Sonya Kraus schaltet sich über Zoom zum Interview. Sie sitzt auf einem Sofa mit Glitzerkissen, neben ihr liegt die Boxerhündin Fanny. Eigentlich wollten wir die Moderatorin, deren TV-Karriere 1998 als "Glücksrad"-Assistentin begann, die in den 2000ern die Pro-Sieben-Show "talk, talk, talk" moderierte, später eine Heimwerkersendung und Shows wie "Die Alm", persönlich treffen, bei ihr zu Hause in Frankfurt. Doch wegen Corona ist das zu riskant, denn Kraus steckt gerade mitten in einer Chemotherapie. Die 48-Jährige kämpft gegen Brustkrebs. Und als wäre das nicht schon Herausforderung genug, tut sie das nicht nur privat, für sich, sondern auch im Fernsehen, für andere. Kraus ist Teilnehmerin der Vox-Sendung "Showtime of my Life", in der 16 Prominente vor einem Millionenpublikum die Hüllen fallen lassen, um auf das Thema Vorsorge von Brust-, Prostata- und Hodenkrebs aufmerksam zu machen.
Krebs ist ein Thema, das wir alle gern ausblenden, bis es in unser Leben knallt – ab da ist es allgegenwärtig.
Es ist Wahnsinn, wie viele Frauen in meinem Umkreis von Brustkrebs betroffen sind, meine Managerin, meine Stylistin, meine Freundin. Meine befreundete Kollegin Miriam Pielhau ist daran gestorben. Ich hätte nie gedacht, dass mich das mal erwischt, weil ich in der Familie niemanden mit Krebs habe. Und weil ich regelmäßig zur Vorsorge gehe.
Wann haben Sie die Diagnose bekommen?
Im September letzten Jahres. Ich hatte gerade zugesagt für "Showtime of my Life". Ich wurde gefragt, weil ich so viele betroffene Frauen kenne. Für mich war das eine Herzensangelegenheit. Am Tag nach dem Vorgespräch hatte ich die Routineuntersuchung bei meinem Gynäkologen. Bei der Sonografie entdeckte er einen Knoten in der rechten Brust, winzigklein. Ich hätte den selbst nicht ertasten können. Mein Arzt hat mich dann weitergeschickt zur Biopsie. Da dachte ich noch: Alles ist fein.

Wie war das Ergebnis?
Bösartig. Mein Glück war, dass der Knoten so winzig war, 0,8 Zentimeter, und so früh erkannt wurde, dass ich noch alle Möglichkeiten hatte zu agieren. Deswegen bin ich heute auch so guter Dinge, trotz Operation und Chemo. Ich könnte natürlich fragen: Warum hat es mich getroffen? Aber ich denke: Wow, was für ein Glückstreffer, dass Karl Arsch erkannt wurde.
So nennen Sie den Knoten?
Karl Arsch, ja. (lacht)
Wieso?
"Mammakarzinom" gibt dem Krebs zu viel Seriosität. Über "Karl Arsch" kann ich schimpfen, den kann ich runtermachen. Ich habe einen Gegner. So ein Brustkrebstumörchen kann tausend verschiedene Formen haben. Deswegen muss man wissen: Was ist das für ein Ding, low risk, medium risk oder high risk?
Was war es in Ihrem Fall?
High risk. Schnell wachsend. Ein Mammakarzinom, das in den Milchkanälen und -drüsen sitzt. So viel zum Thema: Wenn du stillst, kriegst du keinen Brustkrebs. Ich war so eine gute Kuh! Ich habe meine Kinder brav fast neun Monate gestillt. Aber dementsprechend war die Fahrtlinie für mich klar.
Wofür haben Sie sich entschieden?
Eine totale, beidseitige Mastektomie – auch wenn der Knoten klein war und die linke Brust gesund. Eine brusterhaltende OP wäre auch machbar gewesen, jedoch wollte ich so radikal wie möglich vorgehen. Alles andere hätte mich zu sehr beunruhigt.
Ein mutiger Schritt.
