1. Ändert sich hier eigentlich auch irgendwas?
Ein Ergebnis der Wahlen in Bayern und Hessen: Vieles wird wohl beim Alten bleiben. Markus Söder (CSU) wird sein schönes Bayern auch in Zukunft regieren, Boris Rhein (CDU) kann es sich weiter in der Staatskanzlei in Wiesbaden bequem machen. Während sich Söder, der in einer frühen ARD-Hochrechnung auf knapp 37 Prozent der Stimmen kommt, bereits früh auf die Fortsetzung seiner "Bayern-Koalition" mit den Freien Wählern festgelegt hat, könnte es in Hessen etwas spannender werden. Neben dem bisherigen Schwarz-Grün wäre auch eine Koalition mit der SPD denkbar – nur dass Rhein dank eines missglückten und später gelöschten SPD-Wahlvideos nicht allzu gut auf die Genossen zu sprechen sein dürfte.
2. Rhein geht ab durch die Mitte
Boris Rhein eifert Hendrik Wüst nach – und geht ab durch die Mitte: Genau wie sein Amtskollege in Nordrhein-Westfalen stand der Hesse erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit an der Spitze des Landes, als es schon in den Wahlkampf ging. Nun fährt er einen ebenso fulminanten Sieg ein.
Damit verteidigt Rhein nicht nur seinen Platz in der Landesregierung, sondern gewinnt auch an Gewicht in der Bundespartei. Das wird Auswirkungen auf das Ringen der Union um den richtigen Kurs nach der Merkel-Ära haben: Während CDU-Chef Merz und CSU-Chef Söder zuletzt mit markigen bis hin zu populistischen Sprüchen aufgefallen sind, wirbt Wüst um einen gemäßigteren Ton. Das dürfte auch Rhein ein Anliegen sein, der bislang nicht mit spalterischen Aussagen auffiel.
3. Söder kommt mit weiß-blauem Auge davon
Für Markus Söder ist es ein historischer Abend, nur leider historisch schlecht. Der bayerische Ministerpräsident landet mit seiner CSU in etwa dort, wo er vor fünf Jahren lag – bei rund 37 Prozent. Schlechter waren die Christsozialen nie. Aber gemessen an den Erwartungen nach der Flugblatt-Affäre rund um Hubert Aiwanger, ist das ein Ergebnis, mit dem Söder sogar noch wird leben können. Er ist nicht abgestürzt, kann behaupten, dass er trotz schwierigster Umstände und einer massiven Konkurrenz von rechts sein Ergebnis halten konnte. Weiter geht’s, das dürfte die Botschaft sein. Auf eine Koalition mit den Freien Wählern hatte sich Söder ja schon vorher festgelegt.
An der unionsinternen Debatte darüber, wer CDU und CSU 2025 in den Bundestagswahlkampf führt, ändert das voraussichtlich erst einmal nur wenig. Das Ergebnis ist für Söder zu schlecht, als dass er daraus einen direkten Anspruch auf die Kanzlerkandidatur ableiten könnte. Aber auch zu gut, um jetzt direkt die Flinte ins Korn zu werfen, was die K-Frage angeht. Wer Söder kennt, weiß, dass er sich trotz allem stark genug fühlen dürfte, um im kommenden Jahr beim Zeitplan der Ernennung mitzureden.
Und er wird Friedrich Merz wohl genau im Blick haben. Die Landtagswahlen, der einzig wahre Gradmesser seiner Popularität, sind für Söder vorüber, von nun an kann ihm wenig passieren, er kann lauern, auf Fehler der anderen warten. Ganz anders Friedrich Merz: Der CDU-Chef ist ohnehin angeschlagen, hat im kommenden Jahr aber auch noch eine Europawahl und drei schwierige Landtagswahlen im Osten zu bestehen. Genügend Gelegenheiten, um in weitere Turbulenzen zu geraten. Stay tuned.
4. Nancy Lambrecht?
Oweia, SPD. In beiden Ländern schneiden die Sozialdemokraten miserabel ab. Während das in Bayern schon Tradition ist, stürzt die SPD in Hessen auf ihr schlechtestes jemals erzieltes Ergebnis ab. Das war es doch jetzt sicher für Nancy Faeser im Amt der Bundesinnenministerin. Oder?
Nicht so schnell. Trotz ihres blamablen Abschneidens und diverser Fehler im Wahlkampf dürfte Faeser wohl vorerst Ministerin bleiben. Der Kanzler neigt nicht zu Kabinettsumbildungen, er will jede Unruhe vermeiden. Schon die glücklose Verteidigungsministerin Christine Lambrecht schleppte er im Kabinett selbst dann noch mit, als sich die halbe SPD über sie lustig machte. Olaf Scholz kann trotzig sein. Wenn alle in die eine Richtung rennen, rennt er erst recht in die andere. So dürfte es auch mit diesmal sein. Nancy Lambrecht, wenn man so will.

