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Sprache im Wandel Vor 50 Jahren verschwand das "Fräulein" – doch manche Frauen waren stolz auf die Anrede

Die Schriftstellerin Annette Kolb, hier 1960, bestand zeitlebens auf die Anrede "Fräulein"
Die Schriftstellerin Annette Kolb, hier 1960, bestand zeitlebens auf die Anrede "Fräulein"
1972 machte der Bund mit dem "Fräulein" Schluss. Er verbannte die Anrede aus seinem Sprachgebrauch. Das "Fräulein" als Bezeichnung für unverheiratete Frauen galt vielen als despektierlich. Manche ließen sich aber auch mit Stolz "Fräulein" nennen.  

Der Duden definiert "Fräulein" als "titelähnliche, auch als Anrede verwendete Bezeichnung für eine unverheiratete weibliche Person". Gebrauch: veraltet. Demnach wurde die Anrede zunächst für junge Frauen vornehmen Standes verwendet und erst später auch für Bürgerliche. So weit so nüchtern. Doch viele "Fräulein" begriffen die Anrede zunehmend als herablassend. Schließlich wurden unverheiratete Männer auch nicht "Herrlein" genannt. Und es drängte sich die Frage auf, warum der Beziehungsstatus überhaupt so eine prominente Rolle spielen sollte.

Die Kritik am "Fräulein" wurde in den 1960er Jahren weiter befeuert, als sich Geschlechterrollen, Beziehungen und Hierarchien im Umbruch befanden und Frauen mehr Rechte einforderten. Schließlich lud das Bundesinnenministerium Anfang 1971 zu einer Pressekonferenz mit den führenden Frauenverbänden ein und stellte feierlich eine Änderung der amtlichen Regeln in Aussicht. Verkündet wurde der vom damaligen Innenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) herausgegebene Erlass dann rund ein Jahr später, am 16. Januar 1972. Es war das Ende des "Fräuleins" und damit einer Tradition, die auf preußische Behörden zurückging. 

Der interne Erlassentwurf hatte festgestellt, dass die Bezeichnung "Frau" kein Titel und keine Bezeichnung sei, die "verliehen werden müsste oder könnte". Es stehe "jeder unverheirateten weiblichen Person frei, sich 'Frau' nennen zu lassen". Laut Erlass sollte es im Dienstgebrauch – und damit etwa auch auf Dokumenten und Urkunden – nur noch die Bezeichnungen "Herr" und "Frau" geben. In Umkehrung der bisherigen Vorschrift sollte die Bezeichnung "Fräulein" jetzt nur noch verwendet werden, wenn eine Frau dies explizit wünschte. Diese Fälle gab es.

Aktivistinnen der ersten Frauenbewegung trugen die Anrede "Fräulein" mit Stolz

Wie sich die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch erinnert, waren die deutschen Frauen damals überwiegend einverstanden, als das "Fräulein" verschwand. Aber manche hätten das Wort auch vermisst. "Da waren einerseits ältere Frauen, die sich noch der ersten Frauenbewegung verbunden fühlten", sagt die 77-Jährige. "Viele Aktivistinnen der ersten Frauenbewegung blieben bewusst unverheiratet, um nicht von einem Mann abhängig zu werden." Sie nahmen demnach die Anrede "Fräulein" mit Stolz, machte sie doch für sie diese Unabhängigkeit sofort sichtbar. Als berühmtes Beispiel fällt Pusch die Schriftstellerin Annette Kolb (1870-1967) ein. Diese habe zeit ihres Lebens – sie wurde 97 Jahre alt – auf der Anrede "Fräulein" bestanden.

Gibt man "Fräulein" bei Google ein, kommt schnell die Frage: Ist das Wort Fräulein eine Beleidigung? Manche Frauen sagen bis heute: nein – so wie auch das Amtsgericht Frankfurt. Es urteilte vor drei Jahren, dass es nicht ehrverletzend sei, dass eine Mieterin im ausgehängten Treppenputzplan als "Frl." oder "Fräulein" bezeichnet wird. Das Gericht wies damit eine Unterlassungsklage der Mieterin ab. In der Urteilsbegründung heißt es, dass es in dem konkreten Fall auch relevant sei,  dass die Beklagten mit ihren 89 bzw. 92 Jahren "einen eher älteren Wortschatz und entsprechende moralische Wertungen" hätten. Sie seien 1972, also bei offizieller Abschaffung des Namenszusatzes, bereits in ihren mittleren Jahren gewesen und hätten den Begriff des Fräuleins "als regulären, nicht despektierlichen, sondern korrekten Namenszusatz erlernt". 

Manche werten "Fräulein" bis heute positiv

Man muss nicht 90 sein, um den Begriff "Fräulein" nicht als Herablassung zu empfinden. Es gibt auch moderne, popkulturelle Strömungen, die in dem Wort einen Ausdruck von weiblichem Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung sehen. Das Magazin "Fräulein" beispielsweise, das seit rund zehn Jahren auf dem Markt ist und seinen Leserinnen Interviews, Reportagen, Modestrecken und Kunst bietet, hat folgende Definition gefunden: "Fräulein spricht für starke und selbstbewusste Frauen, die mitten im Leben stehen, verzaubern und niemals langweilig werden. Intelligente, stilvolle und erfahrene Frauen, die wissen, was sie wollen und Wert auf feine Unterschiede legen." Das volle Programm also, nach Herablassung klingt das keinesfalls, höchstens nach einem ziemlich gefüllten und anstrengenden Alltag für die Frauen, die sich von diesem Text angesprochen fühlen. 

Die "Elle" hat es vor einigen Jahren etwas verträumter formuliert, im Kern aber ähnlich. Vierzig Jahre nach der Abschaffung des "Fräuleins", war es auch in Frankreich so weit. "Ob verheiratet oder nicht, jung oder alt, was wir fordern ist unser unveräußerbares Recht, Prinzessinnen zu sein", hieß es in einem Leitartikel in der Zeitschrift "Elle", der sich gegen ein Verschwinden der Mademoiselle aussprach. Diese Anrede für Frauen ist in Frankreich im offiziellen Sprachgebrauch inzwischen passé.  

Quellen: Duden, Bürgerservice Hessenrecht, "Elle", "Fräulein"

key mit Material der dpa

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