Um mich herum sind viele Ladys, die schon dieses Tal durchwandert haben. Durch sie wusste ich, was das bedeutet. Sie haben mir Mut gemacht. Meine Freundin Amy in London sagte: "Sonya, I love my new tits! They are better than the original." Ich habe mich intuitiv dafür entschieden, und das war richtig: Hinter der Brustwarze befand sich eine weitere Krebsvorstufe. Die wäre sonst nicht entdeckt worden.
Wie war das, plötzlich selbst betroffen zu sein?
Als ich die Diagnose bekam, stand ich im Garten meiner Freundin und Nachbarin. Die Professorin rief mich an. Ich fühlte mich seltsam, als würde sich der Luftdruck innerhalb von Millisekunden absenken. Das Leben bleibt kurz stehen. Das Gehirn begreift das erst nicht. Aber dann machte es bei mir "klick", und ich habe überlegt, wen ich als Erstes anrufe.

Für wen haben Sie sich entschieden?
Meine Freundin Silvia, eine Koryphäe an einer Uniklinik. Ich sagte: "Silvia, ich brauche deine Connection. Dieses Mal für mich." Danach fiel ich in Aktionismus, habe Termine gemacht und mich informiert. Meine Mädels haben mir am meisten geholfen. Der Austausch mit ihnen war wundervoll.
Also sind Sie komplett offen mit der Diagnose umgegangen?
Nein. Zuerst habe ich nur meine Ladys, von denen ich wusste, dass sie auch betroffen sind, mit einbezogen. Ansonsten habe ich den Mund gehalten. Ich wollte vor allem meine Kinder und meine Mutter schützen, sie wussten von nichts. Im September bekam ich die Diagnose. Anfang November wurde ich operiert. Meinen Kindern habe ich gesagt, dass ich arbeiten gehe. Ich kam aus dem Krankenhaus zurück wie im Halloween-Kostüm, mit lauter Drainagen und Flaschen an mir dran. Erst dann habe ich ihnen alles erklärt. Mitte Dezember habe ich die Chemotherapie angefangen.
Was haben Sie Ihren Kindern gesagt? Sie sind ja erst neun und elf Jahre alt.
Das böse K-Wort habe ich vermieden und mich zart rangetastet. Dass da ein Knoten war, der entfernt werden musste. Dass die Mama jetzt tolle neue Brüste hat. Dass ich noch Medikamente nehmen muss, aber jetzt gesund werde. Ich habe versucht, stark zu sein. Kinder orientieren sich an dir. Also versuche ich, wie eine Galionsfigur durch den Chemonebel zu segeln.
Gab es auch Phasen, in denen Sie Angst hatten?
Nein. Ich glaube, ich bin extrem resilient, da mein Bruder gestorben ist, als ich sechs war, und mein Vater sich das Leben genommen hat, als ich elf war. Das heißt, ich habe schon als kleines Kind, als junger Mensch erfahren, wie man mit Schicksalsschlägen, Herausforderungen und echten Problemen umgehen muss und kann. Das macht mich oft so unerschütterlich und souverän und lässt mich vielleicht manchmal auch ein bisschen zu tough wirken, was ich gar nicht bin. Ich bin ein sehr warmer Mensch. Aber Ängste bringen nichts, sie blockieren nur. Die Welt gehört den Mutigen. Schon bei "Star Wars" sagen die Jedis: Angst ist das, was einen auf die böse Seite der Macht bringt.
Parallel zu Ihrer Therapie lief die Produktion zur zweiten Staffel von "Showtime of my Life". Kannten Sie die Sendung?
Ja, aber sie war nicht so in meinem Fokus. Anfangs dachte ich: Was meinen die damit? Die ziehen sich aus, und was hat das mit Krebs zu tun? Mir war erst gar nicht bewusst, dass so viele Leute Scham haben, sich nackig zu machen. Ich bin ein altes Hippie-Kind, ich denke keine Sekunde nach, wenn ich beim Doktor die Hüllen fallen lasse.
Trotzdem haben Sie sofort zugesagt.
