Fast vier Wochen dauerte die Anhörung im Strafverfahren Kevin Spacey im Londoner Southwark Crown Court. Eine zwölfköpfige Jury beriet zwölf Stunden und 26 Minuten lang über neun Anklagepunkten, vorgetragen im Namen von vier anonym bleibenden Klägern. Das sind die nüchternen Zahlen und Fakten dieses Prozesses. Am Ende wurde es emotional: Im Gerichtssaal Nummer Eins, wo vor mehr als einem Jahr ein anderer Prominenter, Boris Becker, wegen Insolvenzstraftaten zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, lautete das Urteil im Fall Kevin Spacey: nicht schuldig in allen Anklagepunkten. Spacey, der heute seinen 64. Geburtstag feiert, weinte vor Erleichterung, umarmte seinen Manager und sein Verteidigerteam, bedankte sich beim Gerichtspersonal. Später sah man ihn im Gespräch mit mehreren Jury-Mitgliedern im Korridor.
Immer gleiches Muster: Griff ins Gemächt
Die ungewöhnlich lange Zeit, die die Jury brauchte, um zu ihrem Urteil zu gelangen, deutet an, wie komplex der Fall war. Vier Männer, drei von ihnen eigenen Angaben nach heterosexuell, bezichtigten den US-Star sexueller Übergriffe, in einem Fall sogar der sexuellen Nötigung. Sie trafen Spacey, schon damals ein gefeierter Schauspieler und ab 2003 Künstlerischer Direktor des Londoner Theaters "Old Vic", zwischen 2001 und 2013 – junge Männer in den frühen Zwanzigern, alle standen am Anfang ihrer Karriere. Einer suchte Spaceys Rat, einen traf der Schauspieler zufällig in einem Pub, die anderen hatten beruflich mit ihm zu tun. Drei Kläger berichteten unabhängig voneinander, Spacey habe ihnen ins Geschlecht gegriffen. Das Muster war immer gleich: Die Hand auf dem Oberschenkel, die Bewegung von außen nach innen und dann hoch in Richtung Schritt. Jede Frau kennt das. In einem Fall, während einer Autofahrt, habe Spacey so hart zugegriffen, dass der Fahrer den Wagen um ein Haar in den Straßengraben gefahren hätte. "Mach das noch einmal und ich schlag' dich k.o.", habe der Kläger Spacey wütend angeschrien. "Das macht mich an", soll der geantwortet haben. Spacey streitet das ab.
Von Oralsex und "schlaffem Penis"
Vor allem im schwersten Anklagepunkt, in dem es um sexuelle Nötigung ging, wurde die Sprache zuweilen explizit. Der Kläger hatte in diesem Fall ausgesagt, er sei nach vielen Drinks und Joints in Kevin Spaceys Apartment eingeschlafen und mehrere Stunden später aufgewacht, nachdem der Star an ihm offenbar gerade Oralsex verübt hatte. Selten vernimmt man, so wie in diesem Fall, die Worte "schlaffer Penis" aus dem Mund eines ehrenwerten englischen Star-Anwalts vom Format des Spacey-Verteidigers Patrick Gibbs in einem Gerichtssaal.
An anderer Stelle, während des Kreuzverhörs der Staatsanwältin Christine Agnew, rief Spacey empört: "Bollocks!", was soviel heißt wie "Kompletter Unsinn", aber zugleich das männliche Geschlechtsorgan beschreibt. "Genau dorthin haben Sie ihm gegriffen", konterte Agnew.
Verwirrendes Gebräu von Prominenz und Promiskuität
Aus diesem Gebräu von Sex und verwirrter Sexualität, von Prominenz und Promiskuität, von naiver Bewunderung und professioneller Abhängigkeit, von teils allzu vagen Erinnerungen aus einer Zeit lange vor #MeToo und Harvey Weinstein, mussten am Ende zwölf willkürlich ausgewählte Alltagsmenschen die richtigen Schlüsse ziehen. Leicht dürfte ihnen das nicht gefallen sein, denn hier standen die Aussagen von vier damals sehr jungen Männern ohne Macht und Einfluss gegen die eines Stars, der zu jenem Zeitpunkt den Zenit seines Ruhms erreicht hatte. "Es war David gegen Goliath", sagte einer der Kläger. Die Verteidigung sah das anders: Sie malte Spacey als einsamen, damals noch nicht geouteten Star, der niemandem trauen konnte, Zuneigung suchte und sich zuweilen nach einem normalen Leben sehnte. Und dazu gehöre eben auch, sagte Gibbs, dass er manchmal mit einem Fahrer flirtete oder jemanden im Supermarkt ansprach. "Das Leben eines Stars ist ein seltsames Leben."
In seinem Schlussmonolog sagte Verteidiger Gibbs: "Promiskuität ist keine Straftat, auch dann nicht, wenn es sich um homosexuelle Promiskuität handelt – wir schreiben schließlich das Jahr 2023, nicht 1823." In seinem Plädoyer an die Jury sagte er allerdings auch: "Sie können den Angeklagten nicht für unschuldig erklären, sondern bestenfalls in allen neun Anklagepunkten für nicht schuldig." Das haben die zwölf Geschworenen nun getan. Was bleibt, ist eben dieses Muster, der Griff in den Schritt, von dem auch zahlreiche andere Männer berichteten, die damals in London mit Spacey in Kontakt gekommen waren. Und es bleibt ein angeschlagener Ruf; der allerdings hat in Hollywood bislang noch niemandem geschadet.
In einer kurzen Ansprache vor dem Gerichtsgebäude erklärte sich Spacey "dankbar und demütig". Es gebe für ihn "viel zu verarbeiten" nach diesem Prozess.