Können Sie sich in Deutschland eine Sendung vorstellen, mit einem Talkmaster, der erst einen Politiker lächerlich macht, ihn minutenlang nachäfft und vorführt, peinliche Videos einspielt. Und dann eine Minute später exakt diesen Menschen mit offenen Armen im Studio begrüßt? Denkbar hier? Eben nicht. In Amerika gibt's das jeden Abend, und mehr als eine Million Leute gucken zu.
Ein Anarchist im Anzug
Mit 13 Jahren begegnete ich der "Daily Show" zum ersten Mal. Meine Schwester und ich zappten bei uns zu Hause in New York durch die Kanäle und stießen auf einen Mann mit Anzug und Krawatte, der hinter einem großen Schreibtisch saß und so aussah, als würde er die Nachrichten präsentieren: Jon Stewart. Aber irgendetwas passte nicht. Im Hintergrund lachte das Publikum, denn der Anzugträger machte Witze über George W. Bush, Dick Cheney, Condi Rice und Donald Rumsfeld. Damals verstand ich noch nicht alles. Aber nach ein paar Tagen, in denen ich Zeitung las und Nachrichten schaute, kapierte ich die Hintergründe mehr und mehr - und bin seitdem süchtig nach Jon Stewarts "Daily Show".
Er sieht einerseits aus wie jemand, der für CNN arbeitet und ist andererseits so lustig und frech wie kein zweiter im amerikanischen Fernsehen. Er zerreißt sich über Republikaner und Demokraten gleichermaßen das Maul, aber der Unterton schimmert liberal. Eine Comedy-Show, die mit der Scheinheiligkeit von Politik spielt - und das mit einem anarchischen Ansatz - ist wie gemacht für mich und Leute meines Alters. Stewart nimmt alle und alles aufs Korn. Fettsucht? "Der neue Airbus kann 800 Passagiere oder 400 Amerikaner transportieren." Religion? "Die Vernunft ist Teil der Religion, seit zwei Nudisten Diät-Vorschriften von einer sprechenden Schlange annahmen." George W. Bush und der Krieg im Irak? "Der Präsident traf sich gestern mit einer Gruppe, die er Koalition der Willigen nennt. Oder wie alle anderen sagen: England und Spanien."
Zur Person
Hannah Streck, 16, ist die Tochter des früheren US-Korrespondenten Michael Streck, der für den stern von 2001 bis zum Frühjahr 2008 aus Amerika berichtete. Im Alter von 13 Jahren sah sie erstmal die "Daily Show", wurde ein großer Fan und steckte mit ihrer Begeisterung den Rest der Familie an.
Die Politprominenz will veräppelt werden
Die "Daily Show" ist nicht nur amüsant, sondern darüber hinaus sehr informativ. Eine Umfrage ergab vor kurzem, dass Stewarts Zuschauer über das Weltgeschehen mehr wissen als die Konsumenten der richtigen Nachrichtensendungen. Die Ironie dahinter ist natürlich, dass die satirische Version offenbar eine bessere Informationsquelle ist als die großen Nachrichtensendungen, die Stewart und seine Crew von "Fake Reporters" gern verspotten.
An Stewart kommt jedenfalls niemand mehr vorbei. Bestseller-Autoren, Schauspieler, Musiker und natürlich die Präsidentschaftskandidaten betteln um ein Bad im Kakao. Barack Obama war bis jetzt zweimal zu Gast im Studio in der 54. Straße auf Manhattans Westside. Hillary Clinton ließ sich am Abend vor den wichtigen Vorwahlen in Texas und Ohio über Satellit zuschalten und musste sich von Stewart zu allererst fragen lassen, ob sie nichts Wichtigeres zu tun habe als mit ihm zu reden, "als Gastgeber bin ich entzückt, als Bürger beängstigt..." Und in dem verzweifelten Versuch, junge Wähler zu begeistern, erschien der greise John McCain bereits 13 Mal.