Natürlich! In 25 Jahren habe ich noch nie bei einer Produktion mitgemacht, die so wichtig ist. Das ist Fernsehen, das wirklich etwas bewirkt! Nicht nur für mich, sondern auch für die Menschen, die aufgrund der ersten Staffel zum Arzt gegangen sind. Deren Leben gerettet wurde. Zum Beispiel ein Mann mit Brustkrebs, der erst dachte: Ach, das ist nur eine Fettgeschwulst.
Was für eine Ironie des Schicksals, dass Sie während der Produktion plötzlich selbst betroffen waren. Hat das die Arbeit für Sie dort verändert?
Die Atmosphäre am Set war besonders. Die Hüllen fallen – nicht nur physisch, auch psychisch. Es war wie eine Selbsthilfegruppe. Am ersten Drehtag stieß ich als Letzte dazu. In meiner sehr ungefilterten Art und unerschrockenen Offenheit habe ich gleich gesagt, was Sache ist bei mir. Das war Ende November. Alle waren geschockt. Ab dem Moment war die Luft raus. Aber im positiven Sinn: Alle Barrieren fielen, alles war auf einem ganz anderen Niveau. Auch die Gespräche. Da wurde sich nicht mehr unterhalten über das Business. Wir haben ganz offen über die essenziellsten Themen, Ängste und Schicksalsschläge geredet. Das war sehr bewegend. Wir bleiben auch weiter in Kontakt.
Sie haben sogar eine Whatsapp-Gruppe.
Ja, das ist wirklich süß. Die Kolleginnen aus der Show wissen, wann ich meine Chemos habe. Dann fragen sie: "Wie geht’s dir? Alles gut?"Es ist ein schöner Support, und wir geben uns tausend Tipps. Welchen Nagellack man zum Beispiel benutzen kann, damit die Nägel nicht abgehen. Oder dass man Aloe-Vera-Ursaft trinken soll, damit man keine Aphthe im Mund kriegt. Das sind so viele Kleinigkeiten. Von denen sind alle betroffen.
"Ich versuche wie eine Galionsfigur durch den Chemonebel zu segeln" - Sonya Kraus
Gibt Ihnen das Kraft?
Ja, da ist so viel pure Menschlichkeit. Und so eine schöne Seelsorge. Ich hoffe, dass ich das beibehalten kann. Ganz viele Dinge jucken mich heute so was von gar nicht mehr. Ich konnte schon immer zwischen gemachten und echten Problemen unterscheiden. Aber diese Herausforderung jetzt hat mir noch mal viel beigebracht.
Hat die Diagnose Ihren Blick auf die Welt verändert?
Nicht wirklich. Ich hatte immer schon eine gesunde Sicht aufs Leben. Aber mir ist klar geworden, dass es endlich ist. Ich überlege, wie ich weitermachen will. Ich sage mir: "Träum nicht länger. Überleg dir, was du noch machen willst mit der restlichen Zeit, die dir gegeben ist." Ich finde es wichtig, sich Zeit zu nehmen für kleine Sachen und die auch zu genießen. Im Moment sein und nicht nur jammern. Ich kann dieses ganze Genöle nicht mehr hören von Leuten, die alles negativ reden. Es gibt so viele Dinge, die auch an einem trüben Februartag schön sein können.
Welche Vorsorgeuntersuchungen für Frauen wirklich sinnvoll sind

Der Arzt fragt nach Beschwerden, Lebensstil und Krankheiten in der Familie, horcht Lunge und Herz ab, prüft Haut, Gelenke und Reflexe, misst Blutdruck und Puls. Im Blut werden Gesamtcholesterin und Blutzucker, im Urin das Eiweiß Albumin, rote und weiße Blutkörperchen, Nitrit und Glukose bestimmt.
Für wen angeboten? Für alle ab 35 Jahren.
Bewertung: Die Tests erkennen keine Krankheiten, sondern liefern nur erste Hinweise (z. B. auf Arteriosklerose oder Diabetes). Daraus lassen sich Konsequenzen ziehen, auch um spätere Krankheiten zu verhindern. Jüngere Studien weisen allerdings darauf hin, dass Menschen, die diesen Check absolvieren, im Schnitt nicht länger leben oder seltener erkranken.
