukommen könnte?

Seine andere, seine schwache Seite

Die Antworten bleibt Andreas Kümmert am Donnerstagabend schuldig. Außer der Erklärung in der Live-Show gibt es kein Statement von ihm. Auf der Pressekonferenz lässt er sich nicht blicken. Es ist, als habe Hannover ein Loch aufgetan und den zotteligen Sänger verschluckt. So bleiben seine wahren Beweggründe vorerst Bestandteil von teilweise wilden Spekulationen. Hat er das von Anfang an geplant? Den Verdacht, Kümmert wollte in Wahrheit nie zum ESC und sei eventuell von seiner Plattenfirma überredet oder gar gedrängt worden, aus PR-Gründen am Vorentscheid teilzunehmen, versuchten die Verantwortlichen bei der ARD zu entkräften.

"Er wollte das", sagte Thomas Schreiber, der beim Sender ARD für den ESC zuständig ist, zum stern. In Vorgesprächen und bei den Proben habe Kümmert nie einen Zweifel daran gelassen, dass er beim ESC in Wien dabei sein möchte. "Es war seine Idee", bekräftigte Schreiber. Auch die plötzliche Erkrankung Kümmerts bei den Proben am Mittwoch habe keine Hinweise darauf geliefert, dass er eventuell dem Druck nicht gewachsen sei. "Die Bühne ist der natürliche Lebensraum von Andreas Kümmert", sagte Schreiber. "Sie konnten das heute Abend selbst sehen. Sein Auftritt war sensationell." Mit seiner Entscheidung zeige er eine andere, schwache Seite. "Wir müssen das akzeptieren."

Ein schöner Sieg sieht anders aus

Kümmert gilt in der Branche als schwierig. Schon als er 2013 an "The Voice" teilnahm, soll er mehrfach daran gedacht haben, hinzuschmeißen. Der Sänger leide unter starkem Lampenfieber und großen Selbstzweifeln, heißt es bei Insidern. Unter seiner stämmigen Figur und seiner kraftvollen Bühnenpräsenz verbirgt Kümmert offenbar einen zerbrechlichen und labilen Künstler, dem jedweder Medienrummel zuwider ist. Einer zum Anfassen ist er trotz seiner Kapuzenpullis nicht. Interviews hasst er, Fotos mit Fans noch mehr. Nein, ein Star will Andreas Kümmert nicht sein. Schade, denn er ist nicht nur ein herausragender Sänger, mit ihm hätte Deutschland gute Chancen in Wien gehabt.

Doch es kommt anders. Nach seinem Rückzug wird nun die eigentlich Zweitplatzierte Ann Sophie Deutschland beim ESC in Wien vertreten. Dass die Wahl unter denkbar unglücklichen Umständen auf sie fällt, lässt die 24-jährige Hamburgerin zunächst nicht strahlen. Als Kümmert auf der Bühne seinen Rückzug verkündet, muss sie wie eine Statistin daneben stehen. Sie sieht erschrocken aus, fast so, als sei ihr zum Heulen zumute. "Ich hatte ja schon die Emotion, Zweite zu sein", wird sie später sagen. Nur mit Mühe kann Ann Sophie sich fassen, als sie von Barbara Schöneberger unter den Buh-Rufen der Zuschauer, die Kümmert gelten, zur Gewinnerin erklärt wird. Notgedrungen. Ungewollt. Ein schöner Sieg sieht anders aus.

Eigentlich Zweite! Das könnte der Makel sein, der an Ann Sophie haften bleibt - und das hat sie in keinem Fall verdient. Denn die Frau, die als Gewinnerin des Clubkonzerts in Hamburg mit einer Wildcard zum Vorentscheid kam, ist das, was man getrost eine Rampensau nennen darf. Mit einer Stimme wie Sophie Ellis-Bextor ("Murder On The Dancefloor"), einer Bühnenpräsenz wie Patricia Kaas und ihrem roten Hosenanzug hatte sie bereits auf der Großen Freiheit den Zuschauern den Kopf verdreht. Schon bald waren die Vergleiche zu Lena Meyer-Landrut geboren. Und ja, sowohl vom Aussehen als auch vom Auftreten sind sich beide Frauen nicht unähnlich.

Viele Fragen, keine Antworten

In Hannover durfte Ann Sophie ihren Lieblingstitel "Black Smoke" singen und wird damit am 23. Mai Deutschland in Wien antreten. "Ich freue mich riesig, dass ich jetzt nach Wien darf"; sagte die 24-Jährige zum stern. Eigentlich habe sie im Mai ein medizinisches Praktikum im Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf machen wollen. Doch das könne sie nun "knicken". Allen Grund hätte sie, auf Andreas Kümmert wütend zu sein. Doch als dieser sich nicht mal den Fragen der Journalisten auf der Pressekonferenz stellt, verteidigt sie ihn tapfer. "Ich habe großen Respekt vor Andreas' Entscheidung", sagt Ann Sophie. Er habe für sich eine Konsequenz gezogen und "das müssen wir akzeptieren". "Ich finde das mega-mutig", nun sei es aber an der Zeit, Kümmert in Ruhe zu lassen.

Doch ganz so schnell wird er keine Ruhe bekommen. Sicher verdient seine Entscheidung Respekt. Aber warum nimmt einer an einem ESC-Vorentscheid teil, wenn er am Ende gar nicht zum ESC fahren will? Der Mann aus Gemünden am Main wird viele Fragen beantworten müssen. Der ARD, seiner Plattenfirma und seinen Fans. Aber auch den Zuschauern, die für ihn angerufen haben und dafür 14 Cent investiert haben. Vor allem aber wäre es ein Gebot der Fairness, sich bei seinen Kolleginnen und Kollegen, die mit ihm um einen Platz für Wien konkurriert haben, zu erklären. Alles andere wäre unanständig.

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