Verschleppte Kinder zurück in Deutschland Glückliches Ende einer Tortur

Die vier entführten Kinder aus Celle sind wieder in Deutschland. Monatelang mussten sie mit ihrem fanatisierten Vater durch Nordafrika reisen. Spuren einer Odyssee.

Glückliches Ende einer mehr als vier Monate dauernden Odyssee: Miriam, Lisa, Jonas und Benjamin sind wieder in Deutschland – an einem unbekannten Ort. Ende April waren die vier Kinder aus Hermannsburg in der Lüneburger Heide von ihrem Vater entführt worden. Gestern konnten die ägyptischen Behörden den Vater und die Geschwister ausfindig machen. Am Donnerstagmorgen kamen Kinder und Vater zurück nach Deutschland. Die Kinder sind zusammen mit ihrer Mutter an einem geheimen Ort, der Vater wurde verhaftet.

Wochenlang suchte, bangte und hoffte Katja H., die Mutter. Sie wusste nicht, wo ihre Kinder sind, ob es ihnen gut geht, ob sie noch leben. Klar war jedoch, dass ihr Ex-Mann Axel H., der der Kindsvater ist, mit dem Verschwinden der Vier- bis Achtjährigen in Verbindung stand. Denn auch er war verschwunden. Die Ermittlungen der Polizei liefen zunächst noch auf Sparflamme, mit nur einem Ermittler. "Wir hofften, dass er den gebuchten Rückflug antritt", so Kriminaloberrätin Birgit Thieme. Der 2. Mai verstrich – und Axel H. kehrte nicht zurück. Die Celler Polizei gründete die Ermittlungsgruppe Nil. Ein internationaler Haftbefehl wurde ausgestellt. Nach einer stern TV-Sendung und dem verzweifelten Aufruf der Mutter gab es Hinweise, dass Axel H. von Ägypten in den Sudan gefahren ist. Doch was zieht einen Vater mit vier kleinen Kindern nach Nordafrika?

Hurghada statt Heide

Vermutlich der Glaube. Axel H. ist extrem religiös. In seiner Heimat, im niedersächsischen Hermannsburg, gilt er als christlicher Fanatiker. An seiner Überzeugung scheitert nicht nur seine Ehe. Der 37-Jährige verliert auch das Sorgerecht für seine Kinder, darf Miriam, Lisa, Jonas und Benjamin nur selten und bis Anfang des Jahres nur in Begleitung von einem Jugendamtmitarbeiter sehen. Als diese Einschränkung gelockert wird, nutzt Axel H. die Gelegenheit für eine Radtour durch die Lüneburger Heide - angeblich. Vorher hatte er die Pässe, Geburtsurkunden und Sparbücher an sich genommen. Er fliegt mit den vier Kindern ins ägyptische Hurghada. Dort verliert sich zunächst die Spur.

Miriam, Lisa, Jonas, Benjamin – die Kinder tragen biblische Namen. Die Eltern sind zunächst beide in der Großen Kreuzgemeinde in Hermannsburg, einer selbstständigen evangelisch-lutherischen Kirche aktiv. Die Gemeinde gehört nicht zur staatlichen Kirche, finanziert sich nicht durch Steuern, sondern durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. Entsprechend engagiert und aktiv sind die Gläubigen. Doch das reicht Axel H. nicht. Er verlässt die Gemeinde, kurz nachdem sein ältester Sohn Jonas, heute 8 Jahre, getauft wurde. "Er hat sich komplett zurückgezogen", sagt der Pastor Hans-Heinrich Heine. "Er hat diese Isolation und den Rückzug auch von seiner Familie eingefordert."

Die Ermittler sehen in der Religiosität ein Motiv für die Entführung. Doch befragen konnten sie Axel H. noch nicht. Die ägyptischen Behörden spürten H. und die Kinder auf, nachdem die Celler Polizei ein Rechtshilfegesuch gestellt hatte.

Womöglich wollte H. die Kinder von ihrer Mutter trennen. "Er lebt in seiner eigenen christlichen Welt, die mit der Realität nichts mehr zu tun hat", sagte Katja H. zu stern TV. Ihr Mann habe sich für den einzigen wahren Christen gehalten. "Für ihn war die Welt eine Sünde. Und aus dieser sündigen Welt wollte er die Kinder rausholen." Warum sich ihr Mann so in seinen Glauben reinsteigerte, kann Katja H. nicht nachvollziehen. "Wir waren früher eine glückliche Familie. Alles war gut." Doch dann dürfen die Kinder eines Tages nicht mehr in den Kindergarten der Gemeinde oder den Kirchenchor. Der Krankenpfleger verliert seinen Job. Als die Ehe zerbricht, wird das Sorgerecht der Mutter zugesprochen, ein Gutachter zweifelt an der psychischen Gesundheit des Vaters.

Internetseite als Prediger-Plattform

Da Axel H. offenbar wenig gleichgesinnte Glaubensgenossen findet, schreibt er über seine Sicht der Dinge, die er Wahrheit nennt, auf einer Homepage. In epischer Breite, in vielen Texten, gespickt mit Bibelzitaten, lässt sich Axel H. über Begriffe wie Wahrheit und Liebe aus, distanziert sich von der Institution Kirche, prangert deren Reichtum und sexuelle Missbräuche an, bezichtigt sie der Geldverschwendung und der Unterstützung des Nationalsozialismus. Gott ist für ihn offenbar der Dreh- und Angelpunkt, der einzige Fixpunkt, an dem er sein Leben orientiert. Zu seiner Person und seiner Familie schreibt Axel H. auf seiner Seite nichts.

Doch warum fuhr der Vater nach Ägypten? Eine zeitlang hielt er sich auch im Sudan auf. Ein österreichisches Paar hatte Kinder und Vater auf einer Fähre von Ägypten in den Sudan gesehen. H. habe ihnen gesagt, dass er in die Hauptstadt Khartum weiterfahren wolle. Mitte Mai reiste er jedoch wieder über Assuan nach Ägypten. Beide Länder sind überwiegend muslimisch geprägt. Die christlichen Minderheiten können ihren Glauben nur eingeschränkt praktizieren, immer wieder kommt es zu Zusammenstößen zwischen den Glaubensgemeinschaften. Im seit Juli unabhängigen Südsudan lebt eine streng religiöse christliche Minderheit. Womöglich war dieser neue Staat das Ziel von Axel H.

Erleichterung in Hermannsburg

Freunde und Nachbarn reagierten am Donnerstag erleichtert auf das Ende der monatelangen Ungewissheit über das Schicksal der Kinder. "Bei mir herrscht übergroße Freude. Als ich es gestern erfahren habe, dass die Kinder gefunden wurden, konnte ich es kaum glauben", sagte Wilfried Keller, ebenfalls Pastor in der Großen Kreuzgemeinde. "Wir haben zusammen für die Kinder gebetet."

mit DPA

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