Buchvorstellung in den USA "Kurnaz erreicht amerikanische Herzen"

300 Leute sind in die New York Library gekommen, um die Geschichte von Murat Kurnaz zu hören - einem Fall, der in den USA bislang nur wenige interessierte. Bei der Veranstaltung sprach sein Anwalt mit stern.de über den Grund, warum sich der US-Umgang mit Guantanamo ändern könnte.

Am Ende sieht man ihn doch noch, in den USA, in der New York Public Library, im South Court Auditorium, wohin etwa 300 Leute gekommmen sind, um seine Geschichte zu hören. Die Geschichte des Bremer Türken Murat Kurnaz und seiner Leidenszeit in Guantanamo. Die Deutschen kennen diese Geschichte schon seit Jahren, in den USA entdecken sie den Fall erst allmählich. Murat Kurnaz wurde jahrelang unschuldig im US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba festgehalten und gefoltert. Sein Erlebnisbericht wurde bereits in zwölf Sprachen übersetzt, nun erscheint das Buch in den USA. Es trägt dort den Titel: "Five years of my life: An innocent man in Guantanamo".

Zur Person

Murat Kurnaz, 25, wurde in Deutschland zur Symbolfigur für Guantanamo. In dem Lager auf Kuba hielten ihn US-Militärs viereinhalb Jahre als Terrorverdächtigen gefangen. Zuvor hatten sie ihn in Afghanistan gefoltert. Dank des Einsatzes von Bundeskanzlerin Merkel (CDU) kam der junge Türke aus Bremen im August 2006 frei. Zuvor war die Rückkehr des Gefangenen unter der Regie des damaligen Kanzleramtschefs Steinmeier verhindert worden. Kurnaz lebt heute bei seiner Familie in Bremen. Ein US-Bundesgericht hat bereits entschieden, dass er trotz der widerrechtlichen Inhaftierung in dem Gefangenenlager keinen Anspruch auf Entschädigung hat.

Der Schauspieler Wallace Shawn hat an diesem Abend einige Passagen aus dem Buch vorgelesen, die Rockmusikerin Patti Smith hat das Vorwort geschrieben und sogar einen Song für Kurnaz, "Without chance" wird mehrmals eingespielt. Auf der anschließenden Podiumsdiskussion haben Anwälte, Journalisten und Vertreter von Bürgerrechtsorganisationen die menschenrechtswidrige Praxis solcher Lager wie in Guantanamo angeprangert, die Folter mit der Kälte in den Isolationszellen oder die Folter mit der Luftlosigkeit, so dass Gefangene öfter in Ohnmacht fallen. Die Zuhörer schüttelten mehrmals fassungslos den Kopf. Bernhard Docke, der deutsche Anwalt von Murat Kurnaz, erzählte mit bewegenden Worten von der Rückfahrt mit Kurnaz nach dessen Freilassung nach Bremen und wie Kurnaz auf dem Parkplatz einer Raststätte aus dem Auto stieg und dann minutenlang nach oben schaute - es war das erste Mal nach 44 Monaten Haft in einer kleinen Zelle, dass er den Himmel und die Sterne wieder sah. Und nun kommt Murat Kurnaz.

Er erscheint bei seiner Buchpremiere riesengroß auf einem Bildschirm, er richtet auf Englisch eine Grußbotschaft ans Publikum und bedauert, dass er an diesem Abend nicht bei ihnen sein kann. Kurnaz wurde im August 2006 freigelassen, er gilt also nun auch in den USA als unschuldiger Mann, doch das heißt nicht, dass er so einfach in dieses Land einreisen darf. Murat Kurnaz hat, wie alle ehemaligen Guantanamo-Häftlinge, den Status eines "unlawful enemy combattant", eines "feindlichen Kämpfers". Deshalb haben er und sein Bremer Anwalt Bernhard Docke beschlossen, dass er der Buchpremiere lieber fern bleibt. "Wir haben kein Visum beantragt, weil wir uns sicher waren, dass er es nicht bekommen hätte", sagte Bernhard Docke.

