Er führt ein unaufgeregtes Leben im schwedischen Uppsala, unweit der schwedischen Hauptstadt. Verheiratet, zwei Kinder im Grund- und Vorschulalter. Jeden Morgen verlässt David A Hemler das Haus in der Universitätsstadt, um nach Stockholm zu fahren. Der 49-Jährige arbeitet in einer Behörde. Ganz unauffällig. Doch außer seiner Aktentasche schleppt Hemler ein gut gehütetes Geheimnis mit sich herum, von dem weder seine Frau, noch seine Kollegen oder seine Freunde etwas ahnten.
Hemler war US-Soldat, desertierte 1984 und gehörte in den vergangenen 28 Jahren zu den acht meistgesuchten Deserteuren der Luftwaffe. Er suchte sich einen neuen Namen - und baute sich ein neues Leben auf. Jetzt hat er in der schwedischen Tageszeitung "Dagens Nyheter" das Geheimnis um seine Vergangenheit gelüftet.
Zukunftsperspektive Armee
21 Jahre war David A Hemler als er nicht mehr Soldat sein wollte. Aufgewachsen in einem konservativen Elternhaus in Pennsylvania, war der junge Hemler ein Außenseiter. Er war schüchtern, hatte wenige Freunde und wurde oft von seinen Mitschülern gehänselt und geschlagen. Einen Plan für die Zeit nach der Highschool hatte er nicht.
Als die Armee an seiner Schule um Nachwuchs warb, klang das für den Teenager verheißungsvoll. Ihm wurden ein Studium und ein hohes Gehalt in Aussicht gestellt. Seine Eltern freuten sich, dass ihr Sohn endlich einen soliden Weg eingeschlagen hatte. Er verpflichtete sich für sechs Jahre.
Doch bevor er eingezogen wurde, begann Hemler zu zweifeln. Er hatte ein Mädchen kennengelernt. Seine erste Beziehung verschaffte ihm unter seinen Mitschülern einen Respekt, den er zuvor nicht gekannt hatte. Die junge Frau war Mitglied in einer Kirchengemeinde, vertrat pazifistische Ansichten. Der zukünftige Soldat begleitete seine Freundin in die Kirche, die Stunden dort machten ihn glücklich. Doch die Armee ließ ihn nicht mehr aus seinem Vertrag. Hemler musste zur Luftwaffe nach Texas, Hunderte Kilometer von seiner Verlobten entfernt. Der Anfang vom Ende: Die Beziehung zerbrach, die Bezahlung bei der Armee war nicht so hoch wie versprochen und 1983 wurde Hemler auf einen anderen Kontinent versetzt, nach Augsburg.
Zweifel am amerikanischen System
In Deutschland knüpfte Hemler Kontakte auch mit Zivilisten, und seine Zweifel über den Sinn der militärischen Aktionen der USA keimten wieder auf. "In Gesprächen mit deutschen Freunden und beim Lesen der deutschen Zeitungen merkte ich, dass es unterschiedliche Auffassungen über die Auslandseinsätze der USA gab", sagte Hemler "Dagens Nyheter". Er engagierte sich wieder in der Kirche, versuchte, entlassen zu werden. Doch die Armee lehnte ab, degradierte ihn, wollte ihn innerhalb Deutschlands versetzen.
Eines Nachts packte er das Nötigste ein, stahl sich vom Gelände der Basis und trampte durch Deutschland bis nach Kopenhagen, schlug sich weiter nach Stockholm durch. Eigentlich wollte er nur ein paar Tage bleiben, vielleicht eine Woche. Daraus wurden 28 Jahre und ein vorbildliches, schwedisches Leben. Seine Eltern und sein Bruder waren überzeugt, dass er Selbstmord begangen hat, weil sie in all den Jahren kein Lebenszeichen erhielten.
In Schweden schlug er sich mit Jobs in Fastfood-Restaurants und in der Altenpflege durch. Er erzählte, dass er von seiner Familie abgehauen sei, wechselte seine Namen mehrfach. 1994, zehn Jahre nach seiner Ankunft in Schweden, begann er mit einem Studium. Die Behörden führen Hemler als in Zürich geboren, 1986 eingewandert und staatenlos.
Kontakt zu seinen Verwandten in den USA hat er seitdem nicht mehr gehabt. "Ich fürchtete, dass sie mit dem Militär zusammenarbeiten und die mich früher oder später finden würden." Helmer fürchtete um seine Aufenthaltsgenehmigung und wollte Schweden unter keinen Umständen verlassen, wollte seine damalige Frau und die Tochter nicht im Stich lassen. Die Jahre gingen ins Land. Hemler ließ sich scheiden, heiratete eine gebürtige Thailänderin und bekam mit ihr zwei weitere Kinder.
Sehnsucht wurde stärker als Angst
Es war die Sehnsucht nach seiner Familie in den USA, die ihn jetzt, nach 28 Jahren, dazu bewegte, sich erkennen zu geben. "Ich hatte Angst, dass meine Eltern sterben, bevor sie die Wahrheit erfahren." Er befürchtete, eines Tages einen Unfall zu haben und zu sterben, ohne dass seine Eltern jemals erfahren, dass er noch am Leben war. Langsam reifte ein Entschluss: Seine erste Tochter ist mittlerweile erwachsen. Seine beiden Kinder, die er mit seiner jetzigen Frau hat, sind so alt, dass seine Frau sie allein versorgen könnte, wenn er verhaftet werden sollte.
Hemler kontaktierte eine Anwältin. "Er war besorgt, dass er an die USA ausgeliefert werden könnte", sagt Anwältin Emma Persson. Sie glaubt nicht, dass es nach so vielen Jahren zu einer Auslieferung kommt. Zwischen Schweden und den USA besteht ein Auslieferungsabkommen, ausgenommen sind jedoch politisch Verfolgte oder Deserteure. Das scheint die Luftwaffe jedoch anders zu sehen. "Wir wollen diesem Mann unter allen Umständen habhaft werden", sagte eine Sprecherin der Luftwaffe der New York Times.
Verwandtschaft hat Besuch angekündigt
Erst nach dem Gespräch mit seiner Anwältin fasst er den Mut, mit seiner Frau über seine Vergangenheit zu sprechen, informierte seinen Chef, rief seine Verwandtschaft in den USA an und schrieb der "Air Force Office of Special Investigations" eine E-Mail. In den vergangenen Jahren habe er deren Homepage tausend Mal besucht. "Ich habe auf die Seite mit den Meistgesuchten geklickt, habe mir das Bild von mir aus Highschool-Zeiten angeschaut", sagt Hemler "Dagens Nyheter". Es war das einzige Foto, das ihm aus der Zeit vor seiner Flucht nach Schweden geblieben war.
Hemler verspürt keinen Hass auf die USA. Er sieht die Politik des Landes, besonders die Position der Armee, jedoch extrem kritisch. Er will seine Geschichte erzählen, um die Menschen zum Nachdenken zu bewegen. Seine amerikanische Verwandtschaft hat bereits Flüge nach Schweden gebucht. Von der Luftwaffe bekam er eine höfliche Mail zurück. Man bekomme nicht jeden Tag derartige Mails, in denen sich Deserteure zu erkennen geben. Man müsse zunächst über das weitere Vorgehen beraten. Seitdem sind mehr als vier Wochen vergangenen.