"Auch, wenn es ein bisschen pathetisch klingt: Es war mir eine Ehre" – mit diesen Worten hat sich Anne Will nach 16 Jahren von ihrem Polit-Talk verabschiedet. Die 57-Jährige beendete ihre letzte Sendung am Sonntagabend mit einem großen Dank an alle Zuschauer und ihr Team. Ihre Mitarbeiter überraschten die Moderatorin mit einem "Best Of"-Clip, Blumen und Applaus.
Zuvor hatte bereits Schriftsteller Navid Kermani die Initiative ergriffen: "Ich möchte einmal sagen: Dankeschön! Ich glaube, im Namen von allen Gästen kann ich sagen, alle haben sich hier wohl gefühlt." Kermani war zum ersten Mal überhaupt als Gast in der Polit-Talkshow eingeladen. Andere waren Stammgäste in dem Adlershofer TV-Studio. So wie Robert Habeck, der auch in Wills letzter Sendung dabei war. Auch er fand lobende Worte für die Politik-Talkerin: "Danke für 16 Jahre Aufklärung. Das war stilprägend", sagte er.
Anne Will nimmt Robert Habeck in die Zange
Dabei hatte Anne Will dem grünen Wirtschaftsminister in den letzten zehn Minuten noch einmal ordentlich in die Zange genommen, vom "erodierten Vertrauen in die Ampelregierung" gesprochen und Habeck die Pistole auf die Brust gesetzt: Was denn nun raus gekommen sei bei den sonntäglichen Beratungen mit den Regierungspartnern zur Haushaltskrise. Wie will die Ampel das Milliarden-Loch nach dem Urteil des Verfassungsgerichts stopfen? Der Vize-Kanzler gab sich schmallippig: "Wir gehen Schritt für Schritt voran und werden versuchen, Geld zu kompensieren an anderen Stellen." Will hakte nach: "Das heißt, dass also gespart wird?" Was da konkret geplant sei? Habeck blockte ab: "Ich werde das heute Abend nicht konkret machen", sagte er.
Die Moderatorin ließ nicht locker. Fast schien es, als wolle sie noch einmal zeigen, was sie besonders mag im Schlagabtausch mit den Polit-Profis: Schneller sein, sich festbeißen, wenn es nötig ist, auch provozieren: "Kann es auch sein, dass sie sich nicht einigen?", fragte Will nach und bekam eine Antwort, die viel Interpretationsspielraum ließ: "Ich bin optimistisch, dass wir auf einem guten Weg sind", sagte Habeck. "Ich bin erschüttert, Herr Habeck: Sie sagen, dass es vielleicht nicht klappen könnte?", wurde Will angriffslustiger. Der Grüne wiederholte, er sei "zuversichtlich", dass die Regierung "das hinbekommen wird". Als Anne Will sagte, Habeck wisse noch nicht, ob man sich einigen werde, polterte er los: "Das haben sie jetzt verdreht!"
Unaufgeregte Gästerunde bei "Anne Will"
Es war eine unaufgeregte Gästerunde: "Die Welt ist in Unordnung – ist Deutschland den Herausforderungen gewachsen?" lautete das große, globale Thema der letzten Anne-Will-Sendung. Neben Robert Habeck und Navid Kermani sorgten der Historiker Raphael Gross (Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum) und Politikwissenschaftlerin Florence Gaub (Direktorin des Forschungsbereichs am NATO Defense College Rom) für eine wohltuend sachliche Diskussionsrunde ohne Wettbrüllen. Neben der Innenpolitik waren die Ukraine und Israel im Krieg gegen die Hamas Thema.
"Diese wohlige Naivität: Es wird schon alles gut werden, das können wir uns nicht mehr leisten", mahnte Habeck in Bezug auf den Krieg in der Ukraine. Er halte es sogar für "ehrlos", wenn man die Ukrainer "jetzt hängen lassen würde", sagte Habeck angefasst: "Wir sitzen hier im gut geheizten Studio während die Menschen in der Ukraine Schützengraben liegen und sterben."
Navid Kermani befürchtete hingegen, dass die Unterstützung weg bröckeln werde, je länger der Krieg dauere. Auch im Hinblick auf die Wahlen in den USA dränge die Zeit: "Die Republikaner machen jetzt schon Front gegen die Ukraine-Unterstützung", sagte der Schriftsteller. Die Menschen in der Ukraine hätten "zum Leben zu viel und zum Sterben zu wenig". Gerade jetzt müsse die EU geschlossen auftreten, doch das Gegenteil sei der Fall. Diese Einschätzung teilte auch Historiker Raphael Gross, der die demokratischen Errungenschaften der Aufklärung in Europa unter "starkem Druck" sieht; oder teils schon davon entfernt, wie in Ungarn unter dem rechten Hardliner Viktor Orbán.
Anfang der Neunziger begann alles: Ein Rückblick auf die Karriere von Anne Will

Im Konflikt zwischen Israel und der Hamas sahen alle Gäste Deutschland in besonderer Verantwortung. Schriftsteller Kermani betonte, die örtliche Distanz erlaube es, von außen neue Lösungsvorschläge anzuregen: "Wir müssen der Logik des Entweder-oder entgegentreten", so Kermani. Florence Gaub sagte, dazu brauche es einen Regierungswechsel auf Palästinenserseite. Erst dann sei der Weg frei für neue Diskussionen.
Den neuen Polit-Talk am Sonntagabend im Ersten wird künftig eine Kollegin moderieren: Ex-Tagesthemen-Frau Caren Miosga. "Seien Sie nett zu ihr, sie ist es auch", wünschte sich die scheidende Moderatorin.