Je länger der Beziehungspodcast von Charlotte Roche und ihrem Mann Martin Keß andauert, desto stärker schiebt sich ein Thema in den Vordergrund, das viele Menschen ohnehin mit der Moderatorin und Autorin verbinden: Sex. Nachdem die Eheleute bereits in der vergangenen Folge eine Stunde lang die Hörer über ihren ehelichen Geschlechtsverkehr informiert haben, stand in dieser Woche die sexuelle Sozialisation auf dem Programm.
Und die hätte bei den beiden Partnern unterschiedlicher nicht verlaufen können. Martin Keß bezeichnet seine Jugend in der Hinsicht als denkbar freudlos. Der in den 60er und 70er Jahren im beschaulichen Lüdenscheid im Sauerland aufgewachsene Medienmanager klagte über die sexuelle Sprachlosigkeit, die in seiner Jugend geherrscht habe. Das meiste sei mit Scham behaftet gewesen, erzählt der heute 55-Jährige.
Martin Keß und die Aufklärung
Als Beispiel führt er eine Geschichte an, als er geschätzt 20 gewesen und mit einer Frau auf sein Zimmer verschwunden sei. Doch der Traum vom Sex platzte jäh: Schon beim Rumknutschen sei er gekommen. Damit war es dann vorbei. Die Frau habe sich enttäuscht verabschiedet, er habe sich gnadenlos geschämt. Heute könne er mit einer solchen Situation anders umgehen, aber damals hätten ihm dazu Verständnis und Erfahrungen gefehlt.
Sein Elternhaus war ihm dabei keine Hilfe. Als er in das Alter kam, in dem er nächtliche Samenergüsse hatte, habe ihm seine Mutter ein Taschentuch ins Bett gelegt - wortlos, ohne jede Erklärung. Er dachte, er sei der einzige auf der ganzen Welt, dem so etwas passiere. Ein Besuch in einem Aufklärungstheater habe ihm dann die Augen geöffnet. Dort wurde auf der Bühne ein Lied gesungen: "Meine Mama ist nett, die legt mir abends immer ein Taschentuch ins Bett." Er war nicht allein - eine bahnbrechende Erkenntnis für den Heranwachsenden.
Charlotte Roche sammelte viele Erfahrungen
Weil es das Internet in seiner Jugend noch nicht gab, musste sich der junge Martin sein Wissen über das Thema Geschlechtsverkehr selbst aneignen: Über die Buchhandlung in seiner Stadt, in der er immer wieder in der einschlägigen Fachliteratur blätterte, um zu verstehen, was in den Körpern von Männern und Frauen beim Sex abgeht.
Ganz anders verlief hingegen das sexuelle Erwachen von Charlotte Roche. Die sammelte schon früh viele Erfahrungen - auch gefördert von ihrer Mutter. Was ihr Ehemann zu wenig hatte, erlebte Roche vielleicht im Übermaß. Roche wählt dafür den Vergleich mit einem Kind, dessen Vater in einer Schokoladenfabrik arbeitet und das deshalb so viel Süßes essen darf wie es will. Dadurch verliert das Naschen seinen Reiz. So sei es ihr ein wenig gegangen. Martin Keß war dagegen - um in diesem Bild zu bleiben - das Kind, das neidisch am Werkstor gestanden hat und auch etwas abbekommen wollte. Eine Zeit, die gottseidank lange zurück liegt.