Gaza-Waffenruhe: Hamas übergibt erstmals tote Geiseln an Israel

Palästinenische Kämpfer tragen einen Sarg
Palästinenische Kämpfer tragen einen Sarg
© AFP
Die Palästinenserorganisation Hamas hat am Donnerstag erstmals im Zuge der Waffenruhe im Gazastreifen vier tote Geiseln an Israel übergeben und mit der inszenierten Aktion international Bestürzung ausgelöst. Unter den Leichnamen sei derjenige von Oded Lifshitz, erklärte seine Familie. Die Hamas hatte zuvor angekündigt, auch die Leichen der Deutsch-Israelin Shiri Bibas und ihrer Kinder Kfir und Ariel zu übergeben. Die UNO, die israelische Regierung und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zeigten sich entsetzt über die Inszenierung der Übergabe.

Die Hamas reihte auf einer Bühne in Chan Junis im Süden des Gazastreifens vier Särge neben Geschosshülsen auf, daneben standen vermummte und bewaffnete Hamas-Kämpfer. An jedem Sarg war ein Foto der Geisel angebracht. Im Hintergrund der Bühne war ein großes Plakat mit Fotos der Geiseln zu sehen, auf dem Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu als Vampir dargestellt war.

Die vier Särge wurden am Morgen an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) übergeben. Rotkreuz-Vertreter luden diese in ihre Fahrzeuge und fuhren dann Richtung Israel. Die israelische Armee bestätigte wenig später, dass die Leichen der Geiseln an Vertreter der Armee und des Inlandsgeheimdienstes übergeben worden seien. Als einer der vier Toten wurde Lifshitz identifiziert, wie seine Familie über das Forum der Geiselfamilien mitteilte. Mit Blick auf Shiri Bibas und ihre Söhne gab es zunächst keine letztliche Gewissheit, solange forensische Untersuchungen noch ausstanden.

Kfir und Ariel Bibas waren die letzten Kinder, die noch von der Hamas als Geiseln im Gazastreifen festgehalten worden waren. Die Hamas hatte die Kleinkinder sowie deren Eltern Shiri und Jarden vor mehr als 16 Monaten aus dem Kibbuz Nir Oz verschleppt. Kfir war damals neun Monate alt, sein Bruder Ariel vier Jahre.

Die Bilder der beiden rothaarigen Jungen und ihrer verzweifelten Mutter bei der Entführung wurden in Israel zu einem Symbol für den brutalen Hamas-Angriff auf den Süden Israels vom 7. Oktober 2023. Der getrennt von seiner Familie festgehaltene Jarden Bibas war am 1. Februar freigelassen worden. Die Hamas hatte erklärt, dass Shiri Bibas und ihre Kinder zu Beginn des Krieges durch einen israelischen Luftangriff getötet worden seien. Die israelischen Behörden bestätigten dies jedoch nicht.

Die Inszenierung der Leichenübergabe löste Erschütterung aus. Vom Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte hieß es, die Zurschaustellung der Leichen sei "abscheulich und grausam" und stehe im Gegensatz zum Völkerrecht. Außenministerin Baerbock beklagte, die Bilder der Vorführung der vier Särge durch die Hamas seien "kaum zu ertragen". Die Geisel-Familien seien bis zum Schluss "dem grenzenlosen Hamas-Terror ausgesetzt".

Israels Regierungschef Netanjahu sagte in einem Video, "wir sind alle wütend auf die Monster der Hamas". Sein Land werde alle Geiseln zurückholen, "die Mörder vernichten" und die Hamas "eliminieren". Regierungssprecher David Mencer warf der islamistischen Palästinenserorganisation vor, einen "Todeskult" zu pflegen, zu morden und zu foltern.

Daneben herrschte in Israel große Trauer. Präsident Isaac Herzog erklärte, "unsere Herzen - die Herzen der gesamten Nation - liegen in Trümmern". Er bat um "Vergebung, dass wir Euch nicht beschützt haben".

Menschen mit israelischen Fahnen standen entlang der Strecke des Konvois, der die sterblichen Überreste der Menschen nach Hause bringen sollte. Die Fahrzeuge fuhren nach Tel Aviv, wo sich eine Menschenmenge auf dem "Platz der Geiseln" versammelte. "Das ist einer der schwersten Tage seit dem 7. Oktober, denke ich", sagte Tania Coen Uzzielli, die unter den Wartenden war. "Vielleicht haben wir nicht genug getan, um diese Tragödie zu verhindern."

Auch Bundeskanzler Scholz zeigte sich bestürzt. Der Tod von Shiri Bibas und ihren beiden Söhnen sei "zur schrecklichen Gewissheit geworden". Die Hamas habe "Leid und Tod in unzählige Familien gebracht".

Die Rückführung der Leichen ist Teil der ersten Phase einer Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas, die am 19. Januar in Kraft getreten war. Im Zuge der ersten Phase wurden bislang 19 lebende israelische Geiseln im Austausch gegen mehr als 1100 palästinensische Häftlinge freigelassen. Insgesamt sollen 33 Geiseln freigelassen werden, von denen nach israelischen Angaben acht tot sind.

AFP