Journalistenpreis für Comedy
Dabei war die "Daily Show" am Anfang nicht mal besonders erfolgreich. Sie wurde 1996 mit Craig Kilborn als Moderator erstmals ausgestrahlt und war zunächst auf lokale Absurditäten spezialisiert. Drei Jahre später verließ Kilborn die Show, und Stewart rückte nach. Der hatte sich nach seinem Psychologiestudium erst mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen, war Kellner, Bauarbeiter und Puppenspieler. Irgendwann hatte er das satt, ging nach New York, wurde Stand-Up-Comedian. Nach einigen Flops mit Serien und drittklassigen Filmen, kam er schließlich zum Fernsehsender "Comedy Central". Inzwischen hat seine Show ein Dutzend wichtiger Preise gewonnen, darunter Emmys und Grammys und pikanterweise auch den prestigeträchtigen "Peabody-Award", der eigentlich nur für seriösen Journalismus verliehen wird.
Stewart, 45, ist inzwischen ein Star. Er moderierte bereits zweimal die "Oscar"-Verleihung, zuletzt im Frühjahr - "Oscar ist in diesem Jahr 80 geworden. Das macht ihn automatisch zum Spitzenkandidaten der Republikaner." So bissig wie vor seiner Stammkundschaft aber durfte er vor fast 40 Millionen Zuschauern nicht sein.
Jede Woche von montags bis donnerstags erwarten seine treuen Fans nämlich rotzfrech-gescheite Interviews und obendrein aberwitzige Beiträge seiner Außenreporter. Einige von denen machten durch die "Daily Show" selbst Karriere. Steve Carell ("Little Miss Sunshine", " Evan Allmächtig") zum Beispiel begann bei Jon Stewart. Und vor drei Jahren bekam der bis dahin berühmteste Außenreporter Stephen Colbert seine eigene Sendung und mimt darin einen ultrakonservativen Talker so überzeugend, dass ihm sogar das deutsche Fernsehen auf den Leim ging und ihn den Zuschauern tatsächlich als "ultrakonservativen Talkshow-host" verkaufte.
Das Geplapper der Politiker
Niemand ist vor Stewart und seinem Team sicher. Präsidenten, Senatoren, Kongressabgeordnete, Botschafter und immer wieder Fernsehleute. Sein Lieblingsopfer aber ist Vizepräsident Cheney, dem er von Zeit zu Zeit sogar das eigene Segment "You Don't Know Dick" widmet. Einmal saß der herzkranke Cheney beim steinalten CNN-Moderator Larry King, und am nächsten Abend wunderte sich Stewart, "dass keiner von beiden während des Interviews gestorben ist."
Als Cheney im Februar 2006 einen Freund beim Jagen einen Ladung Schrotkugeln verpasste, bestritten Stewart und seine Leute gleich mehrere Sendungen davon. Einer seiner satirischen Reporter, Ed Helms, sagte in drei Minuten ein Dutzend mal "He shot him in the face", "er schoss ihm ins Gesicht", und danach trat Rob Corddry als "Vice-Presidential Firearms Mishap Analyst", als "vizepräsidentaler Feuerwaffen-Pannen-Experte" auf. Mit solchen Wort-Monstern spießen Stewarts Leute die Manie der amerikanischen Nachrichten auf, für alles irgendeinen nichts sagenden Experten zu haben. Denn das ist die ganze Idee der "Daily Show": Das Geplapper von Politikern und Politik-Reportern auch als Geplapper zu entlarven. Das gelingt ihr so gut, dass es ihren Star manchmal selbst beängstigt: "Sehen Sie nicht, was das Problem in unserem Land ist? Ich werde ernst genommen. Und der Präsident nicht."
Die Jon-Stewart-Show wird immer dienstags um 23:30 Uhr auf Comedy Central ausgestrahlt. www.comedycentral.de