Der Fotograf Mark Woodward stand an der Küste von Santa Cruz und knipste Bilder von einem Surf-Event, als plötzlich ein Otter aus dem Wasser auftauchte. Das Tier entriss einem der Surfer das Board und "erwischte dann ein paar Solowellen", erzählte der Fotograf der "Los Angeles Times". Seit dem Ereignis Mitte Juni habe der Fotograf noch drei weitere Vorfälle erlebt, bei denen der Otter die Menschen auf den Surfbrettern angegriffen hat. Viele weitere sind ihm aus Erzählungen zugetragen worden. Die Fotos, die Woodward dabei aufnahm und unter anderem bei Twitter teilte, gingen viral. Weil es süß aussieht. Doch der Eindruck täuscht: Das Tier werde zunehmend aggressiver, meint der Fotograf. So aggressiv, dass sich mittlerweile mehrere Behörden und Experten eingeschaltet haben.
Aggressiver Otter verscheucht Surfer vom Brett
Bei den Attacken scheint der Meeressäuger es eher auf das Brett als auf den Menschen abgesehen zu haben. Joon Lee, ein 40-jähriger Software-Entwickler, sei trotzdem verängstigt gewesen bei seiner Begegnung mit dem Tier. Wie er der "Los Angeles Times" berichtet, habe er die meiste Zeit neben einem anderen, friedlichen Otter gesurft, als der Störenfried aus dem Nichts erschien und zuerst einen anderen Surfer ins Visier nahm. Danach sei der Otter auf Lee zugeschwommen und habe sich sofort in die Leine, die das Fußgelenk mit dem Surfboard verbindet, verbissen. Das Tier sei anschließend aufs Brett gesprungen und habe versucht, hineinzubeißen. Der Software-Entwickler konnte den Otter nicht abschütteln, schafft es aber, sich ans Ufer zu schleppen.
In den meisten Fällen ließen die Surfer ihre Bretter im Wasser zurück, sodass der Otter sich ungestört auf den Boards breitmachen konnte. "Es ist ein bisschen beängstigend. Sie scheinen so süß zu sein, aber diese Tiere sind Raubtiere", sagte Fotograf Woodward der "Los Angeles Times". Otter können etwa 1,5 Meter groß und bis zu 45 Kilo schwer werden. Mit ihrem kräftigen Kiefer können sie Schalen von Krabben, Muscheln und Seeigeln knacken – und Holz zerkauen. Eine der inzwischen zahlreichen Aufnahmen des Tieres zeigt, wie der Otter unermüdlich an einem Brett nagt, dessen Besitzer er kurz zuvor verscheucht hatte.
Wildtierbehörden und Experten haben keine Erklärung für das Verhalten des Meeressäuger. Im Zuge der zunehmenden Vorfälle – die zunächst mit Belustigung betrachtet wurden – haben Bundes- und Landesbehörden für Wildtierschutz entschieden, dass sie den jungen Otter aus der Wildnis entfernen müssen, bevor er jemanden – oder sich selbst – verletzt. Dabei arbeiten sie mit dem Monterey Bay Aquarium zusammen. Dort soll das Tier beobachtet und untersucht werden, bevor es ein neues, langfristiges Zuhause bekommt. Das Verhalten des Tieres sei "sehr ungewöhnlich und selten" erklärte Jessica Fujii, wissenschaftliche und operative Leiterin des Seeotterprogramms der "Los Angeles Times".
Bereits die Mutter war ein Problem-Tier
Ähnliche Fälle seien in den letzten Jahrzehnten zwar öfter vorgekommen, "aber die Beständigkeit und das Muster dieses speziellen Otters sind ziemlich einzigartig". Der US-amerikanische Fisch- und Wildtierdienst sagt dem "Guardian", dass diese Art von aggressivem Verhalten bei weiblichen Seeottern mit hormonellen Schwankungen oder der Fütterung durch Menschen zusammenhängen könnte. Bei besagtem Tier scheint die Veranlagung in der Familie zu liegen. Die Mutter des Problem-Otters ist auf ähnliche Art auffällig geworden – indem sie sich von Kajaks ernährt hatte. Nachdem sie eingefangen worden war, habe man festgestellt, dass sie schwanger war, berichtet die "Los Angeles Times". Den Nachwuchs habe man möglichst ohne Kontakt zu Menschen aufgezogen. Als das Jungtier in die Freiheit entlassen wurde, ist es mit einer blauen Markierung auf den Schwimmhäuten zwischen den Zehen seines linken Fußes gekennzeichnet worden. Bis vor Kurzem habe der Otter keinerlei Probleme gemacht und sich von Menschen ferngehalten – umso erstaunlicher der plötzliche Hunger auf Surfbretter.
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Am Dienstag stellte der Fisch- und Wildtierdienst Schilder entlang der Küste auf, die vor dem Tier warnen. "Obwohl es keine bestätigten Berichte über Verletzungen gibt, sollten Kajakfahrer, Surfer und andere, die sich in der Gegend aufhalten, aufgrund des äußerst ungewöhnlichen Verhaltens dieses Otters sich dem Tier nicht nähern", heißt es in einer Mitteilung. Obwohl der Meeressäuger laut der Behörde "Menschen und Tiere in Gefahr bringt", ist er im Netz ein Hit. Die Menschen witzeln, dass der Otter sich seinen Lebensraum zurückerobere. Bevor der Pelzhandel sie im 17. und 18. Jahrhundert fast ausrottete, bewohnten die Tiere einst die Gewässer Nordamerikas von Alaska bis Baja California. Heute nimmt der Otter nur 13 Prozent seines historischen Verbreitungsgebiets ein. Vor der Küste Kaliforniens leben laut Jessica Fujii etwa 3.000 Seeotter – die meisten davon seien friedlich.
Quellen: "Los Angeles Times", "The Guardian"