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Das heißt aber auch: Eine ewige politische Überlebensgarantie hat Faeser nicht. Der Wahlkampf hat sie schwer beschädigt, womöglich sogar irreparabel, das werden die kommenden Wochen zeigen. Sie dürfte nun noch mehr als bislang im medialen Fokus stehen und in dem ihrer Gegner. Faeser führt eins der zentralen Ministerien der Bundesregierung, sie muss die Asylpolitik managen, kaum ein Feld ist für den Kanzler gerade gefährlicher. Jeder Fehler kann von nun an Faesers Ende bedeuten.
Auch das erlebte übrigens Lambrecht. Sie filmte Ende vergangenen Jahres ein Silvestervideo. Da merkte selbst Scholz: Jetzt geht es nicht mehr. Wenig später trat Lambrecht zurück.
5. Christian, der Krampf geht weiter
Sie kennen dieses Gefühl inzwischen bei der FDP. Landtagswahl, 18 Uhr, die erste Prognose, und das große Zittern beginnt. Insofern ist es schon fast eine Erleichterung, dass an diesem Sonntagabend zumindest eines direkt klar ist: In Bayern wird das definitiv nichts. Die Liberalen fliegen nach fünf Jahren wieder raus aus dem Landtag, zerrieben im Wahlkampf zwischen CSU und Freien Wählern.
Und in Hessen? Da wird weiter gezittert. Drin oder nicht drin - dieses Spielchen kann nun ein paar Stunden dauern. Sollte es knapp reichen, wird die Analyse der Parteiführung lauten: Die klare Abgrenzung zur Ampel-Regierung war erfolgreich. FDP pur wirkt. Die liberale Handschrift musste deutlich werden. Sollte es knapp nicht reichen, wird die Analyse lauten: Die schwierige Situation der FDP in der Ampel hat den Wahlkämpfern leider nicht gerade geholfen. Man muss künftig noch mehr betonen, was FDP pur ist. Die liberale Handschrift muss deutlicher werden.
So gesehen kann man sich das Zittern an diesem Wahlabend eigentlich auch gleich sparen.
6. AfD goes West
Die AfD profitiert wie keine andere Partei von der Unzufriedenheit mit der Bundesregierung, in beiden Ländern legt sie mehrere Prozentpunkte zu. In Hessen wird die AfD wahrscheinlich zweitstärkste Kraft – und würde damit ihr bisher bestes Ergebnis in Westdeutschland einfahren. Ein Alarmsignal für die etablierten Parteien, aus mehreren Gründen.
Erstens: Die AfD konnte ihre guten Umfragewerte in große Erfolgen verwandeln. Zweitens: Die Erzählung, das Erstarken der Rechtspopulisten sei ein rein ostdeutsches Phänomen, ist damit endgültig widerlegt. Und drittens: Das Reiz- und Streitthema Migration hat der AfD offenkundig geholfen. Präsentiert die Ampel-Koalition – mit ihrer angeschlagenen Innenministerin Faeser – nicht bald eine Lösung, wie irreguläre Migration nach Deutschland besser gesteuert werden kann, dürfte die AfD noch weiter zulegen. Im Bundestrend stehen die extrem Rechten bereits auf Platz zwei. Und im kommenden Jahr wird schon wieder gewählt: in Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Dort führt die AfD sogar ausnahmslos die Umfragen an.
7. Zerlegt es jetzt die Linken endgültig?
Fliegt ihr der Laden jetzt auseinander? Co-Parteichefin Janine Wissler hat schon 99 Probleme, jetzt kommt auch noch Hessen dazu – ausgerechnet. Seit 2008 war die Linkspartei im Wiesbadener Landtag vertreten, von 2009 bis 2021 von Wissler selbst angeführt. Nun verliert die Linke ihr letztes Landtagsmandat in einem westdeutschen Flächenland. Das ist fatal für die Außenwirkung der ohnehin strauchelnden Partei, die Fliehkräfte hin zu einer möglicherweise erfolgversprechenderen Partei von Sahra Wagenknecht könnten größer werden.
Für Wissler bedeutet die Niederlage gewiss einen weiteren Autoritätsverlust. Macht zusammen eine schwächelnde Partei mit einer schwächelnden Vorsitzenden. Unterm Strich: nicht gut.