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Anne Will Kein Recht auf Suizid

Anne Will debattiert den Fall al-Bakr: Während der sächsische CDU-Justizminister findet, Selbstmordattentäter sind gar nicht suizidgefährdet, fordert die Vorsitzende der Linkspartei eine Totalüberwachung im Knast.    
Von Jan Zier
Politik und Absurdität liegen ja oft nahe beieinander. Nein, sagt der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow (CDU), sinngemäß jedenfalls, dass ein potenzieller Selbstmordattentäter sich selbst umbringen wollte, das konnten sie wirklich nicht wissen.
Laut Verfassungsschutz hatte der als Flüchtling eingereiste Islamist Dschaber al-Bakr einen Sprengstoffanschlag auf einen Berliner Flughafen geplant. Die Ermittler gehen davon aus, dass er Verbindungen zur Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) hatte. Weil, nein: nicht die sächsische Polizei, sondern drei Syrer den Mann festgenommen haben, wurde ein solches Attentat schließlich vereitelt. Gerne hätten Herr Gemkow, aber auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann von der CSU deshalb bei Anne Will über Erfolge geredet, unterstützt vom ehemaligen Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo, der mittlerweile das Amt eines ARD-Terrorexperten inne hat. 

Sebastian Gemkow: Sachsen hat "alles mögliche" getan

Nun hat sich der Syrer aber Mittwoch in seiner Leipziger Gefängniszelle erhängt, obwohl der Staat, wie Gemkow einmal mehr versichert "alles Mögliche" getan hat, um genau das zu verhindern. Und das, obwohl "wir" auf Menschen wie eben Dschaber al-Bakr "nicht eingestellt" sind, wie der Politiker erklärt. Na ja, in Sachsen schon gar nicht, aber das hat er nicht gesagt. Gemkow will ja ohnehin nicht von Fehlern reden an diesem Abend, schon gar nicht von eigenen, und die Fragen danach übergeht er geflissentlich, die Nachfrage aber auch. Lieber sagt er nochmal, dass Herr al-Bakr keine Signale für "akute Suizidalität" ausgesandt habe, Sprengstoff in seiner Wohnung hin, Hungerstreik im Gefängnis her. "Dieser Mensch hatte keine Probleme mit dem Tod, das ist schon klar", sagt indes der syrische Videoblogger Abdul Abbasi, ein Zahnmedizin-Student, der 2012 aus Aleppo flüchtete. Doch Gemkow stützt seine Verteidigung auf die Diagnose der Gefängnispsychologin, die – anders als zuvor der Haftrichter – keine akute Suizidgefahr bei al-Bakr sah. Und so haben sie nur alle Viertelstunde, später alle halbe Stunde nach ihm gesehen. Obwohl Gemkow deswegen in den letzten Tagen massiv kritisiert wird - auch in den eigene Reihen - ist ein Rücktritt des Ministers an diesem Abend allenfalls am Rande ein Thema.    
Jede Woche nehmen sich ein bis zwei Häftlinge in Deutschland das Leben, seit 2000 waren es insgesamt rund 1.200 Gefangene, sagt die Bundesarbeitsgruppe Suizidprävention im Justizvollzug. Nur in den seltensten Fällen wird in den Medien überhaupt darüber berichtet, schon gar nicht so ausführlich wie jetzt. Auch wenn das bei Anne Will niemand sagt: Natürlich ist es das gute Recht eines jeden Menschen, sich selbst das Leben zu nehmen, auch im Gefängnis. Trotzdem stellt sich immer wieder dieselbe Frage: Hat der Staat genug für jene Schutzbefohlenen getan, die er da weg gesperrt hat? Doch an diesem Abend geht es vor allem um die Überwachung von Dschaber al-Bakr. Oder um die ohnedies müßige Frage, was er uns gesagt hätte, wenn er noch lebte.       

Suizidgefährdete Gefangene überwachen

Der Vize-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, forderte jüngst eine permanente Überwachung mutmaßlicher Selbstmordattentäter durch Videokameras oder Sitzwachen in Haftanstalten. Aber: Verletzt das nicht die Menschenwürde? Haben nicht auch jene Gefangenen ein Recht auf Privatsphäre? Auch das ist bei Anne Will nur am Rande Thema. Unterstützung bekommt die GdP an diesem Abend nicht nur, wie erwartet, von CSU-Politiker Hermann, der sein Bayern ausführlich dafür lobt, dass es suizidgefährdete Gefangene rund um die Uhr videoüberwachen darf. Und das als Vorbild auch für Sachsen empfiehlt, wo derlei noch unzulässig ist. Auch Katja Kipping, die Vorsitzende der Linkspartei findet es in Ordnung, den Gefangenen ihre Persönlichkeitsrechte zu nehmen – wenn sie suizidgefährdet sind. Das habe sie von einer Politikerin der Linken nicht erwartet, wendet Anne Will zurecht ein. Aber Kipping bleibt dabei: "Der Staat muss sicherstellen, dass es nicht zum Suizid kommt". Bleibt also nur die Totalüberwachung, in Verbindung mit "besonders gesicherten" - also für den Gefangenen besonders erniedrigenden - Zellen, in denen ein Suizid technisch quasi ausgeschlossen werden kann. Sebastian Gemkow findet das "nicht verhältnismäßig", jedenfalls nicht im Falle von al-Bakr.
Am Schluss darf die eher befremdliche Debatte noch einmal ins ganz Banale abgleiten, ausgerechnet dank des investigativen Journalisten Georg Mascolo, der en passant auch schnell nochmal George W. Bush lobt: Im Kampf gegen den Terrorismus, sagt Mascolo, da werde es Erfolge geben, "über die wir an Abenden wie diesen reden können - aber auch Rückschläge". Kein Politiker hätte das besser sagen können. Wenn also die Debatte so verläuft, dann reden wir lieber gleich über was ganz anderes. 

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