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Verschüttete unter Trümmern Das 72-Stunden-Fenster nach dem Erdbeben: Retter im Wettlauf gegen die Zeit

Adana in der Türkei: Zwei Männer tragen eine Leiche aus einem zerstörten Gebäude.
Adana in der Türkei: Zwei Männer tragen eine Leiche aus einem zerstörten Gebäude.
© Hussein Malla/AP / DPA
Nach dem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet suchen Retter weiter nach Opfern. Dabei rennt ihnen die Zeit davon: Die kritische Überlebensgrenze von Verschütteten liegt normalerweise bei 72 Stunden.

Im türkisch-syrischen Grenzgebiet haben Angehörige und Rettungskräfte nach der Erdbebenkatastrophe bis spät in die Nacht nach Verschütteten gesucht. Das Gesundheitsministerium habe 4200 Helfer in das Katastrophengebiet entsandt, teilte der türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca am späten Montagabend auf Twitter mit. Diese Zahl steige weiter. Zudem sind nach Angaben Kocas 813 Rettungswagen sowie 227 UMKE Teams – eine dem Gesundheitsministerium angegliederte Katastrophenhilfe – im Einsatz. Auch diese Zahl steige an.

Überall in den betroffenen Gebieten kämpften sich auch in der Nacht zum Dienstag Rettungskräfte durch die Trümmer. Dabei räumten sie bei eisiger Kälte laut Berichten von AFP-Reportern oft mit bloßen Händen Trümmer beiseite.

Kritische Überlebensgrenze für Verschüttete liegt bei 72 Stunden

Der türkische Vizepräsident Fuat Oktay teilte am späten Montagabend mit, dass bereits 7840 Verschüttete gerettet worden seien. Verletzte und kranke Erdbebenopfer würden zunächst in Zelten medizinisch versorgt und anschließend in Krankenhäuser verlegt, so Koca in einem weiteren Tweet. Mit aller Kraft sei man vor Ort, um das Leid zu lindern.

Retter in Syrien vermuten, dass noch immer Hunderte Familien unter den Trümmern begraben sind. Die Suche über Nacht sei aufgrund von Sturm und fehlender Ausrüstung nur "sehr langsam" verlaufen, hieß es von den Weißhelmen, die in den von Rebellen gehaltenen Gebieten Syriens aktiv sind. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte seien zudem auch Mediziner überfordert und könnten nicht allen Verletzten das Leben retten.

Die Bergungsarbeiten sind ein Rennen gegen die Zeit: Die kritische Überlebensgrenze für Verschüttete liegt normalerweise bei 72 Stunden – so lange kann ein Mensch in der Regel ohne Wasser überleben. Erschwerend kommt hinzu: Im Katastrophengebiet herrschen Temperaturen um den Gefrierpunkt, was die Retter zusätzlich unter Zeitdruck setzt. Deshalb ist die Türkei dringend auf internationale Hilfe angewiesen.

Spürhunde kommen in der Türkei zum Einsatz

"In den Trümmern ist immer Eile geboten", sagte Stefan Heine, Sprecher der Hilfsorganisation I.S.A.R., der Nachrichtenagentur DPA. Ein Team der Hilfsorganisation, die auf die Rettung Verschütteter spezialisiert ist, hat am Dienstagmorgen die Türkei erreicht. Die 42 Experten und sieben Spürhunde seien nun auf dem Weg in die stark beschädigte Stadt Kirikhan in der Nähe der türkisch-syrischen Grenze, sagte Heine. "Unser Vorteil ist aber, dass der Ort nah am Mittelmeer liegt. Da wird es nachts nicht minus zehn Grad kalt wie anderswo im Erdbebengebiet."

Türkische Mitarbeiter der Hilfsorganisation hätten den Einsatzort bereits angeschaut und Fotos geschickt. "Darauf sieht man viele zerstörte Häuser." Bislang fehle es vor Ort noch an professioneller Hilfe.

Vor Ort komme neben den Hunden mit ihren guten Nasen auch spezielle Suchtechnik zum Einsatz – etwa ein Horchgerät oder ein Bioradar zum Aufspüren von Verschütteten. Wo Menschen unter den Trümmern entdeckt würden, seien Bergungsspezialisten gefragt. Mit Betonsägen, Bohrern und Hämmern versuchten sie, möglichst schnell zu den Verschütteten zu gelangen.

Das I.S.A.R.-Team war vom Flughafen Köln/Bonn aus abgeflogen. Zu dem Team gehörten Hundeführer mit ihren Spürhunden, Techniker, die Verschüttete zum Beispiel mit Geophonen in größeren Tiefen orten können sowie Berger und Ärzte.

Verschüttete unter Trümmern: Das 72-Stunden-Fenster nach dem Erdbeben: Retter im Wettlauf gegen die Zeit

23 Millionen Menschen schätzungsweise von Erdbeben in Türkei und Syrien betroffen

Auch weitere deutsche Hilfs- und Rettungsorganisationen sind im Einsatz oder machen sich auf den Weg ins Katastrophengebiet. "Die große Herausforderung, vor der wir jetzt stehen, ist, dahin zu kommen, wo wir hin müssen", sagte der Leiter der Nothilfeabteilung der Malteser International, Oliver Hochedez, am Dienstag im ZDF-"Morgenmagazin". Die Flughäfen seien überlastet und viele Straßen zerstört.

Auch das Technische Hilfswerk (THW) sei am Dienstag in die Türkei aufgebrochen, sagte THW-Präsident Gerd Friedsam im ZDF-"Morgenmagazin". "Wir haben unsere Schnelleinsatzeinheit für Bergungseinsätze, die speziell für Erdbebeneinsätze ausgebildet ist, mobilisiert."

Insgesamt liegt die Zahl der Toten inzwischen nach Angaben vom Dienstagmorgen bei mehr als 5000. Bisherigen Informationen zufolge wurden in der Südtürkei und in Nordsyrien zudem mehr als 23.500 Menschen verletzt. Tausende Gebäude stürzten ein.

Oft sei bei Erdbeben die Zahl der Todesopfer am Ende "achtmal höher als die ersten Bilanzen", warnte beispielsweise Catherine Smallwood von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). "Leider passiert bei Erdbeben immer das Gleiche: Die Zahl der Opfer und Verletzten steigt in der Woche danach stets signifikant an."

Von dem Erdbeben könnten nach Einschätzung der WHO bis zu 23 Millionen Menschen betroffen sein. Eine Übersicht der betroffenen Gebiete in beiden Ländern ergebe, dass "potenziell 23 Millionen Menschen" den Folgen des Bebens ausgesetzt seien, darunter fünf Millionen ohnehin besonders verletzliche Menschen, teilte die hochrangige WHO-Vertreterin Adelheid Marschang am Dienstag in Genf dem Exekutivkomitee der UN-Organisation mit.

rw DPA AFP

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