Etwa eine Million Flüchtlinge kamen 2015 nach Deutschland. Sie zu integrieren ist eine immense Aufgabe, die tiefgreifende Veränderungen mit sich bringt. Gut der Hälfte der Deutschen macht dies Angst, zeigt eine aktuelle Umfrage. Ist diese Angst rational erklärbar?
Abwehr und Ängste sind ganz menschliche Gefühle Veränderungen gegenüber. Unsere Gesellschaft befindet sich mitten in einem extrem großen Prozess der Veränderung, der uns einiges abverlangt. Wir müssen uns auf Unbekanntes einlassen und Herausforderungen stellen. Mancher empfindet dabei vielleicht erst einmal das Gefühl der Angst, des Kontrollverlustes. Wer denkt, dass er dem Neuen nicht gewachsen ist, zieht sich zurück und nimmt diese Schwierigkeiten als Gefahr wahr. Wer jedoch das Gefühl hat oder es vermittelt bekommt, dass er den Veränderungen gewachsen ist, für den können sie sich wandeln: von einer Bedrohung in eine Chance. Dabei ist es zentral, Ängste ernst zu nehmen und zu thematisieren, aber anders als rechtspopulistische Parteien dies tun. Rechtspopulismus instrumentalisiert Ängste, bietet aber keine Lösungen an. Etwa indem er Vorurteile schürt, die keine Basis haben, wie "Die Flüchtlinge nehmen Deutschen die Arbeitsplätze weg". Das ist schlichtweg falsch. Gegen solche Behauptungen lässt sich nur mit Tatsachen angehen.
Wie lässt sich die Angst überwinden?
Angst ist eine unheimlich starke Emotion. Um sie abzubauen, ist es wichtig, dafür zu werben, dass Veränderungen akzeptiert werden. Dafür gibt es verschiedene Strategien. Zum einen sollten Politiker, aber auch andere wichtige Personen des öffentlichen Lebens eine positive Vision vermitteln. Diese sollte mit Botschaften wie "Die Würde des Menschen ist unantastbar", "Wer im Krieg vertrieben wird, hat ein Recht auf Asyl" oder "Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Hautfarbe oder Religion ist nicht akzeptabel" gepaart werden und deutlich machen, dass Zuwanderung für unser Land auf lange Sicht gut sein kann. Wichtig ist auch, dass genügend Menschen, Politiker, Lehrer, Künstler etwa, hinter dieser Vision stehen und dafür öffentlich eintreten. Das führt dazu, dass sie andere mitziehen. Ein positiver Sog entsteht.
Manch einer glaubt ja auch, das werde alles schon wieder vergehen…
Wer annimmt, dass sich die Flüchtlingsproblematik von alleine lösen wird, sitzt einem Trugschluss auf. Auch die Bundesregierung entwirft langfristige Prognosen, wie viele Flüchtlinge in den nächsten Jahren bei uns ankommen werden. Das zeigt bereits: Das Thema wird uns noch länger beschäftigen, von alleine vergeht es nicht.
Wohin führt eine solches Verleugnen der Realität?
Es führt zu Frustration. Wichtig ist es daher, die Aufgabe nicht zu verharmlosen. Entscheidungsträger müssen glaubwürdig bleiben und ehrlich vermitteln, welche Kosten etwa auf die Bevölkerung zukommen, was gebraucht wird und wie die Herausforderungen bewältigt werden sollen. Nur durch eine klare, offene Kommunikation lässt sich Vertrauen herstellen und dem Vorbeugen, dass Helfer irgendwann "ausbrennen" und resigniert aufgeben. Aus der Psychologie wissen wir auch, dass es wichtig ist, den Wunsch nach Kontrolle zu berücksichtigen.
Was heißt das konkret?
Wer das Gefühl hat, dass Dinge über seinen Kopf hinweg entschieden werden, verschließt sich leicht und übt aus Trotz Widerstand - und das vielleicht obwohl er eigentlich zu Beginn der Sache gegenüber positiv eingestellt war. Ein Beispiel: Wenn etwa in meiner unmittelbaren Nachbarschaft ein Flüchtlingsheim entstehen soll und ich keinen Einfluss darauf habe, nicht mitgestalten kann, schlecht informiert werde und meine Ängste und Nöte nicht anbringen kann, dann besteht die Gefahr, dass ich das als Einschränkung meiner Freiheit empfinde und dagegen protestiere. Solchen Widerständen, wir sprechen in der Fachsprache von Reaktanz, kann man vorbeugen.
