Als Reporter steht man vor der Aufgabe, die Wirklichkeit zu beschreiben. Doch schon anhand eines einzigen Fotos zeigt sich, dass diese Beschreibung mitunter kompliziert sein kann. "Hessens Ministerpräsident und der 'Mohr von Mörlau' – Wirbel um dieses Karnevalsfoto" titelt die "Bild". Der gleiche Termin, das gleiche Ereignis heißt es in einem Beitrag der "Hessenschau": "Rhein empfängt Fastnachter – Regierungschef würdigt Prinzenpaare für Demokratiearbeit".
Ja, was denn nun? Wirbel oder Demokratiearbeit?
Fangen wir einfach mal damit an, was da am Wochenende im Schloss Biebrich in Wiesbaden passiert ist. Wie jedes Jahr hatte Boris Rhein, Ministerpräsident von Hessen, zur Fastnacht viele sogenannte "Tollitäten" empfangen, Prinzenpaare und ihren jeweiliger Hofstaat aus mehr als 100 Karnevalsvereinen des Landes. Rhein und seine Frau dankten den Karnevalisten für ihr ehrenamtliches Engagement, das sie als "Beitrag zur gelebten Demokratie" würdigten.
Fototermine sind Business as usual für Ministerpräsident Boris Rhein
Wie üblich gehört zu so einer Würdigung auch ein gemeinsames Foto vom Ministerpräsidenten und den Fastnachtsfreunden. Und so zog eine Abordnung nach der anderen an dem CDU-Politiker vorbei. Business as usual für einen Landesvater.
Doch dann kam es zu einem folgenreichen Aussetzer. Die 1. Ober-Mörler Karnevalsgesellschaft Mörlau hielt es für eine akzeptable Idee, neben Prinz Oli I. und Prinzessin Sabrina I. einen schwarz angemalten Mann als "Mohren" auf dem gemeinsamen Foto zu präsentieren. Und zack, war das Motiv in der Welt. Und auch seine mögliche Lesart: Blackfacing! Ein CDU-Ministerpräsident zeigt sich mit einem schwarz angemalten Weißen. Igitt!
Das sogenannte "Blackfacing", also das Anmalen eines weißen Mannes als Schwarzen, ist umstritten und wird bereits seit Jahren als rassistisch kritisiert, weil es zu Zeiten von Sklaverei und Kolonialismus dazu genutzt wurde, Schwarze lächerlich zu machen.
Die Bezeichnung "Mohr" hält sich bis heute im deutschen Sprachraum. Mancherorts gibt es immer noch eine "Mohrenstraße" oder "Mohrenapotheke". Und bis Anfang der 2000er Jahre warb eine Schokoladenmarke noch mit dem "Sarotti-Mohr". Auch im Fasching taucht die Figur mitunter auf. Wie etwa in Ober-Mörlen, wo der "Mohr" die Symbolfigur der Fastnacht ist und sich auch im Wappen der Karnevalsgesellschaft findet, wie auf der Webseite des Vereins zu lesen war.
Inzwischen hat sich die 1. Ober-Mörler Karnevalsgesellschaft für ihren Auftritt vom Wochenende entschuldigt. "Fastnacht soll für alle da sein, und dies ist uns auch sehr wichtig", teilte eine Sprecherin mit. Man entschuldige sich "ausdrücklich bei allen Menschen, die wir verletzt haben könnten". Auf öffentliche Auftritte des "Mohren" werde man in Zukunft verzichten.

Auch Rheins Vorgänger Volker Bouffier posierte einst mit dem "Mohren"
Boris Rhein dürfte sich angesichts der Aufmerksamkeit, die das Foto erregt hat, vermutlich wünschen, dass die Ober-Mörler diesen Gedankenblitz vielleicht ein paar Tage früher gehabt hätten. Andererseits ist er seinem Fauxpas nicht allein. Auch sein Vorgänger Volker Bouffier hatte schon mit den "Mörlauer-Mohren" posiert, wie ein Foto aus dem Jahr 2017 zeigt.
Was also soll man also nun von dem Foto halten? Skandal – oder bloße Karnevals-Folklore?
Wie so oft liegt die Wahrheit in der Mitte. Vermutlich hatten die Karnevalisten keinerlei Argwohn bei ihrem Auftritt. Trotzdem ist ein "Mohr" inzwischen ein No-Go, und das sollte sich auch bis nach Ober-Mörlen rumgesprochen haben. Andersrum: Zwar sind Bilder auf solchen Fließband-Fototerminen für einen Ministerpräsidenten mitunter nur schwer zu kontrollieren. Dennoch hätte es bei Boris Rhein durchaus "Klick" machen können, dass ein gemeinsames Foto mit einem Blackfacing-"Mohren" keine sonderlich gute Idee ist.