Fall Kurnaz in "60 Minutes"

Am vorvergangenen Sonntag strahlte der US-Fernsehsender CBS in seinem hoch angesehenen Politikmagazin "60 Minutes" zur besten Sendezeit einen langen Beitrag über den Fall Kurnaz aus. Der Sender wollte mit der Geschichte von Kurnaz das Thema Guantanamo in den anstehenden US-Präsidentenwahlkampf tragen. Doch das Echo auf den Fall und den Beitrag ist kaum zu hören. Von hochrangigen Politikern gibt es keine Statements dazu, die Kandidaten für das Präsidentenamt haben gerade andere Themen und Probleme.

Alle großen Zeitungen in den USA haben über Murat Kurnaz schon berichtet, es wird Buchbespechungen geben, aber bisher ist dieser Fall nicht in den Mittelpunkt einer Debatte gerückt. Und wie US-Bürger auf die Story reagieren, konnte man auf der Webpage von CBS lesen, einige schrieben Kommentare nach dem Motto: Wir hätten den Kerl erschießen sollen, dann könnte er jetzt nicht solche Lügen erzählen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Das Gespräch mit Kurnaz-Anwalt Bernhard Docke über den Fall seines Mandaten in den USA

Herr Docke, wird Murat Kurnaz jemals in die USA reisen?

Das glaube ich schon. Er wäre ja auch jetzt schon gerne gekommen, aber es ist noch zu früh. Wenn ich zum Beispiel lese, was da auf der Homepage von CBS nach der Ausstrahlung des Beitrags stand, wird mir ein bisschen Angst, wenn ich mit Murat Kurnaz durch die amerikanische Landschaft laufen müsste. Er polarisiert und könnte dadurch zu einer Zielscheibe von Hass und Gewalt werden, das möchte ich vermeiden. Deshalb ist es mir lieber, er bleibt jetzt noch im sicheren Europa. Es wird schon noch die Zeit kommen, in der er in die USA reisen kann.

Wie bewerten Sie die bisherigen Reaktionen auf den Fall in der amerikanischen Öffentlichkeit?

Der Fall Kurnaz ist ein Impuls für dieses Thema, und ich hoffe, dass er sich dann auch irgendwann Politik umsetzen lässt. Ich hoffe, dass im Kongress entsprechende Initiativen gestartet werden, die die Situation in Guantanamo verändern werden. Es gibt einige Interviewanfragen, es wird Buchbesprechungen geben. Aber es ist noch zu früh, um zu sagen, was der Fall Murat Kurnaz und sein Buch in der politischen Landschaft auslösen wird.

Was ist Ihre Hoffnung, was könnte der Fall in den USA auf lange Sicht bewirken?

An diesem Fall wird den amerikanischen Bürgern aufgezeigt, wie unfair und unmoralisch mit den Gefangenen in Guantanamo umgegangen wird. Diesen Gefangenen werden urarmerikanische Rechte verweigert, wie das Recht auf Haftprüfung. Dazu kommt die Tatsache, dass Leute dort gefoltert werden. Das alles steht in schreiendem Unrecht zum amerikanischen Rechtssystem und auch zum amerikanischen Selbstverständnis. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurden Gefangene aus Wut und Rachegefühlen gequält, in diesen ersten Momenten überwogen ja nicht die Klugheit und Weisheit, sondern die Gefühle. Das wurde in den Jahren danach nicht korrigiert, sondern im Gegenteil, man hat richtige Programm entwickelt, um die Gefangenen systematisch rechtlos zu halten und zu quälen. Das wird der amerikanischen Öffentlichkeit jetzt immer mehr bewusst, auch durch so einen Einzelfall wie den von Murat Kurnaz, der nun, gerade auch mit seinem Buch, die amerikanischen Herzen erreicht.

Reichlich spät allerdings.

