Panorama Wie die Weltrevolution einmal aus Versehen im Schwarzwald begann, Teil 7

Auch an den Tagen danach knisterte es zwischen uns beiden, wenn Cindy neben mir am Schreibtisch tänzelte, ihre Story-Ideen vorstellte und Fotos dazu zeigte. Dann warf sie sich mir gegenüber in den Stuhl für Gäste, riss einen der gelben Notizzettel von meinem Block, schrieb etwas und reichte es mir. Darauf stand: "Ich will dich jetzt."

"Ich bin dein Chinalover!"

Das war tagsüber im Büro nicht so einfach. Deshalb kam sie meist abends wieder, wenn die anderen gegangen waren. Als ich sie an den Archivschrank aus Stahl presste, meine Zunge ihr Ohr leckte und meine Hand ihre Klitoris streichelte und dann immer heftiger rieb, stöhnte sie: "Ich bin dein Chinalover!" Du bist höchstens meine chinesische Geliebte, der Chinalover, der Liebhaber Chinas, bin doch ich, witzelte ich. Ich spielte damit auf ihren Vater an, den stellvertretenden Propaganda-Minister, der mich einen "wahren Freund Chinas" nannte.

Cindy lachte: "Du bist mein deutscher Lover." Und schlug vor, auf dem Schreibtisch weiterzumachen. Sie schob Papiere mit Budget- Entwürfen und Excel-Tabellen sowie die Tastatur des Computers zur Seite, machte es sich bequem. Cindy bezeichnete sich als xiaozi, als "Kleinbürgerin". Mao hatte geschimpft: "Der Schwanz des Kleinbürgers ist noch nicht vollständig abgehackt." Im neuen China gelten "Kleinbürger" als cool. "Das sind Leute, die die aktuellsten Filme sehen und in den schicksten Restaurants essen", sagte Cindy. So hatte sich die Welt verändert: Ich, der Bürgerschreck aus dem Schwarzwald, der beim Trampen die Spießer verflucht hatte, vögelte eine verheiratete chinesische Kleinbürgerin auf dem Mahagoni-Schreibtisch, den ein westlicher Konzern gestellt hatte.

Wenn wir in Shanghai zusammen aßen, piepte oft mein Handy

Ich fürchtete, es sei eine SMS von Lu Bing, Wang Xu oder gar von Hund Becker. Sie kam aber von Cindy selbst, die mir gegenübersaß. SMS sind auch deshalb in China so populär, weil man sich in dieser Kultur vieles nicht direkt ins Gesicht sagt, um selbiges nicht zu verlieren. Die SMS lautete dann zum Beispiel: "Wollen wir uns nach einem Platz zum Fliegen umschauen?" Das spielte auf unsere gemeinsamen Erfahrungen in chinesischen Flugzeugen an, die wir in diesen Monaten vertieften. Meist entschieden wir uns an solchen Abenden doch für das Büro. Cindy war die Ehe heilig, sie hielt Hotelbesuche für "zu offiziell" und zeitaufwendig, schließlich wartete ihr Mann auf sie.

Gemeinsam ins Bett gingen wir deshalb nur auf Dienstreisen. Danach zog sie sich in ihr Zimmer zurück, um allein zu schlafen. Oft hörte ich, wie sie dies wieder verließ, um morgens um drei oder vier Uhr zurückzukommen. Mir schien, sie kannte in jeder Stadt jemanden. Ganze Nächte lag ich wach. Ich verzieh ihr aber, wenn sie mich, als ich sie am nächsten Morgen danach fragte, in den Arm boxte, mir lüstern in die Augen schaute und ohne Details sagte: "Das ist mein verdammtes Leben."

Der Respekt der anderen ist wichtiger, als das eigene Gewissen

Gelegentlich wies sie mich ab: "Ich liebe meinen Mann. Manchmal kann ich die Gefühle vom Körper trennen, aber nicht immer. Ich plane meine Affären nicht, sie ergeben sich." Meistens hielt sie aber nicht der Gedanke an ihren Mann zurück, sondern der an meine Lebensgefährtin Lu Bing. Die suchte nach Spuren. Es waren nicht die üblichen Lippenstiftflecke oder fremdes Parfüm. Mal fand sie Samenreste auf dem Revers meines Anzugs. Mal roch sie an meiner Hand, die in Cindys Möse gewesen war - da half auch mehrfaches Händewaschen nicht.

Ich erzählte Cindy davon. Ihr Gesicht erstarrte, sie schwieg, als habe ich ihr die Nachricht von ihrem eigenen Tod überbracht. "Was ist los, Cindy?" "Ich bin so ein Mensch und habe das für mich selbst mittlerweile akzeptiert. Aber ich wollte nie, dass andere davon erfahren. Ich weiß nicht, ob ich unter diesen Umständen noch mit dir zusammen sein kann." Am gleichen Abend trieben wir es wieder auf meinem Schreibtisch. Trotzdem merkte ich abermals die Bedeutung von mianzi, "Gesicht", für Chinesen. Gesicht, den Respekt der anderen zu erlangen, zu wahren und auf keinen Fall zu verlieren, das ist das wichtigste Gut im Leben eines Chinesen. Ein Gewissen wie im Christentum plagt hingegen kaum.

"Das fände ich zu intim"

Deshalb ist alles erlaubt, wenn es niemand sieht, und nur wenig, sobald es öffentlich wird. Nach dem Sex zwischen Kugelschreibern und Aktenordnern sprachen Cindy und ich über einen Swimming Pool in der Nähe unseres Bürogebäudes. Wir könnten mal gemeinsam dorthin gehen, schlug ich vor. "Aber ich kann nicht schwimmen", entgegnete sie. "Ich kann es dir beibringen." "Das fände ich zu intim."

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