Was folgt, wenn der Arzt etwas findet?
Diverse Folgeuntersuchungen, etwa Analyse weiterer Blutwerte, EKG, EEG.
Im Alltag vergisst man das oft.
Ich vergesse das auch manchmal. Aber das ist das Gesunde am Krebs: Wenn du es richtig anstellst, rückt er dir den Kopf zurecht. Ich mache mir das Leben jetzt noch mehr rosarot. Den Fokus auf negative Dinge zu legen bringt einen nur runter.
Gab es trotzdem Momente, in denen Sie mal an einem Tiefpunkt waren?
(lacht) Es gab mal eine völlig banale Situation: Es war der erste Schub, bei dem ich Haare verloren habe. Ich wollte nicht diese ganze Mähne in meiner Bürste sehen. Also habe ich mir 24 Stunden lang nicht die Haare gekämmt. Und da ich viele dünne und lockige Haare habe, hatte ich dann einen Knoten in der Größe eines Mangokerns hinten am Kopf, direkt an der Kopfhaut. Ich bin dann in die Badewanne gegangen, danach war das wie gefilzt. Also war klar: Ich muss das Ding abschneiden. Da dachte ich: Ich benutze eine Scheiß-Kühlhaube während der Chemo, damit meine Haare nicht komplett ausfallen, und dieser Knoten beschert mir jetzt eine Glatze? Das kann nicht sein! Das war der einzige Moment, in dem mir die Tränen runterliefen. Also zu Youtube: Wie popelt man Dreadlocks auf? Und dann habe ich mich mit einer Häkelnadel und Mähnenspray für Pferde hingesetzt und viele Nächte lang diesen Knoten aufgedröselt.

Haben Sie es geschafft?
Na logo! Ein ganzes Knäuel Haare flog zwar dabei raus, aber ich habe noch Haare hinten am Kopf. Das war eine Information, die mir meine Mädels leider nicht weitergereicht hatten – dass man viele dünne, lockige Haare auskämmen muss. Sonst endet es so.
Ist das Ihre Motivation, bei der Sendung mitzumachen: dass Sie andere Frauen an Ihrer Erfahrung teilhaben lassen können?
Ich will Mut machen, dass die Leute zur Vorsorge gehen. Ich will die Angst nehmen vor einer negativen Diagnose. Ich will zeigen: Schaut mich an, mir geht es gut. Aber nur, weil ich zur Vorsorge gegangen bin, weil mein Knoten, weil Karl Arsch eigentlich noch ein Baby Karl Arsch war. Wenn er schon ein ausgewachsener Kerl gewesen wäre, wenn er schon meine Lymphknoten befallen hätte, hätte das anders ausgesehen.
"Verschludert nicht eure Termine zur Vorsorge und seid penetrant" - Sonya Kraus
Erzählen Sie Ihre eigene Geschichte auch während der Sendung?
Ja, komplett. Man sieht sogar meine Brüste. Das, was der "Playboy" nie geschafft hat. Sie sind jetzt nicht mehr das Original. Aber ich sage: Fake or real. No big Deal.
Sie finden sie besser als das Original?
Ich fand meine Brüste vorher auch ziemlich okay. Mit denen wäre ich gern alt geworden. Aber jetzt habe ich die Perfektion. Ich scherze immer und sage: Die sind Porno.
Welchen Rat würden Sie Frauen geben?
Die wichtigste Message ist: Verschludert, egal, aus welchen Gründen, nicht eure Termine zur Vorsorge, und seid penetrant. Besteht auf eine Sonografie. Die Früherkennung ist so essenziell. Kleiner Trick: Wenn die Krankenkasse das nicht zahlt und ihr noch zu jung seid, dann sind eben Schmerzen in der Brust da, und dann wird es bezahlt. Also tut das für euch!
Wenn Sie Karl Arsch eine Botschaft senden könnten, welche wäre das?
Dem habe ich schon vor drei Monaten Adios gesagt. Mehr Worte habe ich für ihn nicht. Der fristet sein beschissenes Leben in irgendeinem Labor, der Wissenschaft gewidmet.