Wie?
Nach der "Kontrolltheorie" sind Beeinflussbarkeit, aber auch Vorhersehbarkeit und Erklärbarkeit für Menschen sehr wichtig. Bezogen auf die Flüchtlingsunterkünfte bedeutet das konkret, dass Anwohner und Gemeinden rechtzeitig informiert werden sollten. Es sollte ihnen deutlich gemacht werden, warum man sich für diese Unterkunft entschieden hat, wie viele Flüchtlinge darin untergebracht werden und wie lange sie voraussichtlich bleiben. Zudem ist oft wenig darüber bekannt, wie ein Asylverfahren abläuft. Darüber aufzuklären hilft, diffuse Ängste abzubauen. Hier können auch Flüchtlinge, die bereits ein solches Verfahren durchlaufen haben, mit einbezogen werden, indem sie ihr Wissen weitergeben. Beide Seiten - die Anwohner und die Flüchtlinge - sollten die Möglichkeit haben, sich einzubringen.
Es ist also wichtig, dass Flüchtlinge aus der Rolle des Hilfe-Empfängers herauskommen.
Auf jeden Fall. Das große ehrenamtliche Engagement ist zwar extrem wichtig, es kann aber auch dazu führen, dass Flüchtlinge in eine passive Rolle gedrängt werden. Um dem vorzubeugen, ist es sinnvoll, sie von Anfang an mit einzubinden - und etwa auf ihre Mithilfe bei der Essensausgabe oder der Kinderbetreuung zu bauen. Schon bei diesen Kleinigkeiten beginnt die Integrationsarbeit. Die Tätigkeiten beugen zudem der gähnenden Leere vor, sie vermitteln Sinn und entlasten nicht zuletzt die Helfer.
Das alles setzt voraus, dass Menschen sich auch einbringen wollen.
Ob jemand eine Idee unterstützt oder sie ablehnt, ist stark von Gefühlen abhängig. Da lässt sich ansetzen, indem man Akzeptanz und Empathie fördert und Unentschlossene gezielt ins Boot holt.
Wie kann das geschehen?
Der Einzelfall löst Empathie aus, nicht die anonyme Masse. Es ist wichtig über Einzelfälle zu berichten, etwa in einer Gemeindezeitung, das Schicksal von Einzelnen so zu zeigen, dass man sich in sie hineinversetzen kann. So lassen sich auch Vorurteile leichter abbauen, etwa indem man vermittelt, was für unvorstellbares Leid, was für Grausamkeiten und welche Gewalt diese Menschen oft erlebt haben. Und welchen Weg sie auf sich genommen haben, um zu uns zu kommen. Flüchtlinge wehren sich auch selbst dagegen, als homogene Masse wahrgenommen zu werden. Sie wollen mit ihrer jeweiligen Geschichte Gehör finden. Um Empathie zu fördern, ist es tatsächlich viel effektiver, solche Einzelfälle aufzuzeigen statt andauernd Statistiken zu wiederholen, etwa welches Land wie viele Flüchtlinge aufnimmt. Wer Mitgefühl hat, ist wiederum deutlich mehr dazu bereit mitzuhelfen.
Wie sollte die Hilfe vor Ort konkret aussehen?
Aus Unternehmen wissen wir, dass sich Veränderungen am besten umsetzen lassen, wenn man bestimmte Kriterien beachtet. Als Orientierungshilfe ziehen wir Psychologen die "Smart"-Formel heran. Das heißt, das Ziel sollte spezifisch sein, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert. Konkret könnte das heißen, dass in der Gemeinde eine "Problembörse" als Anlaufstelle eingeführt wird. Dort kann jeder spezifisch nachfragen, wie er helfen kann - etwa Fußball mit Flüchtlingskindern spielen, bei Arzt- oder Behördengängen helfen. Ein solcher Einsatz ist realistisch, seine Auswirkungen sind direkt messbar. Die Wertschätzung etwa durch die Gemeinde oder durch die Flüchtlinge macht ihn attraktiv. Und, indem er etwa einmal in der Woche stattfindet, ist er begrenzt, was wiederum sicherstellt, dass Helfer nicht irgendwann frustriert aufgeben, sondern ihr Engagement bestenfalls über längere Zeit hinweg aufrechterhalten.