TV-Kritik Anne Will "Bewirtschafterin der Angst": Osteuropa-Experte teilt gegen Wagenknecht aus

  • von Charlotte Zink
Anne Will
Runde bei Anne Will: Mit der AfD will Wagenknecht nichts zu tun haben
© Wolfgang Borrs/NDR / stern
In der Talksendung "Anne Will" sollte es um die Frage gehen, ob die Ukraine noch mehr Unterstützung braucht. Doch Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht hat mir ihren Aussagen alle anderen Gäste auf die Palme gebracht.

Bei "Anne Will“ im Studio sind am Sonntagabend die Fetzen geflogen. Dabei wollte die Moderatorin doch eigentlich nur die Frage diskutieren: Braucht die Ukraine noch mehr Unterstützung?

Anlass dieses Themas ist die zuletzt immer lauter gewordene Forderung der Ukraine an Deutschland endlich Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Von diesem Waffensystem mit hoher Reichweite verspricht sich Kiew eine bessere Verteidigungsmöglichkeit gegen Russland.

Mit Taurus-Marschflugkörpern könnte beispielsweise die Versorgung der russischen Armee tief im besetzten Gebiet angegriffen werden. Bundeskanzler Olaf Scholz äußerte sich bisher zurückhaltend. Zur Enttäuschung Kiews lehnte er eine rasche Entscheidung ab.

Folgende Gäste diskutierten bei "Anne Will":

  • Michael Roth (SPD), Mitglied des Bundestages und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses
  • Roderich Kiesewetter (CDU), Mitglied des Bundestages und Oberst a.D.
  • Sahra Wagenknecht (Die Linke), Mitglied des Deutschen Bundestages
  • Karl Schlögel, Historiker und Osteuropa-Experte
  • Rieke Havertz, Internationale Korrespondentin für "Zeit Online"

Kanzler Scholz will vor einer Entscheidung unter anderem genau absichern, dass es technisch unmöglich ist, Taurus-Marschflugkörper von der Ukraine bis nach Russland abzufeuern. Ob sie ihn deswegen nicht eventuell loben wolle?, war Anne Wills erste Frage des Abends an Sahra Wagenknecht – und der Auftakt für Aussagen, die ausnahmslos alle Gäste auf die Palme bringen sollten.

Bei Anne Will: Sahra Wagenknecht will mit Putin verhandeln

Lob für den Kanzler hatte Wagenknecht nicht übrig. Viel eher kritisierte sie Waffenlieferungen im Allgemeinen und erklärte, es bereite ihr Sorgen, wie sehr sich Scholz an den USA orientiere.

Für den Krieg werde es keine militärische Lösung geben, so die Linken-Politikerin bestimmt. Stattdessen pochte Wagenknecht auf eine Rückkehr and den Verhandlungstisch.

Sie sei sich nicht so sicher, ob das wirklich stimme, erklärte sie auf Wills Hinweis darauf, dass Russlands Präsident Wladimir Putin nicht verhandeln wolle.

In englischsprachigen Medien hieße es regelmäßig, der Kreml-Chef sei zu Gesprächen bereit. Man solle doch einfach aufgreifen, wo man bei den Verhandlungen in Istanbul im Frühjahr 2022 abgebrochen habe, so Wagenknechts Vorschlag.

Dass die damaligen Waffenstillstandsverhandlungen aufgrund von Kriegsverbrechen wie dem Massaker in Butscha abgebrochen worden waren, sah sie in diesem Zusammenhang nicht als Hindernis.

Rechtfertigt Wagenknecht den Krieg?

Der Krieg tobe aus geopolitischen Gründen, nicht aus nationalistischen, erklärte Wagenknecht außerdem. Putin wolle "mit allen Mitteln verhindern", dass sich die amerikanische Einflusszone in die Ukraine erweitere, erklärte die Linke.

Als Will darauf hinwies, dass das wie eine Rechtfertigung klinge, stellte Wagenknecht klar: "Ich habe diesen Krieg nie gerechtfertigt." Sie halte den Krieg in der Ukraine für ein Verbrechen – wie jeden anderen Krieg auch.

Widerspruch erntete die Linke in der Sendung von allen Gästen. "Fake News", schimpfte CDU-Mann Roderich Kiesewetter über ihre Erklärungen. "Ich bin nicht gekommen, um mich an Frau Wagenknecht abzuarbeiten", sagte SPD-Mann Michael Roth.

Historiker reißt langsam der Geduldsfaden

Am meisten rieb Wagenknecht am Sonntag jedoch Historiker Karl Schlögel auf. Dessen Geduldsfaden wurde angesichts ihrer Äußerungen im Laufe der Sendung zusehends kürzer – bis seine Wut in den letzten Minuten schließlich überschäumte. Aber der Reihe nach!

"Sie, die aus einer antifaschistischen Tradition kommen, müssten wissen, dass man sehr wohl mit Waffen den Feind niederschlägt", erklärte der Osteuropa-Experte zu Beginn noch ruhig in Richtung Wagenknecht.

"Hitler ist mit den Waffen besiegt worden und so ist es auch mit Putin!" Etwas anderes als Waffengewalt verstehe der überhaupt nicht, so Schlögel.

Osteuropa-Experte wäscht Wagenknecht den Kopf

Mit Blick auf Russlands Sicherheitsinteressen, die Wagenknecht als Grund für den Krieg benannt hatte, widersprach Schlögel: "Sie haben von bestimmten Dingen eine Ahnung, von bestimmten Dingen haben Sie keine Ahnung!"

Sie solle doch jetzt mal in die Ukraine fahren, riet Schlögel Wagenknecht und fügte hinzu: "Sie haben sich nie dort umgesehen!"

Die Linke ließ das nicht auf sich sitzen: "Herr Melnyk hat mich öffentlich mit einer Morddrohung überzogen", sagte Wagenknecht. "Ich fahr doch nicht in ein Land, in dem mir angedroht wird, dass ich umgebracht werde!"

Historiker zu Wagenknecht: "Sie sind die Putinsche Stimme in Deutschland zusammen mit der AfD."

Zum großen Finale des Schlagabtauschs kam es schließlich in den letzten Minuten der Sendung. Denn: Schlögel platzte die Hutschnur.

"Sie ist eine Bewirtschafterin der Angst", erklärte der Historiker aufgebracht über Wagenknecht, die ihm gegenüber saß. Sie habe Angst vor der Ausweitung des Krieges, entgegnete die Linke darauf.

Schlögel nahm ihr das nicht ab. "Sie können die Angst anderer Leute instrumentalisieren – das ist ihr Geschäft und offensichtlich auch die Geschäftsgrundlage für das, was sie zusammen mit der AfD planen!", warf er Wagenknecht an den Kopf.

"Unverschämtheit": Mit der AfD will Wagenknecht nichts zu tun haben

Das sei "eine Unverschämtheit", warf Wagenknecht ein. Doch Schlögel ließ sich nicht stoppen. "Sie sind die Putinsche Stimme in Deutschland zusammen mit der AfD."

"Jetzt verlieren sie aber wirklich ihr Niveau", klagte Wagenknecht. "Bis eben habe ich sie noch ernst genommen!"

Glück oder Pech – das wird wohl jeder anders sehen. Fakt ist: Pünktlich als der Talkshow-Vulkan zu brodeln begann, waren die 60 Minuten Sendezeit vorbei und Anne Will gab an die "Tagesthemen" ab.