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TV-Kritik zu Günther Jauch Richtig sterben - wie geht das?

Nach dem Tod des früheren MDR-Intendanten Udo Reiter diskutiert Günther Jauch einmal mehr die Sterbehilfe. Die Debatte zeigte: Es wird noch viele weitere Debatten geben müssen.
Von Jan Zier

Udo Reiter, der frühere MDR-Intendant, war einer, der in vielen Talkrunden leidenschaftlich über das Thema Sterbehilfe debattiert hat, auch bei Günther Jauch. Von daher ist es nur konsequent, dass Jauchs Redaktion sich dazu entschlossen hat, das Thema erneut auf die Tagesordnung zu setzen, nachdem der langjährige ARD-Vorsitzende seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hatte. "Udo Reiters letzter Wille - dürfen wir selbstbestimmt sterben?" also war die Frage an diesem Abend.

Reiter, seit einem Autounfall 1966 querschnittsgelähmt, hatte schon damals seinen Tod geplant - um dann doch weiterzuleben, im Rollstuhl, fast 50 Jahre lang, und Karriere zu machen. Nun, schreibt er in einem Abschiedsbrief, der bei Jauch verlesen wird, sei der Zeitpunkt gekommen, wo seine Kräfte "so rapide abgenommen hätten", dass es für ihn schwer geworden sei, aus eigener Kraft etwa die Toilette zu erreichen. Außerdem hatte er Angst vor Demenz, Angst vor einem fremdbestimmten Leben, Angst davor, als Pflegefall zu enden, von anderen abhängig zu sein. Noch im Februar sagte er bei Jauch: "Ich lasse mir nicht verbieten, dass ich sage: Danke, so möchte ich nicht mehr!"

Reiter war einer, der das Thema Sterbehilfe "etwas zu stark" vor sich her getragen habe, sagt Thomas Gottschalk, der mit ihm lange befreundet war, "wie eine Monstranz". Gottschalk hat neulich noch beim Rotwein mit Reiter zusammen gesessen. "Er war kein Mensch, dessen Kräfte erkennbar nachgelassen haben", sagt Gottschalk. Der Entertainer, der das Thema Tod und Sterben lieber verdrängt, nennt Reiter "eine Art Posterboy" für den selbstbestimmten Tod. Und plädiert gleichzeitig dafür, auch das Siechtum wieder als Teil des Lebens zu begreifen.

Die Argumentation eines Bildungsbürgers

Zwei Drittel aller Deutschen befürworten Umfragen zufolge die Sterbehilfe. Derzeit ist die passive Sterbehilfe erlaubt, die aktive aber als "Tötung auf Verlangen" strafbar. Schwierig wird es bei der Beihilfe zur Selbsttötung: Die ist zwar strafrechtlich erlaubt, standesrechtlich in vielen Bundesländern aber verboten, so dass Ärzten, die sie leisten, der Entzug der Approbation droht. "Das ist eine Zumutung für alle Beteiligten", sagt Bettina Schöne-Seifert, Professorin für Medizinethik. Dabei könnten sich laut einer Studie der Ärztekammer etwa ein Drittel aller 350.000 Ärzte vorstellen, im Ernstfall Beihilfe zur Selbsttötung zu leisten.

Die Argumentation von Udo Reiter sei "die eines Bildungsbürgers", sagt der früher Vizekanzler und SPD-Politiker Franz Müntefering, der einst zurücktrat, um seine schwerkranke Frau zu pflegen und ein Gegner der Liberalisierung der Sterbehilfe ist. Und sie sei "eine Zumutung" für viele, die selbst pflegebedürftig sind und auch für jene, die sie pflegen. Jede Form des Lebens sei genauso viel wert, so sein Credo. Und: "Sterben kann gelingen." Müntefering findet es geradezu "absurd", durch den Suizid die eigene Selbstbestimmung ganz zu "zerstören".

Eine Diskussion in gewohnten Bahnen

Der Freitod Reiters hat die Debatte um Sterbehilfe und den selbstbestimmten Tod erneut angeschoben. Aber so richtig weiter gekommen, das zeigt dieser Abend, ist sie noch nicht. Zwar will auch der Kirchenvertreter Nikolaus Schneider, der als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands demnächst zugunsten seiner krebskranken Frau ausscheidet, den selbstbestimmten Tod nicht mehr als "Sünde" qualifizieren. Doch darüber hinaus bewegt sich die Diskussion in den gewohnten Bahnen.

Auf der einen Seite sind die, die wie Müntefering sagen, der Staat, der Gesetzgeber könne nicht normieren, unter welchen Bedingungen Hilfe zum Sterben erlaubt sein soll, und was genau etwa eine "begrenzte Lebenserwartung" ist. Und da gibt es auf der anderen Seite jene, die wie Schöne-Seifert sagen, dass es möglich sein muss, dass ein Arzt auch jenen hilft, die schwer krank sind, die ihr Leben als unwürdig empfinden, denen die Palliativmedizin nicht helfen kann, schon gar nicht gegen Autonomie- und Kontrollverlust, und die sich frei verantwortlich entscheiden, sterben zu wollen. Und da gibt es jene, dazwischen, die wie Schneider die Sterbehilfe zwar ablehnen, sie ihren Nächsten aber auch nicht verwehren würden, aus Liebe. Sowie die große Masse derer, die wie Gottschalk das Thema lieber weit weg schieben. Solange das so bleibt, stehen noch viele Diskussionsabende aus, wie dieser einer war.

Jan Zier

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