Sehr spät, ja. Aber die Stimmung in den USA ist ja gerade auch eine des Wandels, der Veränderung und des sich Besinnens. Ich glaube auch, dass die Art und Weise, wie man bisher mit Guantanamo umgegangen ist, sich nicht mehr lange halten wird. Egal, wen die Amerikaner als nächsten zum Präsidenten wählen werden.

Was macht Sie da so sicher?

Ich glaube, dass für jeden, der dieses Amt übernehmen wird, Guantanamo eine Art Kuckucksei im Nest sein wird. Jeder wird sich dieses Problems schnell entledigen wollen. Ich kann mir deshalb sehr gut vorstellen, dass Guantanamo geschlossen wird. Guantanamo ist weltweit eine Ikone für Unrecht geworden und die USA haben sich damit politisch ein großes Imageproblem eingehandelt. Nach dem 11. September gab es weltweit Sympathiebekundungen für die Amerikaner. Die Regierung von George W. Bush hat es geschafft, durch die Art und Weise, wie sie mit den Gefangenen umgegangen ist, diese Unterstützung komplett zu verspielen. Die Zustimmungswerte für die Regierung sind nicht nur im Ausland, sondern auch im Inland auf einem Tiefstand. Deshalb glaube ich, dass die neue Regierung etwas ändern muss. Dazu gehört auch, wieder zu den uramerikanischen Werten zurück zu kehren, nämlich, dass jeder Gefangene das Recht hat, einen Richter zu sehen und dass kein Gefangener gefoltert wird.

Die Schließung von Guantanamo wäre allerdings noch keine Garantie, dass die Gefangenen würdiger und fairer behandelt werden. Was müsste noch passieren?

Wenn Guantanamo geschlossen wird, dann darf es dabei nicht nur darum gehen, sich eines Imageproblems zu entledigen, sondern dazu gehört auch, dass der Überbau von Guantanamo, also diese gezielte Rechtlosigkeit und Gefangene zu quälen, muss komplett abgeschafft werden und an keinem anderen Ort der Welt unter amerikanischer Regie wieder stattfindet. Es ist ja kein Gewinn, Guantanamo zu schließen und dann die selben Praktiken in Afghanistan oder auf dem amerikanischen Festland fortzusetzen. Zu einem Wechsel der US-amerikanischen Politik gehört es, Guantanamo zu schließen und komplett mit dieser Behandlung von Gefangenen aufzuhören.

Was soll dann mit den Gefangenen geschehen, wenn Guantanamo geschlossen wird?

Meine Position als Anwalt ist die: Anklagen - und wenn es dafür nicht reicht, dann freilassen. Wie in jedem anderen Fall auch.

Wo sollten diese Gefangen angeklagt werden?

Sie sollten vor amerikanischen Zivilgerichten angeklagt werden oder vor amerikanischen Militärgerichten. Aber nicht vor amerikanischen Militärkommissionen, den das sind Extraverfahren, die für Guantanamo geschaffen wurden und deren Regeln komplett unfair sind. Ein Problem wird bleiben, wenn es zu Anklagen vor amerikanischen Zivilgerichten kommt: Geständnisse und Aussagen, die von den Gefangenen in Guantanamo unter Folter oder ähnlichen Bedingungen erzwungen wurden, sind dann dort nicht verwertbar.

Am Ende der Buchvorstellung hat der Moderator die Bitte eines Mannes aus dem Publikum vorgetragen. Der Mann bat im Namen der US-Bevölkerung Murat Kurnaz um Vergebung für das, was ihm sein Land angetan hat. Wie wird Ihr Mandat darauf reagieren?

Er wird sich freuen. Er weiß ja zu unterscheiden zwischen der Bush-Regierung und dem amerikanischen Volk. Er weiß ja, dass er vor allem durch die Hilfe von amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen freigekommen ist Und wie gesagt: Er wird eines Tages in die USA kommen.

Ortstermin und Interview: Giuseppe Di Grazia

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