Viele von uns freuen sich über günstige Kleidung: Ein T-Shirt für 10 Euro, ein Hemd für 20 Euro, eine Hose für unter 50 Euro - da sind die meisten sofort dabei. Aber wehe, in Bangladesch geht ein Sweatshop hoch und wir werden für einen kurzen Moment mit der Herkunft unserer Billigware konfrontiert – dann sind wir alle ehrlich betroffen. Zumindest bis zum nächsten Einkauf.
Ein wenig so verhält es sich mit dem Trash-TV: Wir lieben es, wenn es zwischen den Teilnehmern kracht. Als rechtschaffene Bürger pochen wir dabei aber auf die Einhaltung der Genfer Konventionen und unserer hohen moralischen Standards – sonst können wir uns ernsthaft empören.
Tatsächlich haben sich die Formate in den letzten Jahren explosionsartig vermehrt. Zuerst war da nur das Dschungelcamp, doch es kamen viele mehr: "Promi Big Brother", "Global Gladiators", "Das Sommerhaus der Stars" und jetzt "Promis unter Palmen". Dazu noch unzählige Castingshows und Kuppelformate, in denen die Kandidaten mal angezogen, mal splitternackt vor laufender Kamera Balzrituale aufführen.
Das Dschungelcamp machte den Anfang
Der Hunger nach dieser Form von Unterhaltung ist schier grenzenlos. Es vergeht kaum eine Woche, in der wir uns nicht daran laben, wie sich C-Promis in irgendeinem exotischen Land aufs Fieseste Bekriegen. Wir mögen es nämlich, wenn Menschen zueinander gemein sind. Noch heute erzählen Dschungelcamp-Fans mit glänzenden Augen davon, wie Mathieu Carrière 2013 auf die Knie ging und Sarah Knappik anflehte, das Camp zu verlassen.
Im vergangenen Jahr stieg Elena Miras zur Kultfigur auf, weil sie im "Sommerhaus der Stars" mit ihren Ausrastern für Erheiterung sorgte. Dass sie ihre Mitbewohner schon mal als "behindert" und "Missgeburt" bezeichnete, darüber sahen wir gnädig hinweg und imitierten ihre Ausbrüche am nächsten Tag im Büro. Es ist doch so lustig, wenn sich Elena aufregt!
Man könnte die Aufzählung beliebig fortsetzen. Denn derartige Grenzüberschreitungen sind das Grundprinzip dieser Sendungen. Aber wehe, es wird einmal richtig gemein. So wie vergangene Woche bei "Promis unter Palmen", als mehrere Kandidaten Claudia Obert erfolgreich aus der Show mobbten. Dann entdecken wir unser moralisches Gewissen und sind eifrig dabei, das Format zu verdammen.
Gibt es das "moralisch wertvolle" Trash-TV?
Dabei kann es schon mal zu abenteuerlichen Schwenks kommen, etwa wenn "Spiegel"-Autorin Anja Rützel zum Start des Formats noch jubelte: "Es kommt zu rechten Zeit." Vor dem Finale packte sie dann den erhobenen Zeigefinger aus und schrieb: "Wer 'Promis unter Palmen' immer noch unterhaltsam findet, hat Trash-TV nie geliebt". Ohne ihre anfängliche Begeisterung mit einem einzigen Wort zu erwähnen.
Dafür gibt es einen guten Grund: "Promis unter Palmen" hat sich nicht im Laufe der Staffel als fiese Show entpuppt – sie war es von der ersten Folge an. Alles, was man rückblickend an dem Format kritisieren kann und muss, war von Anfang an da: Ronald Schill konnte noch nie die Finger bei sich lassen. Dass Bastian Yotta vor menschenverachtendem Sozialdarwinismus trieft, wusste man sogar schon vorher. Und von der ersten Folge an brüllten sich die Kandidaten mehr an als dass sie miteinander sprachen. In Folge zwei wurde Désirée Nick sogar gegenüber Claudia Obert handgreiflich.
Insofern hat Nora Voit schon recht, wenn sie auf "übermedien.de" vom "viel zu späten Entsetzen über die Verachtungsshow" schreibt und "Promis unter Palmen" "eine Bühne für Arschlöcher, eine Spielwiese für Anti-Solidarität, ein Rückschlag für die Gleichberechtigung" nennt. Aber was sind dann all die Sendungen, die Yotta, Schill, Nick und anderen moralisch dubiosen Personen ein Bühne geboten haben?
Wir sollten uns ehrlich machen
Ein Vorwurf an Sat.1 ist: Sie hätten regulierend eingreifen sollen, anders schneiden, das Verhalten kommentieren und einordnen sollen. Als wäre das Mobbing für das Opfer weniger schlimm, wenn der Off-Kommentator später im Zusammenschnitt das Verhalten der Peiniger tadelt.
Wir sollten uns an dieser Stelle lieber ehrlich machen: Genau wegen solcher Szenen schauen sich so viele Menschen diese Shows an. Wir wollen, dass es kracht. Aber bitte nicht zu doll.
Für diese Art von Unterhaltung haben wir uns eine ganze Kaste an Personal herangezüchtet, die sich – wie die Gladiatoren im alten Rom – zu unserer Belustigung die Köpfe einschlagen. So hat sich mittlerweile ein eigener Berufsstand gebildet, der von diesen Shows lebt.

Man qualifiziert sich für den Einsatz im Trash-TV jedoch nicht dadurch, dass man sich moralisch korrekt verhält. Nur wer bei "GNTM" oder beim "Bachelor" durch negative Charaktereigenschaften auffällig wird, qualifiziert sich damit für den weiteren Einsatz. Der Rest wird direkt wieder ausgespuckt.
Wer diese Vorstellung unerträglich findet, hat eine Wahl: Er kann die Fernbedienung betätigen und derartige Formate abschalten. Genau wie jeder fair hergestellte Textilien kaufen kann. Wer auf Trash-TV nicht verzichten will, kann gerne weiterschauen. Aber bitte: Empört euch leise!